Mittelmeerroute: Kurz will Gespräch mit Kern suchen

Mittelmeerroute: Kurz will Gespräch mit Kern suchen
"Ich erhoffe mir natürlich die Unterstützung meiner Politik", meinte Kurz im Ö1-Morgenjournal.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) will in der Frage der Mittelmeerrouten-Schließung das Gespräch mit Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) suchen. Kurz sagte am Montag im Ö1-Morgenjournal, er hoffe nicht, dass Kern gegen die Schließung der Mittelmeerroute sei, "aber ich werde das mit ihm persönlich besprechen und nicht übers Radio".

"Ich erhoffe mir natürlich die Unterstützung meiner Politik", sagte Kurz. Er wies darauf hin, dass es sich um Ideen handle, die er mit Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) gemeinsam vertreten habe. "Das war immer zurecht die österreichische Position in Brüssel."

Ein Vollholler? Der Faktencheck zur Kurz-Forderung

Kern hatte seinem Außenminister am Wochenende vorgeworfen, in der Frage der Mittelmeerroute "gut klingende Parolen" zu verbreiten, mit denen sich die Herausforderung der Migration nicht lösen lasse. Der Kanzler stimmte in diesem Zusammenhang der Veröffentlichung eines eigentlich vertraulichen Gesprächs mit Journalisten zu, in dem er seine Kritik am Donnerstag untermauert hatte.

Kern: "Will Antwort, wie es geht"

"Ich bin dafür, dass wir die Mittelmeerroute schließen, ich bin für Freibier für alle und die Lohn- und Einkommenssteuer halbieren - wenn wir wissen, wie wir das funktionierend hinkriegen", sagte Kern. Der Kanzler verwies auf hohe Kosten, die Terrorgefahr und mögliche Destabilisierung Nordafrikas sowie die Notwendigkeit, in die betroffenen Staaten zu investieren sowie reguläre Migrationsmöglichkeiten zu schaffen. "Ich bin nicht gegen die Mittelmeerrouten-Schließung. Ich will nur eine Antwort haben, wie es geht. Das ist mein Punkt. Wir brauchen nicht Presseaussendungen, sondern wir brauchen Lösungen für die Sache."

Kurz hatte sich nach Bekanntwerden der Aussagen unbeeindruckt gezeigt und gemeint, dass er Kerns Aussage nicht verstehe. Im KURIER sprach der ÖVP-Chef von einem "Deja-vu", weil ihm auch bei der Schließung der Balkanroute "alle gesagt" hätten, "das sei unmenschlich. Wenige Wochen später war klar, dass das der richtige Weg ist." Er bekräftigte seine Forderung, die Migranten "zurückzustellen" in Transit- bzw. Herkunftsländer. "Bei der Balkanroute hat das letztlich auch geklappt. Die Menschen machen sich nur auf den Weg, solange der Weg offen ist", so Kurz.

Kurz verteidigt sich nach Kanzler-Angriff

Innenminister Sobotka (ÖVP) stärkte seinem Parteichef ebenfalls den Rücken. Auch er verwies darauf, dass es schon bei der Schließung der Westbalkanroute Stimmen gegeben habe, "die meinten, das sei unmöglich. Heute sehen wir, dass sich die konsequente Linie von Sebastian Kurz durchgesetzt hat und mittlerweile auch in Europa unumstritten ist." Sobotka plädierte am Sonntag einer Aussendung für eine gemeinsame Linie der Regierung. Solange die Rettung im Mittelmeer ein Ticket nach Zentraleuropa bedeute, werde der Strom an Flüchtlingen nicht abreißen.

Kurz bekräftigt Forderung in Luxemburg

Kurz hat seine Forderung nach einer Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge gegen Kritik von Kern dann am Montag in Luxemburg nochmals verteidigt. "Ich bin überzeugt davon, dass dies am Ende des Tages die Linie der Europäischen Union sein wird", sagte Kurz. "Alles andere führt zu immer mehr Menschen, die zu uns kommen, und vor allem zu immer mehr Toten", so Kurz im Vorfeld des EU-Außenministertreffens. Natürlich brauche es politischen Willen. "Und natürlich muss man das europäische Asylsystem dramatisch verändern. Aber so wie es derzeit ist, kann es ja nicht weitergehen", sagte der Außenminister. Das Dublin-System, wonach der Staat der Erstankunft für Asylverfahren zuständig ist, gebe es nur auf dem Papier. "In Wahrheit stellt die Masse nicht ihren Asylantrag in Griechenland oder in Italien."

