Kocher: "Weniger arbeiten bei gleichem Lohn wird nicht gehen"
Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung geht weiter. Der ÖVP-Minister über 32-Stunden-Woche und Gedanken an die Pension.
KURIER: Die Homeoffice-Regeln sollen ausgeweitet werden, wie Sie unlängst bekannt gegeben haben. Tech-Konzerne wie Meta in den USA bauen Homeoffice wieder zurück, weil es der Produktivität entgegensteht.
Martin Kocher: Homeoffice bleibt Vereinbarungssache und wird zumeist in einem produktiven Ausmaß von ein bis zwei Tagen pro Woche genutzt. In gewissen Branchen wie Versicherungen oder im Finanzdienstleistungsbereich wurde Homeoffice in der Pandemie sehr umfangreich genutzt. Auch in Österreich gibt es, soweit ich weiß, in diesen Branchen wieder Bestrebungen, mehr ins Büro zu kommen.
Alles, was über zwei Tage Homeoffice geht ist ergo weniger produktiv?
Es gibt nur wenige Bereiche, in denen fünf Tage Homeoffice ohne direkte soziale Kontakte im Unternehmen langfristig funktioniert. Das ist im Bereich der Softwarentwicklung möglicherweise so. Letztlich entscheiden das alles aber der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Regierung gibt ja nur den Rahmen vor.
Über 300.000 Menschen ohne Job – ist das eine Zahl, die sie nachdenklich macht angesichts des Arbeitskräftemangels?
Die Arbeitslosigkeit ist so gering wie lange nicht mehr, in absoluten Zahlen war sie nur 2008 noch signifikant geringer. Neben der Zahl an sich, die mich nachdenklich macht, ist es vor allem die regionale Verteilung. In Salzburg und Tirol haben wir nahezu Vollbeschäftigung mit einer Arbeitslosenrate von 3,0 Prozent, einen fast leer gefegten Arbeitsmarkt. In Wien beträgt die Arbeitslosenrate über 10 Prozent. Wenn wir es nicht schaffen, diese Divergenz zu verändern, wird sie sich verfestigen und zum Problem.
Wie kann die Regierung die Arbeitslosen aus dem Osten in den Westen bringen? Was kann beispielsweise die Mobilitätsprämie bringen?
An den Zumutbarkeitsregeln ändert sich nichts. Bei Betreuungspflichten gibt es keinen Anspruch des Arbeitsmarktes auf Mobilität – und das ist gut so. Wenn jemand jung ist und nicht verwurzelt, zudem keine Betreuungspflichten hat, dann muss es möglich sein, ihn überregional zu vermitteln. Wir brauchen allerdings noch mehr Anreize und mehr Begleitung.
20.000 Euro Mobilitätsprämie ist das eine, kann es auch negative Anreize geben?
Es sollen positive Anreize sein und bleiben. Viele denken dabei immer an Saisonjobs, aber ich denke hauptsächlich an die Industrie in Tirol, Salzburg oder Oberösterreich und Vollzeitbeschäftigungsangebote. Diese müssen begleitet werden und darunter fallen natürlich auch Wohnraumschaffung und Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Ausbildungsangebote gibt es genug. Wir müssen die Menschen nur dazu bringen, sie wahrzunehmen.
Wäre das degressive Arbeitslosengeldmodell, das Sie nicht umgesetzt haben, jetzt das probate Mittel, um mehr Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen?
Das ist ja kein Geheimnis: Das Modell war aus meiner Sicht die richtige Antwort auf die Veränderungen des Arbeitsmarktes, weil es die richtigen Anreize und Förderungen beinhaltet. Wir konnten es mit dem Koalitionspartner so nicht umsetzen.
Diskutiert und von der SPÖ und der Gewerkschaft propagiert wird derzeit eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ist der Wunsch für alle Branchen denkmöglich?
Die meisten Menschen in Österreich spüren sehr gut, dass dieser Wunsch flächendeckend nicht möglich ist. Weniger arbeiten bei gleichem Lohn und gleich hohen sozialen Leistungen wird einfach nicht gehen, weil damit unser Wohlstand und unsere hohen Sozialleistungen nicht aufrechtzuerhalten sind. Wenn sich einzelne Branchen für weniger Stunden und oder alternativ für starke Lohnsteigerungen entscheiden, so ist das das Recht der KV-Verhandler. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür existieren.
Über 100.000 Pflegekräfte fehlen – welche Anreize kann die Regierung hier schaffen?
Wir werden im Bereich der Entlohnung, Flexibilisierung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie weitere Maßnahmen treffen. Ich bitte Sie aber zu bedenken: Wir haben jetzt mehr Menschen in Pflegeberufen als noch vor der Pandemie. Dasselbe gilt für den Tourismus. Wir sehen, dass die Nachfrage in den Branchen mehr gestiegen ist als das Angebot. Die Politik kann die Rahmenbedingungen schaffen, attraktive Angebote zu machen, ist aber Aufgabe der Betriebe.
