OGH-Präsident kritisiert "Verwilderung des Klimas" in Debatten um die Justiz
Es sind turbulente Zeiten, in denen Georg Kodek als einer der höchsten Justiz-Repräsentanten die Bühne betritt. Der Zivilrechtler wurde im Dezember zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH) ernannt. Im KURIER-Interview spricht der 60-jährige Wiener über Spione und Trojaner, sinn- und unsinnige Vorstöße von grüner und türkiser Seite, und über Polarisierung und Waffenungleichheit in den Debatten rund um die Justiz.
KURIER: Die Causa um den mutmaßlichen Russland-Spion Egisto Ott betrifft in erster Linie das Innenministerium – aber auch die Justiz ist in die Kritik geraten, weil sie 2017, als es erste Vorwürfe gab, nicht reagiert hat.
Georg Kodek: Wenn es damals Hinweise aus der Szene gab, ist denkbar, dass diese nicht ausgereicht haben, um ein Strafverfahren zu führen. In der Spionageabwehr geht es ja primär nicht darum, gerichtsförmliche Beweise zu sammeln und Strafverfahren zu führen. Dazu bräuchte man Zeugen, die auch vor Gericht auftreten würden. Es geht eher um geheime Quellen und um Tipps, die Handlungsanlass geben.
Dennoch reagierte Justizministerin Alma Zadić mit der Ankündigung, die Spionage-Gesetze zu verschärfen. Was halten Sie davon?
Solche Ankündigungen sind für Politiker immer attraktiv, lösen die Probleme aber nicht. Wenn, dann braucht es eine Aufstockung der Ressourcen der Spionageabwehr.
Die ÖVP knüpft daran ihre alte Forderung nach einer Überwachungssoftware, den „Bundestrojaner“.
Ich bin der Ansicht, dass Ermittlungsmöglichkeiten nicht hinter der technischen Entwicklung zurückbleiben sollten. Es gibt Bereiche, ganz konkret soziale Netzwerke, WhatsApp etc., wo man nachschärfen wird müssen, weil es nicht sein kann, dass große Teile der Alltagskommunikation dem Zugriff der Polizei entzogen sind.
Die Grünen lehnen einen Bundestrojaner dezidiert ab. Zuletzt sagte die grüne Justizministerin, dass die ÖVP etwas anderes vorlegen soll, dann könne man reden.
In einer seriösen Diskussion evaluiert man zuerst und zieht dann Schlussfolgerungen. Es ist immer sinnvoll, zu schauen: Wie machen es andere Länder?
Zadić war auch lange gegen eine Verschärfung bei der Handysicherstellung – bis der Verfassungsgerichtshof genau das eingefordert hat.
Ich halte die Entscheidung des VfGH für absolut nachvollziehbar. Ich habe nie verstanden, warum ein Handy weniger geschützt ist als Aufzeichnungen in Papierform.
Brauchen wir ein Zitierverbot, wie es die ÖVP fordert?
An das Zitierverbot sind überhöhte Erwartungen geknüpft. Griffige Zitate aus Chats, wie wir sie kennen, wären wohl weiterhin möglich. Wir haben im Medienrecht ja bereits eine sehr ausgewogene Regelung, die beim Inhalt ansetzt. Das ist mir persönlich lieber als formale Gesichtspunkte.
Vielen Betroffenen reicht das nicht, um öffentliche Vorverurteilungen zu vermeiden. Fällt Ihnen eine Lösung ein?
Verfahren sollten kürzer und zielgerichteter geführt werden. Wenn das Verfahren in einem halben Jahr erledigt ist, sind wir sehr schnell im Stadium der öffentlichen Verhandlung, wo Beweise aufgenommen, evaluiert und von den Beteiligten kommentiert werden können. Das ist ein ganz anderes Umfeld.
ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler will mit dem Zitierverbot auch die Richter schützen. Diese könnten ja, sagt sie, durch Medienberichte beeinflusst werden.
Es ist sicher eine Herausforderung, in unserer modernen Medienwelt tätig zu sein. Die Versuchung, den Medien nach dem Mund zu reden und um Beifall zu heischen, ist groß. Aber mit dem Zitierverbot hat das aus meiner Sicht überhaupt nichts zu tun. Auch ohne Zitate kann in der Berichterstattung eine gewisse Erwartungshaltung geschaffen werden. Das muss ein Richter aushalten.
