Unter dem Aspekt des Fristenlaufs müsste die Koalition bis Anfang März 2022 scheitern, damit sich Wahlen vor dem Sommer ausgehen.
Nach dem Sommer wird es nämlich terminlich eng. Spätestens im November muss der erste Durchgang der Bundespräsidentenwahl stattfinden, um genügend Spielraum für eine Stichwahl vor Weihnachten zu haben. Am 26. Jänner 2023 ist die laufende Amtsperiode zu Ende, da muss Alexander Van der Bellen oder dessen Nachfolger gewählt sein.
Im September 2022 wird der Hofburg-Wahlkampf starten. Derzeit geht man in den Parteien davon aus, dass Van der Bellen für eine zweite Amtszeit kandidiert.
Terminlich ist das Korsett für Neuwahlen also eher eng. Aber wie wahrscheinlich sind sie politisch?
Am ehesten will die FPÖ wählen, weil ihr Zugewinne winken und ihre Personalsituation geklärt ist: Spitzenkandidat würde Parteichef Herbert Kickl.
Bei den Neos ist es ähnlich. Beate Meinl-Reisinger ist Fixstarterin.
Die SPÖ würde bei Wahlen zwar zulegen, aber Pamela Rendi-Wagner kann nicht sicher sein, dass ihre Partei sie aufstellt. Ihr Plan, Kanzlerin zu werden, ging nicht auf. Hans Peter Doskozil lauert weiter im Hintergrund, es könnte aber auch jemand Dritter auf den Plan treten. Ein Personalstreit scheint in der SPÖ unausweichlich.
Die ÖVP hat kaum Interesse an Wahlen – da muss man nur die Umfragen anschauen. Kanzleramt und Regierungsbeteiligung könnten futsch sein, wenn sich Mehrheiten ohne ÖVP rechnerisch ausgehen oder politisch finden (Grafik).
Zudem schweben über ÖVP-Obmann Sebastian Kurz Gerichtsverfahren und weitere Ermittlungen.
Bleiben die Grünen als entscheidende Partei für eine Neuwahl-Mehrheit im Nationalrat. Auch sie haben kein Motiv für Wahlen: Sie sind bereits Partner in einer Bundesregierung; und sie sind durch die jüngsten Ereignisse politisch gestärkt.
Dennoch gibt es realistische Neuwahl-Szenarien:
- Es kommt zu weiteren Enthüllungen, und die Grünen fürchten, als ÖVP-Partner beschädigt zu werden.
- Die Türkisen üben Vergeltung, weil die Grünen Kurz zum Rückzug zwangen. Alexander Schallenberg und Werner Kogler wollen "die entstandenen Gräben" zwar "zuschütten", aber das muss erst einmal gelingen. Es wäre nicht die erste Regierung, die an Zerrüttung scheitert.
Kurz genießt unter den ÖVP-Anhängern immer noch enormen Rückhalt.
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