"Nachbar in Not“: Was hinter der Kritik an Jobbesetzung und mangelnder Transparenz steckt
Im einstelligen Millionenbereich bewegt sich das Spendenvolumen, das „Nachbar in Not“ üblicherweise pro Jahr für Hilfsaktionen lukriert. Mehr als 90 Millionen Euro sind heuer im Frühjahr für die Aktion „Hilfe für die Ukraine“ zusammengekommen.
Rund um dieses außergewöhnlich hohe Spendenvolumen gibt es Wirbel in der Koalition (der KURIER berichtete) und auch in der NGO-Szene. Zentrale Figur ist dabei Stefan Wallner.
Nachbar in Not ist eine Stiftung, der ORF ist Markeninhaber und mediale Bühne. Mitglieder sind Rotes Kreuz, Caritas (stellt derzeit den Vorstandschef), Arbeiter-Samariter-Bund, Care, Diakonie, Hilfswerk, Malteser und Volkshilfe
50,9 Millionen Euro gab es bisher an Privatspenden für die Ukraine-Hilfe. 2020 gab es für Hilfsprojekte 7,3 Millionen Euro, 2021 nur 1,5 Millionen Euro
42 Millionen Euro legt die Regierung bei der Ukraine-Hilfe drauf. Der Auslandskatastrophenfonds ist heuer mit 105 Mio. Euro dotiert
Waller war Kabinettschef bei Vizekanzler Werner Kogler und hat sich als solcher für die Ukraine-Spendenaktion engagiert. Jetzt wurde bekannt, dass er die damit verbundenen Hilfsaktivitäten bei „Nachbar in Not“ koordinieren soll. Er verwaltet also genau jenes Geld, das er sich zuvor in der Koalition erstritten hat. Sogar Parteikollegen, die Grünen, sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer „schiefen Optik“.
Job-Ausschreibung
Die NGO-Szene bewegt die Frage: Wie kam Wallner zu dem Job? Es hätte in den acht Hilfsorganisationen, die zur „Nachbar in Not“-Stiftung gehören, auch einige qualifizierte Frauen gegeben, heißt es. Vermutet wird, dass sich die Caritas, die derzeit den Vorstandsvorsitz hat, für Wallner eingesetzt hat – er war bis 2006 ihr Generalsekretär.
An seiner Qualifikation besteht kein Zweifel, räumen sogar seine Kritiker ein. So argumentiert auch die Caritas auf KURIER-Anfrage: Wallner habe sich bei mehreren Organisationen beworben, „wir sind froh, dass er sich mit seiner langjährigen Erfahrung zur Verfügung stellt“. Der Job sei intern ausgeschrieben worden, die Entscheidung traf der Vorstand im Mai.
Verwendung der Mittel
Koalitionsintern herrscht Unmut wegen der Spendenmittel. Zur Erinnerung: Die Regierung hat im März zugesagt, jene Spenden, die bis Ostern für die Ukraine-Hilfe bei „Nachbar in Not“ eingehen, zu verdoppeln. 42 Millionen Euro waren daraufhin fällig, die das Außenministerium zum Großteil internationalen Organisationen geben wollte.
Diese würden über die Strukturen und Netzwerke vor Ort verfügen, um mit derart hohen Summen umzugehen und sie rasch Projekten zuzuführen. Bei „Nachbar in Not“ hat man diesbezüglich gröbere Zweifel.
Im Vizekanzler-Kabinett pochte Wallner aber darauf, dass die Summe zur Gänze an „Nachbar in Not“ geht – und setzte sich letztlich durch.
Was ist nun also mit dem Geld aus der Ukraine-Hilfe passiert? Die 42 Millionen Euro von der Regierung sind vertraglich fixiert, aber noch nicht überwiesen, erklärt eine Caritas-Sprecherin. Von den 50,9 Millionen Euro, die „Nachbar in Not“ von Privatspendern erhalten hat, seien schon 13 Millionen in Umsetzung. So gebe es Projekte für die Versorgung von Vertriebenen innerhalb der Ukraine und in Nachbarländern.
Kein Tätigkeitsbericht
Wie die Spendenmittel genau verwendet werden, ist allerdings nicht ganz klar. Einen Tätigkeits- bzw. Transparenzbericht, wie ihn die meisten NGOs auf ihren Websites veröffentlichen, gibt es bei „Nachbar in Not“ nicht. Ein solcher sei zumindest in Planung, heißt es bei der Caritas, die aktuell den Vorsitz hat. In der Stiftung sei man sich dieses Mankos bewusst. Immerhin gibt es „Nachbar in Not“ seit 1992. Betont wird, dass jedes Projekt von einem Wirtschaftsprüfer geprüft werde.
Wie viel Wallner in seinem neuen Job verdient, ist auch nicht bekannt. Nur so viel: Das Gehalt für die Teilzeitstelle, die bis Ende des Jahres befristet ist, entspreche einer üblichen Projektleitungsfunktion im NGO-Bereich und liege deutlich unter dem eines Kabinettschefs.
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