Norbert Wess: Anwalt, Beistand, Freund - von Grasser, Benko & Co.

Nur einen Tag, ehe publik wurde, dass es gegen René Benko in der Signa-Causa bald die erste Anklage geben könnte, war Benkos Anwalt Norbert Wess Gast in einem „Milchbar Spezial“-Podcast.
Die aktuelle Entwicklung kann er nicht kommentieren, sagt er auf Rückfrage. Die Presseaussendung der WKStA, wonach ein Vorhabensbericht an die Oberbehörde geschickt wurde, nehme er zur Kenntnis, über weitergehende Informationen verfüge er nicht.
Wess ist der Experte in Sachen Wirtschaftsstrafrecht, er hat auch Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und die frühere Familienministerin Sophie Karmasin vertreten. Im Podcast erzählt der Strafverteidiger, wie er seine Mandanten in U-Haft und Haft begleitet und was sich aus seiner Sicht dringend ändern muss.
Seine spannendsten Aussagen, hier zusammengefasst:
Warum er großteils nicht geständige Mandanten hat: Das sei eine Typ-Frage, sagt er: „Wenn man der Typ Anwalt ist, der gerne verteidigt und Ungereimtheiten aufzeigt, dann ist man da eher nachgefragt. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht ist vieles nicht weiß oder schwarz, sondern in Grauschattierungen.“
Wie es Grasser und Benko im Gefängnis geht, erzählt er nicht im Detail, kann aber bestätigen, dass es mehrere Phasen gibt: erst der „Haftschock“, dann die Eingewöhnung und schließlich die Gefahr, innerlich abzusterben. Aber: „Jeder Mandant ist anders. Der eine ist verschlossen, der andere braucht ganz viel emotionale Unterstützung, der dritte viel Ablenkung mit Arbeit.“
Seine Rolle dabei sei häufig die eines „Psychologen und Beistands“, sagt Wess. „Du musst diesen Menschen auch als Freund begleiten.“ Das eine schließe das andere nicht aus: „Dass man jemandem professionell zur Seite steht, aber auch den einen oder anderen emotionalen Moment begleitet, halte ich für richtig und wichtig.“
Der Arbeitsaufwand im Signa-Verfahren „ist sehr intensiv. Wir haben ein Team, das täglich daran arbeitet. Der Akt wächst sehr schnell an, pro Woche kommen 100 bis 120 neue Ordnungsnummern dazu, manche haben mehr als 100 Seiten.“
Die Diversion würde Wess gerne in zweierlei Hinsicht ausweiten: Erstens solle ein Beschuldigter, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, die Diversion im Ermittlungsverfahren selbst beantragen können. Eine Diversion bedeutet, dass ein Beschuldigter keine Strafe, sondern (in vielen Fällen) eine Geldbuße bekommt. Derzeit muss das Angebot von der Staatsanwaltschaft kommen, und sie ist nur bei Delikten mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren oder bei Vermögensdelikten mit Schadenssummen von bis zu 300.000 Euro möglich.
In Wirtschaftsstrafsachen würde eine Ausweitung der Diversion „sehr zur Verfahrensbeschleunigung beitragen“, sagt Wess – und er würde, so der zweite Punkt, die Obergrenze beim Schaden streichen. „Ich halte es für denkbar, dass auch Sachverhalte mit einer Million Euro diversionell erledigbar sein könnten und andere, mit 100.000 Euro, nicht.“ Je nachdem, ob es auch eine „persönliche Bereicherung“ gab.
Wirtschaftskriminelle sollen sich also „frei kaufen“ können? Wess hinterfragt, ob Haft im Wirtschaftsstrafrecht immer die sinnvollste Sanktion sei – am Ende des Tages, so der Verteidiger, gehe es bei der Haft ja darum, die Gesellschaft vor einer Person zu schützen. „In einem aufgeklärten Rechtsstaat muss man die Frage stellen, ob ich nicht auch andere Sanktionsformen finde, die eine wirkliche Strafe für den Betroffenen darstellen und pro futuro andere von der Tat abhalten.“
Zum Beispiel? „Statt fünf Jahren Haft siebeneinhalb Jahre karitative Dienste.“
Wirtschaftsstraftäter seien „keine Heiligen“, aber „gerade Unternehmer stehen oft vor extrem schwierigen Entscheidungen“, sagt Wess und schildert im Podcast den Fall eines Mandanten, dem ein Angebot gemacht worden sei: Seine Firma wäre zwei Jahre lang bestens mit Aufträgen ausgelastet gewesen, im Gegenzug hätte er Studien in einem Drittland in Auftrag geben sollen – was sich nach Kick-back angefühlt habe.
