Rauch: "Das Wichtigste ist medizinische Qualität"
Sie beide sind Grüne; sie beide müssen eine Gesundheitsreform stemmen; und sie beide haben dabei eine christdemokratische Partei als Koalitionspartner: Johannes Rauch und Manfred Lucha kennen einander seit Jahren.
Vor wenigen Tagen hat der Sozial- und Gesundheitsminister von Baden-Württemberg seinen Amtskollegen in Wien besucht, um Pilotprojekte wie die „Community Nurses“ oder die Ärztezentren „PVE“ (Primärversorgungseinrichtung) zu besuchen und sich Ezzes zu holen.
Mit dem KURIER sprachen die grünen Entscheidungsträger über Rezepte gegen den Ärztemangel, woher die Pflegekräfte der Zukunft kommen – und warum es nicht unbedingt ein Problem ist, wenn kleine Landspitäler schließen.
KURIER: Herr Minister Lucha, Sie kämpfen in Deutschland mit sehr ähnlichen Problemen wie Österreich, sprich: das Vertrauen in das Gesundheitssystem sinkt, es fehlen Ärzte und auch Pfleger. Sind die Ursachen in beiden Ländern dieselben?
Manfred Lucha: Zum Teil ja. Ich glaube, dass wir in Deutschland und Österreich für die Sünden der Vergangenheit büßen. Ein Beispiel: Noch in den 1990ern wurde in Deutschland vom damaligen Bundesgesundheitsminister Seehofer de facto ein Niederlassungsstopp für Ärzte verkündet, weil er eine „Ärzteschwemme“ voraussagte. 30 Jahre später gehen viele Ärzte in Pension, ohne dass für ausreichend Nachwuchs gesorgt ist. Es wird allerdings nicht nur darum gehen, mehr Personal zu rekrutieren. Vielmehr müssen wir die Menschen in die Lage versetzen, sich besser und bedarfsgerechter im Gesundheitssystem zurechtzufinden. In ganz Europa wird es darum gehen, dass medizinische Leistungen zunächst digital, dann ambulant und erst in letzter Konsequenz stationär erbracht werden.
„Digital vor ambulant vor stationär“ ist doch ihr Mantra, Herr Minister Rauch...
Johannes Rauch: …und das liegt nicht nur daran, dass ich Kollege Lucha lange kenne. Alle Mitgliedsstaaten der EU haben ähnliche Problemlagen. Es wäre vermessen zu glauben, wir könnten alleine reüssieren. Denken Sie an die Medikamenten-Bevorratung oder auch an den Bedarf an Pflegepersonal: Wer glaubt, Österreich könne als Einzelkämpfer im Ausland genügend Pflegekräfte rekrutieren, wird scheitern.
Sie halten es tatsächlich für kontraproduktiv, wenn österreichische Bundesländer im Ausland Pflegekräfte anwerben?
Johannes Rauch: Als kleiner Mitgliedstaat müssen wir darauf abzielen, die Ressourcen zu bündeln. Das gilt national wie auch auf EU-Ebene. Sonst kommen die anderen, viel größeren Staaten zum Zug.
Manfred Lucha: Dasselbe gilt übrigens für die Daten: Nicht erst seit der Pandemie wissen wir, dass es extrem wichtig ist, Gesundheitsdaten in Europa zu sammeln und zu teilen.
Johannes Rauch: Und vergessen wir nicht die Arzneimittel: Wenn wir bei der Medikamentenproduktion zurückfallen, werden die kleinen Länder die Zeche bezahlen. Es ist naiv zu glauben, dass Österreich bei bilateralen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie dieselben Preise bekommen kann wie die EU.
Welche internationalen Trends gibt es bei der ärztlichen Versorgung? Wie sieht die in Zukunft in Ländern wie Deutschland oder Österreich aus?
Manfred Lucha: Generell wissen wir, dass viele Leistungen ambulant intelligenter angeboten werden können als im Spital. Behandlungen, Pflege, Sozialarbeit: All das muss ineinandergreifen, das Modell von Primärversorgungseinrichtungen, wo Angehörige verschiedener Gesundheitsberufe zusammen Patienten versorgen, ist meines Erachtens eines der Erfolgsmodelle.
Wo würden Sie sagen, Herr Minister Rauch, sind uns die Deutschen beim Gesundheitsthema voraus?
Johannes Rauch: Wir planen das Gesundheitssystem leider noch immer sehr stark entlang der geografischen Grenzen. Das führt dazu, dass die Hälfte unserer Spitäler weniger als 200 Betten zählt, was wiederum bedeutet, dass man bei der Qualität Abstriche macht. Warum? Weil bestimmte Eingriffe nicht oft genug gemacht werden, es fehlt die Routine. Insofern sage ich: Es muss nicht in jedem Spital alles angeboten werden. Ein weiteres Thema ist das Impfen. Minister Lucha hat sich selbst in einer Apotheke impfen lassen, das ist in Deutschland völlig normal.
Manfred Lucha: Wobei man sagen muss: Auch bei uns war das anfangs keine Selbstverständlichkeit. Mittlerweile haben wir es aber geschafft, dass Impfungen gegen Corona und Influenza von Politik, Apotheken und Ärzten gemeinsam beworben werden.
Damit wir das verstehen, Herr Minister Rauch: Sie halten größere, zentral angelegte Spitäler für sinnvoller als wohnortnahe kleine?
Johannes Rauch: Es ist eine Schimäre, ein Trugschluss, dass die Menschen unbedingt ein Spital im Wohnort haben wollen. Wir wissen aus Studien: Das Wichtigste ist für Patienten die medizinische Qualität. Wenn die stimmt, dürfen die Wege auch länger sein. Die oft zitierte Wohnortnähe ist ein Argument von Länder-Vertretern, die um ihren Einfluss fürchten.
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