Martin Kocher, des Kanzlers Krisenmanager
Selten ist ein neuer Minister mit so viel Wohlwollen empfangen worden. Die Oppositionsparteien SPÖ und Neos wünschen ihm Erfolg, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian lobt seine wirtschaftspolitische Expertise, ebenso die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und der Bauernbund.
Mit der Bestellung des renommierten, parteilosen Ökonomen Martin Kocher zum Arbeitsminister ist dem Kanzler offensichtlich ein Coup gelungen.
Wie es dazu kam, und was andere dazu sagen:
Sebastian Kurz hat am Samstag am Nachmittag mit seinen Vertrauten mehrere Modelle für die Aschbacher-Nachfolge diskutiert, schließlich setzte sich das „Modell Faßmann“ durch: ein parteiloser Experte auf ÖVP-Ticket, der bei den Stakeholdern in seinem Fachbereich respektiert und anerkannt ist.
Minister für die Krise
Kocher ist durch seine Funktion im Fiskalrat, als Berater und Konjunkturforscher mit allen wichtigen Playern (Sozialpartnern, Forschern, Nationalbank, Interessen- und Parteienvertretern etc.) vertraut und in Kontakt.
Kocher wird sowohl seine Expertise, als auch seine Kontakte brauchen: Er steht vor der Mammutaufgabe, den wirtschaftlichen Flurschaden zu beheben, den die Corona-Krise anrichtet. „Wirtschaft und Arbeit werden die zentralen Themen der nächsten Jahre sein“, sagte der Kanzler bei der Präsentation des neuen Ministers. Kocher solle nicht nur sein Ministerium, sondern „generell seine Expertise als Ökonom in die Regierung einbringen“, fügte Kurz hinzu. Gemeinsam mit Finanzminister Gernot Blümel und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck soll der Wiederaufbau der Wirtschaft gelingen.
In Normalzeiten hätte Kocher das Angebot, Minister zu werden abgelehnt, sagte Kocher am Sonntag. Aber angesichts der schwierigen Situation mit mehr als einer halben Million Arbeitslosen sei er erfreut, seine Expertise „einbringen zu können und zu dürfen“.
Am Sonntag am Vormittag hatte sich Kocher in einer Videokonferenz dem ÖVP-Vorstand vorgestellt, der die Bestellung des parteilosen Ministers unterstützte.
„Großer Pragmatiker“
Menschlich wird dem neuen Minister nur Gutes nachgesagt. Von Kollegen wird Kocher als „sehr umgänglich“ beschrieben, er ecke nicht an, er lehne sich aber auch nicht allzu weit aus dem Fenster. Er sei ein „großer Pragmatiker und kein Extremist“, sagt WIFO-Chef Christoph Badelt über den IHS-Kollegen.
Kocher habe eine gute Gesprächsbasis „zu allen politischen Gruppen“. Erst am 18. Dezember präsentierten Kocher und Badelt gemeinsam die neueste Wirtschaftsprognose für Österreich – angesichts der aufgeschobenen Erholung in Folge des 3. Lockdowns wahrlich kein Wohlfühltermin.
Kocher bringe das Gespür für die Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Expertise und ihrer politischen Implikationen mit, meint Industrie-Chefökonom Christian Helmenstein: „Kocher polarisiert nicht.“
Politik als Härtetest
Führungskompetenz hat Kocher bereits bewiesen. Als er 2016 aus München kommend das Institut für Höhere Studien übernahm, fand er dort verknöcherte Strukturen und ein konzeptloses Forschungsinstitut vor. Er brachte das IHS auf Vordermann und professionalisierte die Medienarbeit. Seine Mitarbeiter schätzen seinen Führungsstil, er sei stets erreichbar, professionell und wertschätzend.
Also keine Achillesferse? Ein Arbeitsmarktexperte mit Polit-Background, der namentlich nicht genannt werden will, meint, es werde sich erst zeigen, ob Kocher dem harten Polit-Alltag gewachsen sei. Kocher sei „kein political animal“, sondern „nur“ der „unabhängige Experte“ und könnte verheizt werden.
Kocher sieht sich selbst als unideologisch. Tatsächlich ist er weder als linker noch als neoliberaler Ökonom einzuordnen. Er steht für Wandel und Experimentierfreude, für Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Zugängen. Sein Fachgebiet ist der menschliche Einfluss auf die Wirtschaft, und er tritt nachdrücklich für Klimaschutz ein.
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