„Es gehört viel Mut dazu, sich in die eine oder andere Richtung zu entscheiden“, sagt Wess und betont: „Für mich sind diese Leute bis zu einem gewissen Grad keine Schwerstverbrecher. Ich sehe mehr die Situation, die dazu führt.“
Beim medialen Umgang mit Strafverfahren sieht Wess eine „negative Entwicklung“, die der Technik geschuldet sei, wie er sagt: „Medien berichten in einem Tempo, wo du keine Chance mehr hast auf Richtigstellung.“ Die Unschuldsvermutung gehe „den Bach hinunter“.
Medien seien in einem Rechtsstaat „extrem wichtig als Public Watchdog, der aufpasst, dass Behörden nichts unter den Tisch fallen lassen.“ Aber, so sein „provokanter Standpunkt“: „Sobald ein Ermittlungsverfahren begonnen hat, glaube ich nicht, dass es den Watchdog braucht.“
Ein „Berichtsverbot“ stellt er sich so vor: Die Behörde solle nur bestätigen, dass es Ermittlungen gibt – mehr nicht. Sobald die Gerichtsverhandlung beginnt, gilt ohnehin der Grundsatz der Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit. Derzeit darf jeder Verteidiger im Interesse seines Mandanten jederzeit Aktenteile an die Medien weitergeben. Wess: „Das könnte man in der Strafprozessordnung ändern – zu einem Verbot der Veröffentlichung, wie es ursprünglich im Gesetz geplant war.“
Wenn Journalisten nicht schreiben dürfen, was sie recherchieren (bzw. von wem auch immer zugespielt bekommen) – ist das Zensur? Das weist Wess zurück. Es gehe um eine „Interessensabwägung“, die „besser und sachgerechter“ gemacht gehöre. Etwa so: „Im Ermittlungsverfahren gibt man der Privatsphäre Vorrang und ist deshalb ganz restriktiv mit der Berichterstattung. Im Hauptverfahren schlägt dann das volle Recht auf Information und Öffentlichkeit durch.“
Mit einer Ausnahme: Ein Beschuldigter solle einen „Grundrechtsverzicht“ abgeben und dann „mit offenem Visier an die Öffentlichkeit gehen“ können. Dann solle aber auch die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit haben, sich zu äußern.
Dass so eine Reform wohl nicht kommt, weil der „Lauf der Zeit und die Entwicklungen völlig gegenteilig sind“, sei ihm bewusst, sagt Wess.
Kollegen reagieren auf diesen Standpunkt unterschiedlich, sagt Wess. „Es konnte mir in der juristischen Abhandlung noch keiner ein taugliches Gegenargument liefern. Eine Abwägung der Grundrechte ist immer vorzunehmen – und so, wie es jetzt ist, ist sie durchgehend zum Nachteil des Betroffenen.“
Apropos öffentlich: Untersuchungsausschüsse sollten live übertragen werden – so wie Plenarsitzungen im Nationalrat, sagt Wess, der schon viele Auskunftspersonen als Vertrauensperson begleitet hat. „Es könnte dazu beitragen, dass die ein oder andere Sitzung etwas sachlicher erfolgen würde.“
Sollte er selbst einmal einen Strafverteidiger brauchen, dann wüsste er genau, wen er anruft. „Ich weiß, in welchen Bereichen ich es als Anwalt nicht so schlecht mache, und auch, wer den Bereich sonst gut bewerkstelligt. Und in Bereichen, wo ich nicht praktiziere, weiß ich es umso mehr.“

"Milchbar Spezial"-Podcast mit Raffaela Lindorfer, Christian Böhmer, Norbert Wess und Johanna Hager (v. li.).
Norbert Wess
(*1975) wollte als Kind Profi-Fußballer werden, der Legende nach hat ihm Hans Krankl aber davon abgeraten.
Aufgewachsen in Niederösterreich, studierte er dann Jus und arbeitete in einer Wirtschaftskanzlei, ehe er sich 2004 als Strafverteidiger selbstständig machte. Er vertrat seither u. a. Karl-Heinz Grasser in der Buwog-Causa, aktuell vertritt er René Benko.
Wess ist verheiratet und hat zwei Töchter.
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