Buwog-Affäre: Ende eines "beispiellosen" Verfahrens

Korruptionsprozess gegen den ehemaligen österreichischen Finanzminister Karl-Heinz Grasser.
Inhaltlich hat der Oberste Gerichtshof die Schuldsprüche gegen Ex-Finanzminister Grasser und andere bestätigt. Die Dauer des Verfahrens sei unzumutbar, Spott und Häme "unerträglich".

Als Karl-Heinz Grasser vergangenen Freitag vor fünf Richtern des Obersten Gerichtshofs (OGH) steht, um ein letztes Mal seine Unschuld zu erklären, wandert sein Blick zu einem Gemälde beim Eingang: „Legitime Certantibus“, für die „rechtmäßig Streitenden“, steht über dem Gemälde von Ferdinand II. Grasser macht sich des Kaisers Wahlspruch zu eigen. Auch er sei ein rechtmäßig Streitender, sagt der 56-Jährige. „Ich kann mich in den Spiegel schauen.“ Und was ihn bis zuletzt habe funktionieren lassen, sei der Gedanke gewesen, am Ende eines 16 Jahre währenden Gerichtsverfahrens Gerechtigkeit zu erfahren.

Seit Dienstag, 11.43 Uhr, weiß Grasser: Die Hoffnung auf einen Freispruch war vergebens. Die Urteile werden vom OGH weitgehend bestätigt, der Ex-Minister, sein Trauzeuge Walter Meischberger und andere müssen in den nächsten Wochen eine Strafhaft antreten.

Die Angeklagten sehen sich als Justizopfer, von einem „Fehlurteil“ ist die Rede, sie wollen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Ein Mann mit Brille und Anzug sitzt an einem Tisch mit Mikrofonen.

Karl-Heinz Grasser

1993 - FPÖ-Generalsekretär

Zwei Männer in Anzügen sitzen lächelnd an einem Tisch.

1994 mit FPÖ-Chef Jörg Haider

Eine Gruppe von Personen sitzt bei einer Konferenz oder einer ähnlichen Veranstaltung.

2000: Reformdialog

Grasser, Susanne Riess-Passer, Wolfgang Schüssel, Fritz Verzetnitsch, Christoph Leitl

Zwei Männer in Anzügen unterhalten sich auf einer Veranstaltung.

2000: Grasser mit Kabinettschef Matthias Winkler

2000: Grasser mit Kabinettschef Matthias Winkler

Mehrere Fotografen und Politiker sitzen an einem Tisch während einer Pressekonferenz.

Ministerrat 2001: Grasser, Staatssekretär Alfred Finz, Mares Rossmann

Ministerrat 2001: Grasser, Staatssekretär Alfred Finz, Mares Rossmann

Helmut Kohl und ein weiterer Mann gehen einen Flur entlang.

2002: Mit Klaus Liebscher, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank

2002: Mit Klaus Liebscher, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank 

Ein Mann in einem Anzug hält eine Rede vor zwei Zuhörern.

Plenartag 2001: Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Kanzler Wolfgang Schüssel

Plenartag 2001: Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Kanzler Wolfgang Schüssel

Drei Personen stehen vor einer Reihe von Mikrofonen und Flaggen.

2002: Peter Westenthaler, Susanne Riess-Passer und Grasser treten zurück

2002: Peter Westenthaler, Susanne Riess-Passer und Grasser treten zurück

Mehrere Personen sitzen an einem Tisch mit Mikrofonen vor einem FPO-Banner.

Sonderparteitag Knittelfeld 2002

Hubert Gorbach, Susanne Riess-Passer, Peter Westenthaler, Herbert Scheibner, Karl-Heinz Grasser

Zwei Männer und eine Frau lächeln, während ein Mann dem anderen einen roten Umschlag überreicht.

2005: Kitzbühel Mit Red-Bull Gründer Dietrich Mateschitz und

Grasser mit seiner Freundin Natalia Corrales-Diez und Red-Bull Gründer Dietrich Mateschitz 

Ein Mann im Anzug gießt ein Getränk aus einer Dose in ein Glas.

Finanzminister in seinem Büro

Ein Mann im Anzug hält ein Sparbuch in der Hand und gestikuliert.

2006: Causa Bawag wird publik

Regierung eröffnet öffentlichkeitswirksam Sparbücher

Ein Mann im Smoking und eine Frau mit Ohrringen schauen sich an.

Opernball 2006: Grasser mit Fiona Swarovski

Opernball 2006: Grasser mit Fiona Swarovski

Ein Mann im Anzug kniet neben einem Schäferhund mit „Zoll“-Abzeichen.

Pressetermin 2006: Zigarettenschmuggel

Pressetermin 2006: Zigarettenschmuggel

Ein strahlendes Brautpaar wird von Gästen und einem ORF-Mikrofon umgeben.

2006: Hochzeit

Mit Trauzeugen Walter Meischberger

Drei Männer in Anzügen sitzen und unterhalten sich während einer Präsentation.

