Minister Rauch: "Ich halte die Impfskepsis für fatal"
Gegen den Widerstand der Ärzte hat Johannes Rauch eine Gesundheitsreform paktiert. Mit dem KURIER sprach der Grüne über Corona, den Rechtsruck und den Tierschutz.
KURIER: Herr Minister, der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass sich die Bauern schneller von „Vollspaltenböden“ verabschieden müssen. Der Landwirtschaftsminister sieht das österreichische Schnitzel in Gefahr. Sie auch?
Rauch: Nein. Das Problem der Schweine- und Rinderbauern bestand darin, dass zu lange das Prinzip gegolten hat: höher, schneller, weiter. Mit der VfGH-Entscheidung ist klar, dass wir so schnell wie möglich von den Vollspaltenböden wegkommen müssen. Wir wollen den Bauern aber eine Perspektive geben, sie können nicht von heute auf morgen alles anders machen – hier wurden ja Investitionen gemacht. Niemandem ist daran gelegen, eine Branche umzubringen, im Gegenteil: Wir wollen die Bauern in eine gute Zukunft führen.
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Wie lange sollen die Bauern nun für den Umstieg Zeit haben?
Ich nenne keine Zahl, bevor ich nicht mit den Betroffenen gesprochen habe. Klar ist: Die Übergangsfrist muss deutlich verkürzt werden.
Zur Pandemiebewältigung: Die Akademie der Wissenschaften hat die Covid-Politik analysiert und erkannt, dass eines der Hauptprobleme darin bestand, dass die Politik zu viel moralisierte. War das eines der größten Probleme?
Was man jedenfalls sagen kann ist, dass Österreich ein neues Epidemiegesetz braucht. Der Entwurf ist fertig und sollte im ersten Quartal in Begutachtung gehen. Das alte, im Kern aus dem vorvorigen Jahrhundert stammende Gesetz war untauglich und ein wesentlicher Grund, warum wir die Verordnungen und Hilfskrücken, die nur zum Teil funktioniert haben, machen mussten.
Und abgesehen vom Gesetz?
Die Politik hat die Aufgabe, Ängste und Bedürfnisse zu adressieren. In der derzeitigen Gemengelage mit Krieg, Teuerung und dem Gefühl der Unsicherheit entlädt sich ein Zorn, der darin begründet ist, dass die Menschen glauben: „Die da oben bekommen nicht mit, wie es mir hier unten geht.“ Meine Aufgabe ist, das wahrzunehmen und zu sagen: Mir ist es nicht egal, wie es den Österreichern geht! Das bedeutet auch, dass wir den negativen Auswirkungen, die sich bei Jugendlichen zeigen, mit Gegenmaßnahmen begegnen. Etwa, indem wir psychologische und psychotherapeutische Hilfe niederschwellig anbieten. Das passiert jetzt.
Teilen Sie die Ansicht, dass die Impfpflicht der größte Fehler im Pandemie-Management war?
Schon bei meinem Amtsantritt war ich mit der Frage konfrontiert, ob wir die Impfpflicht scharf stellen. Ich habe gesehen, dass sich das nicht ausgeht. Deshalb haben wir sie ja noch vor dem Sommer 2022 beseitigt. Mit Stand heute würde niemals wieder eine Impfpflicht eingeführt werden.
Was haben die erwähnten Themen mit der Impfbereitschaft gemacht?
Die Impfskepsis ist spürbar – nicht nur bei Covid. Wir sehen vermehrt Eltern, die bei Mumps, Masern und Röteln zögern, ihre Kinder zu impfen. Ich halte das für fatal, da müssen und werden wir gemeinsam mit den Ärzten gegensteuern. In dem Zusammenhang darf man auch die FPÖ nicht aus der Verantwortung lassen: Es wurde ein Narrativ geschaffen, und die FPÖ nährt dieses, egal wie hanebüchen die Verschwörungstheorien auch sind. Dieser Desinformation gegenzusteuern ist eine meiner Grundaufgaben. Denken Sie an die HPV-Impfung: Sie kann Krebs verhindern, trotzdem wird dagegen kampagnisiert.
Kommen wir zur Gesundheitsreform: Das größte Problem – die Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Ländern, Bund und Kassen – wurde auch diesmal nicht angegangen. Wer ist verantwortlich?
Die Bundesverfassung, die in ihrer unfassbaren Weisheit sagt: Österreich ist ein föderaler Staat. Um hier etwas zu ändern, müsste man die bundesstaatlichen Gesamtkompetenzen bereinigen. Ich habe das mit einem Kunstgriff versucht: Die Mittel aus dem Finanzausgleich zu nehmen, um zu einer gewissen Vereinheitlichung und Steuerung zu kommen. Nun müssen verpflichtend die zusätzlichen Mittel von einer Milliarde pro Jahr durch die Bundeszielsteuerung und es ist festgelegt, wofür das Geld verwendet werden darf – etwa für den Ausbau der niedergelassenen Versorgung. Oder den Ausbau der Hotline 1450 zur ersten Anlaufstelle im Gesundheitssystem.
Welche Motivation sollen Länder haben, im Gegenzug die Spitalsversorgung zurückzufahren?
Jetzt gibt es die Möglichkeit, in Spitälern Schwerpunkte zu setzen oder Dinge zu machen, die nicht klassische Spitalsaufgaben sind. Zum Beispiel mehr Spezialambulanzen und Tageskliniken oder zusätzliche Angebote in der Nachversorgung. Sicher werden die Länder aber Stationen zusammenlegen müssen, um im Sinne der Qualität höhere Fallzahlen zu erreichen. Nicht jedes Spital braucht ein Vollsortiment.
Die elektronische Gesundheitsakte ELGA leistet nicht, was sinnvoll wäre. Warum geht hier nichts weiter?
Alle Institutionen sitzen auf ihren Daten wie auf einem Goldschatz. So kann man keine Gesundheitspolitik machen. Jetzt schaffen wir eine gemeinsame Datenplattform, ELGA soll für Patientinnen eine zentrale Drehscheibe werden. So wie Bankdaten, will ich meine Gesundheitsdaten über das Handy abrufen können. Rezepte, Befunde, Verläufe, was auch immer. In den nächsten fünf Jahren muss das implementiert sein.
Schleppend lief auch der Ausbau der Primärversorgungseinheiten.
Als ich gestartet bin, hatten wir rund 30. Dann haben wir das Gesetz geändert und die Vetomöglichkeiten der Ärztekammer beseitigt. Seitdem steigen die Anfragen massiv. Im kommenden Jahr werden wir das Ziel von 120 voraussichtlich erreichen.
Zuletzt haben Sie aufhorchen lassen, als Sie an ÖVP und SPÖ appellierten, sich besser zu vertragen. Was wollten Sie damit erreichen?
In ganz Europa driftet die Politik mit Vehemenz nach rechts und ins Rechtsextreme. Damit stehen unsere parlamentarische Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zur Disposition. Deshalb müssen die Kräfte, die sich im Verfassungsbogen befinden, koalitionsfähig sein. Wenn aber der eine dem anderen ausrichtet, dass er mit ihm sicher nicht regieren will, ist die Rutsche für die FPÖ gelegt.
Ist Ihr Appell auch so zu verstehen, dass Sie nicht mit einer grünen Regierungsbeteiligung rechnen?
Nach aktuellen Umfragen werden ÖVP und SPÖ keine Mehrheit haben. Es wird einen Dritten brauchen. Wenn es nach mir geht, werden das die Grünen sein.
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