Haben Sie diese Versuchung selbst einmal erlebt?
Glücklicherweise nicht. Ich habe seit 30 Jahren ausschließlich Zivilverfahren verhandelt, die zwar auch sehr wichtig sind, aber außerhalb der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit stattfinden.
Georg Kodek
wurde 1963 in Wien geboren und studierte Rechtswissenschaften. Seine Dissertation hatte „rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozess“ als Thema. Seit 2006 ist Kodek beim OGH. 2023 ging er im Bewerbungsverfahren für das Amt des OGH-Präsidenten als Erstgereihter hervor.
Neuer Modus
Kodek war die erste Besetzung nach dem neuen Bestellmodus: Erstmals wurde ein Personalsenat eingebunden, zuvor lag das Vorschlagsrecht direkt bei der Justizministerin. Diese Änderung war Folge einer Postenschacher-Affäre um OGH-Vizepräsidentin Eva Marek, die 2022 publik geworden war.
Die Beschuldigten drängen oft selbst in die Medien. Siehe Sebastian Kurz im Falschaussage-Prozess, der sich gleich nach der Urteilsverkündung vor die Kameras gestellt und das Urteil als „sehr ungerecht“ kritisiert hat.
Das konkrete Verfahren möchte ich nicht kommentieren. Wir sind in den vergangenen Jahren zunehmend mit Litigation PR konfrontiert, viele Anwälte und Berater spielen hervorragend auf diesem Klavier. Die Justiz kann dem kaum etwas entgegensetzen. Wir sind einem strengen Sachlichkeitsgebot unterworfen.
Die Verteidiger dürfen alles sagen, die Richter und Staatsanwälte nichts?
Nur in einem sehr engen Rahmen und nur sehr sachlich. Extremen Äußerungen dürfen wir nichts Extremes entgegensetzen. Wir haben eine Verwilderung des Diskussionsklimas, eine starke Polarisierung und eine „kritische“ Öffentlichkeit, bei der sehr leicht mit Verschwörungstheorien gepunktet wird. Hinzu kommt, dass der Respekt vor Autoritäten abgenommen hat. Und in dieser Landschaft finden eben auch Gerichtsverfahren statt.
Wie soll die Justiz da gegensteuern?
Nur sehr schwer. Ich glaube, dass Aufklärung, Transparenz und Information der beste Weg sind – nicht so sehr Verbote. Im OGH bin ich dabei, das Angebot für Journalisten zu verbessern.
Wie geht es Ihnen beim OGH mit dem leidigen Thema Verfahrensdauer?
Hervorragend. Wir haben eine Durchschnittsdauer von drei bis vier Monaten, sind im nationalen wie internationalen Bereich Spitzenreiter. Auch die unteren Instanzen sind rekordverdächtig schnell. Sicher gibt es immer einzelne Verfahren, die wesentlich länger dauern. Die muss man sich anschauen, aber die wird es immer geben.
Apropos: Die Buwog-Causa liegt beim OGH. Wird es im Sommer eine Entscheidung über die Berufungen geben?
Ich möchte mich nicht auf einen Zeitraum festlegen. Das Verfahren ist im Juni 2023 bei uns angefallen. Um den Umfang zu veranschaulichen: Es sind 16.000 Seiten Verhandlungsprotokoll, das Urteil hat 1.300 und die Rechtsmittel haben 1.200 Seiten.
Sie haben angekündigt, den OGH „modernisieren“ zu wollen. Was heißt das?
Ich möchte, dass Entscheidungen noch schneller bei den Rechtssuchenden ankommen. Dazu gehört auch, den Supportbereich auszubauen. Wir brauchen dort mehr Planstellen, wie sie auch andere Gerichte bekommen haben.
Woran soll man am Ende Ihrer Amtszeit Ihren Erfolg messen, wie wollen Sie in Erinnerung bleiben?
Das Amt ist vergleichbar mit dem Kapitän eines sehr großen Schiffes. Das macht keine radikalen Wendungen oder enge Kurven, sondern fährt relativ bedächtig. Wenn es mir gelingt, dieses Schiff zu steuern, ohne dass es in Seenot gerät, dann ist schon viel erreicht. Wenn ich dann noch sichtbar machen kann, wie sich hier Kollegen tagtäglich Mühe geben, Rechtsschutz zu bieten – mehr kann man sich nicht wünschen.
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