2006: Präsentation Wirtschaftsbericht

Mit Wolfgang Schüssel und Martin Bartenstein

Ein Mann im Anzug wird von einer Reporterin des ORF interviewt.

Causa Buwog 2010: Grasser vor Gericht in Wien

Causa Buwog 2010: Grasser vor Gericht in Wien

Ein Mann im Anzug liest eine Ausgabe des Magazins „profil“.

Pressekonferenz zur Causa Buwog

Pressekonferenz zur Causa Buwog

Drei Männer sitzen an einem Tisch bei einer Anhörung.

2015: Hypo U-Ausschuss

2015: Hypo U-Ausschuss

Ein Mann mit braunen Haaren lächelt inmitten einer Menschenmenge.

2018: Staatsakt anlässlich 100 Jahre Republik

Jsoef Pröll, Rudolf Streicher, Hans Jörg Schelling, Karl-Heinz Grasser, Rudolf Hundstorfer

Drei Personen, kostümiert als Indianer und als Richter, halten einen Teller mit Berlinern.

Villacher Fasching mit Susanne Riess-Passer und Jörg Haider

Villacher Fasching mit Susanne Riess-Passer und Jörg Haider

Ein Mann und eine Frau stehen lächelnd im Freien, möglicherweise bei einer Sportveranstaltung.

2017: Kitzbühel mit Fiona Swarovski

2017: Kitzbühel mit Fiona Swarovski

Zwei Männer in Anzügen unterhalten sich vor einer Wand.

BUWOG GRASSER PROZESS: GRASSER / MEISCHBERGER

Mehrere Männer stehen oder sitzen an einem Tisch mit Namensschildern und diskutieren.

2020: Buwog-Prozess

Ex-Telekom Vorstand Rudolf Fischer, Angeklagter Peter Hochegger, Angeklagter Walter Meischberger, Anwalt Manfred Ainedter, Angeklagter Karl Heinz Grasser am Mittwoch 09. September 2020 

Zwei Männer in Anzügen unterhalten sich, beide tragen eine Gesichtsmaske.

BUWOG-GRASSER-PROZESS: GRASSER / AINEDTER

Ein Mann im Anzug sitzt an einem Tisch und blickt auf sein Mobiltelefon.

GRASSER-PROZESS: GRASSER

Zwei Männer in Anzügen tragen Gesichtsmasken.

2020: Urteilsverkündung

Eine Frau in Robe hält eine FFP2-Maske in der Hand.

Buwog-Richterin: Marion Hohenecker

Buwog-Richterin: Marion Hohenecker

Ein Mann im Anzug schaut auf seine Armbanduhr, neben ihm ein Mann in Robe.

25.3.2025: Oberster Gerichtshof reduziert Strafe

4 statt 8 Jahre Haft für Grasser, im Bild mit Anwalt Norbert Wess

Mehrere Personen in Anzügen stehen in einem Konferenzraum.

25.3.2025: Oberster Gerichtshof-Entscheid

Grasser mit Anwälten, im Hintergrund Karl Petrikovics

Ein Mann mit grauem Haar wird von Reportern mit Mikrofonen interviewt.

Walter Meischberger

Walter Meischberger

Ein Mann im Anzug blickt auf seine Armbanduhr.

VERHANDLUNG OGH ÜBER NICHTIGKEITSBESCHWERDE UND BERUFUNGEN

Karl Heinz Grasser am 25.3.2025

Mehrere Personen, darunter Richter in Roben, stehen in einem Gerichtssaal.

Disziplin

Ehe man sich die stellenweise bemerkenswerte Begründung des OGH für seine historische Entscheidung ansieht (das Verfahren dauerte 16 Jahre, es ging um ein Geschäft von 961 Millionen Euro), lohnt der Blick auf Grasser selbst: Wie 2017 bis 2020 vor dem Straflandesgericht, übt sich der Ex-Minister auch vor dem OGH in Disziplin. Eindreiviertelstunden lang referiert Senatsvorsitzende Christa Hetlinger die Beweggründe. Und während des gesamten Vortrags ist dem früheren Regierungsmitglied kaum eine Regung anzumerken.

Grasser lauscht stoisch. Während Sitznachbar Meischberger gegen Ende hin mehrfach den Kopf schüttelt und sein Gesicht in den Händen vergräbt (er wird später sagen, sein Glaube an den Rechtsstaat sei heute erloschen), nimmt Grasser zwischendurch nur kurz das Handy zur Hand und nippt am Wasserbecher.

Viel von dem gestern von der Senatschefin Gesagten ist bekannt und entspricht der Stellungnahme der Generalprokuratur, die dem OGH empfohlen hat, die Buwog-Urteile in großen Teilen zu bestätigen.