Kurz ließ offen, wie sein Vorschlag konkret in die Praxis umsetzbar wäre. Österreich habe sich jedenfalls immer für Flüchtlingszentren außerhalb Europas ausgesprochen, damit die Rettung im Mittelmeer nicht verbunden sei mit dem Ticket nach Mitteleuropa. "Solange die Menschen nach der Rettung nach Mitteleuropa weitergebracht werden, solange werden sich immer mehr Menschen auf den Weg machen, die Schlepper werden immer besser verdienen, und das schlimmste: Es werden immer mehr Menschen ertrinken", bekräftigte der Außenminister seine bekannte Position.

"Sobald man nach der Rettung die Menschen an der Außengrenze stoppt, versorgt und die Rückstellung organisiert, ab diesem Zeitpunkt werden sich kaum noch Menschen auf den Weg machen. Insofern ist unsere Haltung klar. Die werden wir weiterhin auf europäischer Ebene vertreten", unterstrich der Außenminister, der aber nicht konkret auf die Kritikpunkte von Kanzler Kern an seiner Linie einging. Kurz betonte, er sei in der Frage der Mittelmeerroute gut abgestimmt mit dem Innen- und dem Verteidigungsminister.

Kern gegen "Produzieren von Schlagzeilen"

Am Rande eines Pressetermins erneuerte Bundeskanzler Kern wiederum am Montag seine Kritik an der Forderung von Außenminister Kurz nach Schließung der Mittelmeerroute - und sprach sich für die Schaffung "wirklicher Lösungen" aus. Kern sprach sich in der Migrationsfrage gegen die "Produktion von Schlagzeilen" aus.

Seine - in einem Hintergrundgespräch geäußerte Bezeichnung - die Forderung von Kurz sei "politischer Vollholler", bereue er nicht, sagte der Kanzler auf Nachfrage: "Nein, nicht im Geringsten." Er verwies auf ein Zitat von Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), wonach Wahlkampf-Zeiten jene der "fokussierten Unintelligenz" seien. Dies wolle er nicht so halten, so Kern. "Ich schlage vor, dass wir es anders probieren und die Österreicher ehrlich über die Möglichkeiten, über die Probleme informieren - und dass wir wirklich Lösungen produzieren." "Das Produzieren von Schlagzeilen, egal in welchem politischen Bereich, wird weder unseren Kindern helfen, noch die Immigrationsfrage lösen", meinte der SPÖ-Chef.

Sie gilt als der gefährlichste Seeweg von Afrika nach Europa – die Mittelmeerroute. Seit Jahresbeginn kamen bisher mehr als 1.800 Menschen ums Leben oder werden vermisst, sagt die Internationale Organisation für Migration (IOM). Nun wird neuerlich diskutiert, ob dieser Flüchtlings-Korridor geschlossen werden kann und soll. Bundeskanzler Kern bezeichnete dies zuletzt als "Vollholler". Er wäre dafür, die Umsetzung sei aber unrealistisch. Wo liegen die Probleme, welche Pläne gibt aus Brüssel? Ein KURIER-Fakten-Check.

Die Situation ist eine völlig andere: Die Balkanländer sind relativ stabile und funktionierende Staaten. Zudem lässt sich mit Ländern wie Mazedonien oder der Türkei (trotz Differenzen) verhandeln. Durch den EU-Türkei-Flüchtlingspakt ist der Zustrom aus der Türkei nach Griechenland deutlich zurückgegangen. Um die Mittelmeerroute zu schließen, muss sich die EU mit ganz anderen Mächten auseinandersetzen, etwa mit Libyen oder Ägypten. In Libyen, von wo derzeit die meisten Boote starten, herrscht derzeit Chaos und Gewalt.

