Österreich baut Erneuerbare zu langsam aus
Ein Fünftel seines Energieverbrauchs soll Österreich bis 2030 einsparen: Das verkündete Klimaschutzministerin (BMK) Leonore Gewessler (Grüne) kurz vor Weihnachten. Der Trend geht allerdings in die entgegengesetzte Richtung. 2021 ist der Energieverbrauch im Vergleich zum Vorjahr um 4,4 Prozent gestiegen. „In der aktuellen Energiekrise ist das kaum mehr zu verstehen“, sagt Stefan Moidl, Geschäftsführer der IG Windkraft. Zudem könne der Ausbau Erneuerbarer Energie mit dem steigenden Verbrauch nicht mithalten.
Das BMK kann diese Analyse nicht nachvollziehen. Die Zahlen von 2020 seien nur schwer mit jenen von 2021 vergleichbar, heißt es aus dem Ministerium. Der Grund: Im Pandemiejahr 2020 sank der Energieverbrauch vergleichsweise stark, während der Stromanteil aus Erneuerbaren seit zwei Jahrzehnten konstant steigt. Deshalb sei der Anteil Erneuerbarer am Gesamtverbrauch 2020 ungewöhnlich hoch gewesen – und 2021 dann vergleichsweise niedrig.
„Schneller ausbauen“
Der Energieverbrauch in Österreich steigt jedenfalls „nach wie vor“, sagt Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich. Und: Vor allem der Strombedarf wird auch in Zukunft steigen, wenn Österreich die Energieversorgung bis 2030 auf Erneuerbare umstellen will. „Das heißt auch, wir müssen mehr Strom importieren, weil die Inlandsproduktion mit dem steigenden Verbrauch nicht mithalten kann. Wir bräuchten da eine Trendumkehr, einen sinkenden Energieverbrauch, weniger Energieimporte, und wir müssen viel schneller werden beim Ausbau der Erneuerbaren“, sagt Prechtl-Grundnig.
Rund zehn Prozent seines Nettostromverbrauchs musste Österreich 2021 und 2022 laut der Energiebilanz der Statistik Austria importieren. Damit bewegte man sich deutlich über dem Durchschnitt dieses Jahrtausends, der bei 7,3 Prozent liegt.
Kurzum: Österreich kann sich nicht ganzjährig selbst mit Strom versorgen. Gleichzeitig ist man beim Ausbau Erneuerbarer nicht schnell genug. Woran liegt das?
Zuerst zum Positiven: „Photovoltaik hatte dieses Jahr unter den Erneuerbaren eine Sonderstellung. Durch den Ukraine-Krieg ist die Nachfrage extrem gestiegen, und der Bund hat ein Rekordbudget zur Verfügung gestellt“, sagt Vera Immitzer, Geschäftsführerin von Photovoltaik Austria. Für den PV-Ausbau standen 2022 über 300 Millionen Euro zur Verfügung. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) des Bundes, das laufend angepasst wird, sorgt vor allem bei Privathaushalten für eine PV-Offensive.
„Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht“, sagt Immitzer. Das bekräftigt auch Prechtl-Grundnig: „Bei Großprojekten im Bereich von Windkraft und Photovoltaik geht es nicht mehr um die Förderungen, da hat der Bund geliefert. Was jetzt fehlt, sind vor allem ausständige Genehmigungen und das Ausweisen von Flächen.“
Säumige Länder
Hier sind die Bundesländer säumig, das EAG umzusetzen und Flächen als Bauzonen für Erneuerbare auszuweisen. Vor allem Parkplätze und Brachflächen gehörten stärker genutzt, fordert Immitzer.
Niederösterreich hat im Dezember mit Verspätung eine Verordnung erlassen, die fixe Zonen für PV-Anlagen, die größer sind als zwei Hektar, festlegt. Die Zonen dürften aber weniger sein, als im ursprünglichen Entwurf. Sowieso zu strenge Vorgaben im Gebäudebereich hätten im Vergleich Tirol oder Wien, in Kärnten seien kaum Flächen ausgewiesen, kritisiert Immitzer. Das Resultat: Großprojekte bleiben aus. „Obwohl 2022 zweimal mehr PV-Anlagen installiert wurden als 2021, geht langfristig gesehen viel zu wenig weiter“, sagt Immitzer.
Doch auch der Bund hat noch nicht sämtliche gesetzlichen Vorhaben, die den Ausbau beschleunigen könnten, umgesetzt. So einigte sich die Koalition darauf, Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) zu beschleunigen. Damit könnten Windräder und PV-Anlagen deutlich zügiger errichtet werden. Die türkis-grüne Regierung schickte bereits im Juli 2022 eine Novelle in Begutachtung.
Doch der ÖVP fielen im Dezember neue Forderungen ein, die wohl nicht ausschließlich dem Klimaschutz dienen sollten. Zum Beispiel, dass auch Chaletdörfer in der Bergwelt schneller gebaut werden sollten. Die Grünen reagierten entsprechend verärgert. „Wir sind recht weit, ich bin optimistisch“, sagte zuletzt Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
Immitzer nimmt neben Bund und Ländern auch die Netzbetreiber in die Pflicht: „Die Netze gehören ausgebaut, damit Private und Unternehmen überschüssigen Strom aus PV-Anlagen häufiger einspeisen können. Auch in diesem Bereich wurde viel verschlafen.“
Grundtenor der Expertinnen: In Österreich drückt der Bund tendenziell aufs Tempo, während die Länder den Ausbau häufig blockieren. Positivnachrichten gibt es vor allem im PV-Bereich. „Bis 2030 müssen wir jährlich PV-Anlagen im Umfang von 1.500 Gigawattstunden zubauen. Heuer sind wir fast auf Kurs“, betont Immitzer. „Wenn wir bis 2040 wirklich klimaneutral werden wollen, muss aber viel mehr geschehen.“
Wir sind sparsamer
Ein weiteres Problem, dass sich heuer während der trockenen Sommermonate zeigte: Der Gasverbrauch ist im August und September gestiegen, da die Wasserkraft – aufgrund der Dürre herrschte europaweit Wassermangel – schwächelte. Setzt sich dieser Trend fort, würden vor allem die westlichen Bundesländer unter Druck kommen, die einen hohen Anteil an Wasserkraft haben – und de facto keine Windräder.
Immerhin deutet sich 2022 laut den Auswertungen der Regulierungsbehörde E-Control an, dass die Österreicher stärker sparen: Im Oktober ist der Strom- und Gasverbrauch im Vergleich zum Vorjahresmonat stark gesunken. Ob das am warmen Wetter oder den hohen Preisen lag, wird die Auswertung für die Wintermonate zeigen.
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