All den, von den Angeklagten vorgebrachten Vorwürfen, Strafrichterin Marion Hohenecker sei voreingenommen gewesen und habe den Prozess unfair geführt, widerspricht das Höchstgericht: „Die Vorsitzende hat das Verfahren vorbildlich geführt.“

Da es nicht alle Tage vorkommt, dass ein Ex-Finanzminister wegen einer hohen Haftstrafe vor dem Obersten Gerichtshof steht, hält der OGH an diesem Dienstag auch öffentlich fest, was nicht seine Rolle ist: den Prozess zu wiederholen, sprich: Zeugen zu befragen und Tatsachen zu überprüfen.

Die letzte Instanz der Gerichtsbarkeit studiert vor allem Akten, und das bedeutet im Fall der Buwog: Die fünf Höchstrichter haben das 1.280 Seiten starke Urteil auf Widersprüche, Fehler und andere Mängel durchforstet und folgende Frage geklärt: Haben sich Hohenecker und die Laienrichter beim Prozess mit allen wesentlichen Fakten beschäftigt? Wurde alles Erhebenswerte erhoben?

Der OGH ist der Ansicht: ja, so ist es. Und was die abgeleiteten Schlüsse – und damit auch das Urteil – angeht, ist nur von Relevanz, ob all das, was das Straflandesgericht vor fünf Jahren entschieden hat, auch schlüssig und nachvollziehbar erscheint.

Die schlechte Nachricht lautet an diesem Tag für Karl-Heinz Grasser: Der OGH hat zwar kleine Mängel festgestellt. Insgesamt ist der Sachverhalt aber umfassend und nachvollziehbar erhoben worden – das Urteil ist schlüssig und nachvollziehbar.

Ein spannendes Detail: In der Sache, also beim Korruptionsdelikt, haben die Höchstrichter nicht im Detail bewertet, nämlich: Wie wahrscheinlich es ist, dass Meischberger von seinem Freund Grasser das Höchstgebot der CA Immo erfahren und damit einen entscheidenden Bietervorteil für seinen Kunden, die Immofinanz, bekommen hat.

Der OGH argumentiert anders: Grasser wusste, dass die Immofinanz Meischberger und dessen Partner Peter Hochegger fast zehn Millionen Euro als Zuschlagsprovision bezahlen wollte. Und damit stand Grasser vor einem Loyalitätskonflikt. Als Finanzminister der Republik, der mit dem Verkauf der Buwog-Wohnung betraut war, hätte er im Wissen um diese Provision gar nicht verkaufen dürfen – die Immofinanz war ja bereit, nicht 961 Millionen Euro, sondern 961 Millionen plus 9,6 Millionen Euro Provision auszulegen. Senatschefin Hetlinger: „Herr Magister Grasser hat nicht im bestmöglichen Interesse der Republik gehandelt.“

Damit ist man dann auch bei den Strafen: Diese hat der Oberste Gerichtshof deutlich reduziert, bei Grasser von acht auf vier, bei Meischberger von sieben auf 3,5 Jahre.

Allerdings nicht, weil man die Straftaten „bagatellisieren wollte“, wie der Senat festhält, im Gegenteil: Die Höchstrichter lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es für sie kaum etwas Schlimmeres gibt als ein Mitglied der Bundesregierung, dessen „erste und einzige Aufgabe der Staatshaushalt ist“, und das sich an diesem Geld der Steuerzahler „persönlich bereichert“.

„Das ist beispiellos“, sagt Hetlinger empört.

Warum also dann die reduzierten Haftstrafen?

Auch dieser Aspekt ist bemerkenswert: Denn tatsächlich stoßen sich die Höchstrichter an der 16 Jahre währenden Dauer des Verfahrens. Diese sei so „exorbitant lang und unangemessen“, dass man sogar von einer Menschenrechtsverletzung sprechen kann.

Nur dieses eine Mal wird Christa Hetlinger persönlich: Ungeachtet der Straftaten sei es „unerträglich“, mit welch Spott und Häme die Angeklagten mehr als ein Jahrzehnt lang konfrontiert waren. Dass die Angeklagten alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel und Möglichkeiten des Rechtsstaates ausgeschöpft haben, tue nichts zur Sache.

Warum? „Sie haben ein Grundrecht ausgeübt.“

Reaktion des OGH-Präsidenten

OGH-Präsident Georg Kodek wies in der "Zib 2" Grassers Behauptungen zurück. Das Gericht habe sich mit der Causa sorgfältig und ausführlich auseinandergesetzt und die Richterin habe erklärt, warum die behaupteten Verfahrensfehler nicht vorlägen. Auch, dass die Richterin Hohenecker durch die Grasser-kritischen-Kommentare ihres Ehemannes befangen gewesen sei, wies Kodek entschlossen zurück und begründete: "Wir leben glücklicherweise in einer Zeit, in der man nicht mehr automatisch annimmt, dass die Ehefrau dasselbe glaubt, wie ihr Ehemann". Gefragt, ob man sagen könne, dass Grasser also über eineinhalb Jahrzehnte gelogen habe oder ein unschuldiger Mann verurteilt wurde, sagte Kodek: "Das ist eine zulässige Interpretation."

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