  • Kurz' Idee ist es, große Auffanglager zu errichten, damit Flüchtlinge erst gar nicht Mitteleuropa erreichen. Ist das realistisch?

In Tunesien und Ägypten lehnt man diese Asylzentren prinzipiell ab. Kanzler Christian Kern verwies diesbezüglich auch auf den ägyptischen Präsidenten, der gesagt habe "Ihr könnt uns soviel gar nicht zahlen", sowie auf Befürchtungen, wonach die Unterbringung von 500.000 Menschen "zur nächsten terroristischen Blut- und Keimzelle" werden oder die Länder der Region destabilisieren könnte. Libyen wird von islamistischen Milizen und zwei schwachen, konkurrierenden Regierungen beherrscht. Das Land ist derzeit nicht Willens und in der Lage, Auffanglager aufzubauen.

Zudem gilt es – genauso wie viele andere nordafrikanische Länder – nicht als sicherer "Drittstaat". Aus internationalen Gewässern Gerettete dürfen also nicht dorthin zurückgebracht werden. Über die Einstufung Marokkos, Algeriens und Tunesiens wird derzeit noch diskutiert.

Mittelmeerroute: Kurz will Gespräch mit Kern suchen
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  • Was tut die EU derzeit am Mittelmeer?

Vor zwei Jahren startete die EU "Operation Sophia". Ihr Ziel ist es, Schiffe von Schleppern oder Menschenschmugglern aufzugreifen und zu zerstören. Heuer wurden bereits 37.000 Flüchtlinge gerettet, und über 400 Boote zerstört. Kritik gab es zuletzt, da Erfolge ausblieben. Allerdings ist die Mission auch auf das Seegebiet außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer begrenzt.

  • Welche Maßnahmen sind seitens der EU geplant?

Beim Gipfel in Malta im Februar haben sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, dass mit einem ganzen Maßnahmenpaket die Zahl der Migranten nach Europa gebremst werden soll. Pläne, Auffanglager in Nordafrika, etwa in Libyen, Tunesien oder Ägypten einzurichten, gibt es aber nicht. Bisher hat die EU zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration eine freiwilliges Rückkehrprogramm in Libyen gestartet. Von dort aus werden Migranten in deren Heimatländer zurückgebracht. In diesem Jahr waren es bereits 4600 Menschen, bis Jahresende sollen es an die Zehntausend werden, meist kehren die Migranten nach Äthiopien und Nigeria zurück.

  • Welche Vorschläge kommen aus anderen europäischen Ländern?

Die Innenminister von Deutschland und Italien, Thomas de Maizière und Marco Minniti, haben die EU-Kommission vor einem Monat in einem Brief aufgefordert, eine EU-Mission an der Grenze zwischen Libyen und Niger aufzuziehen. Das würde Grenzschutz bedeuten – allerdings nicht für die ganze Grenze. Zudem soll die lokale Bevölkerung dort unterstützt werden. Mit wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen soll die Grenzbevölkerung etwa davon abgehalten werden, mit Schmuggel und Menschenhandel ihr Geld zu verdienen. Auch der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka hat sich dafür ausgesprochen.

  • Umstritten ist das "australische Modell", Flüchtlinge auf Inseln zu internieren. Wie funktioniert das dort?

Ausnahmslos jeder vor Australien aufgegriffene Bootsflüchtling wird auf vorgelagerte Inseln gebracht und interniert – so lautet Australiens "Rezept". Allerdings geriet es ins Kreuzfeuer menschenrechtlicher Kritik. Laut Vereinten Nationen verstößt die australische Asylpolitik der Anti-Folter-Konvention. Konkret wurden etwa die Rechte von Flüchtlingen auf der Insel Manus verletzt – die Regierung musste ihnen dafür eine Entschädigung in Millionenhöhe zahlen. Das Internierungslager soll 2017 geschlossen werden – nicht wegen der Kritik, sondern weil es laut dem Höchstgericht von Papua-Neuguinea illegal ist. Das Internierungslager auf der Pazifikinsel Nauru will man aber weiterhin betreiben. Ende April befanden sich dort 373 Menschen, darunter mehr als 40 Kinder.

Von Ingrid Steiner-Gashi und Sandra Lumetsberger

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