Wir müssen unterscheiden zwischen Menschen mit Betreuungspflichten, die Teilzeit arbeiten – etwa ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten – und einem Drittel, das studiert oder anderen Nebentätigkeiten nachgeht. Diese Personengruppen waren nie gemeint. Es gibt aber ein Drittel, das aus keinem erkennbaren Grund Teilzeitarbeit nachgeht. Diese Gruppe wird größer. Hier müssen wir steuerliche Anreize setzen und informieren, denn viele unterschätzen, wie groß die Auswirkung einer Teilzeitarbeit auf die Höhe der Pension ist.
Viele Mitzwanziger gehen davon aus, dass sie ohnehin keine Pension mehr bekommen werden und arbeiten deshalb weniger.
Wenn ich jetzt als Verhaltensökonom zu Ihnen sprechen darf: Wir wissen, dass ganz langfristige Entscheidungen etwas sind, das wir gerne verdrängen. Wir unterschätzen zumeist positive wie negative Effekte, wenn es um längere Zeiträume geht. Viele wissen sogar über die niedrigen Pensionen, denken aber nicht gerne darüber nach. In Deutschland gibt es eine private Pflegeversicherung und auch diese wird nicht gerne angenommen, weil man sich als junger Mensch nicht gerne mit möglicher Pflegebedürftigkeit im Alter auseinandersetzt.
Kommt bis Herbst 2024 noch eine weitere Steuerreform, damit mehr Menschen auf Vollzeit aufstocken?
Da ist derzeit nichts Größeres geplant. Die Abschaffung der kalten Progression war die größte Steuerreform aller Zeiten. Wo wir steuerlich noch etwas nachbessern wollen: Bei der Befreiung von Überstunden. Außerdem sind noch Anreize geplant, damit Menschen länger arbeiten, wenn sie das möchten – hier geht es um eine Reduktion der Pensionsbeiträge für arbeitende Pensionisten.
Rund 30.000 Arbeitslose beziehen einen geringfügigen Zuverdienst. Wenn man diesen einschränkt: Könnte das nicht erst den Effekt haben, dass viele lieber schwarzarbeiten?
Ich glaube nicht. Da sehe ich eher die Gefahr, dass man neben der geringfügigen Beschäftigung schwarz ein paar Stunden mehr macht. Laut einer WIFO-Studie könnte man 10.000 bis 15.000 Menschen mit einer Einschränkung des geringfügigen Zuverdienstes in vollversicherte Beschäftigung bekommen. Das wäre ein relativ großer Effekt. Wichtiger Zusatz: Auch bei einem Teilzeitjob ist man vollversichert.
Bei der gescheiterten Arbeitslosenversicherungsreform wollten Sie den geringfügigen Zuverdienst zeitlich befristet. Wäre Ihnen das lieber gewesen?
Gesetzliche Lösungen sind immer schön, aber ich glaube, auch der Erlass ist ausgewogen. Wir wollen bei Unternehmen, die viel geringfügige Beschäftigung anbieten und das Modell womöglich ausnutzen, gemeinsam mit der Finanzpolizei genauer hinschauen. Ich verstehe nicht ganz, dass es nicht geteilter Wunsch aller ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richtig beschäftigt sind.
Österreichs Wirtschaftsforscher sind sich gerade nicht einig, ob es hierzulande eine Lohn-Preis-Spirale gibt. Was sagen Sie als Ökonom: Ja oder Nein?
Es ist relativ leicht beantwortbar, deshalb wundert mich die Debatte ein bisschen. Erstens: Die Gefahr einer Spirale besteht. Wir haben viele Effekte in unserem System, wo die Inflation weiter steigt – nicht nur aber auch potentiell bei Löhnen. Vergangenes Jahr sind aber zuerst die Energiepreise gestiegen, dann die Löhne. Bei einer typischen Lohn-Preis-Spirale steigen zuerst die Löhne, dann die Preise. Diese Gefahr besteht wiederum jetzt. Es ist die Verantwortung der KV-Verhandler, die Kaufkraft zu sichern und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit hochzuhalten. Die Spirale ist nicht da, aber bei dauerhaft zu hohen Lohnabschlüsse könnte es dazu kommen.
Gibt es die eine Erklärung, warum die Inflation um so vieles höher ist als in anderen EU-Staaten wie Spanien?
Spanien hatte einen enormen Kaufkraftverlust und hat – das wird man erst in der Zukunft sehen – sehr viel Geld aus dem Budget verwendet, um die iberische Lösung zu finanzieren. Sie haben Gas zur Verstromung bezuschusst. Das Budgetdefizit ist bei uns glücklicherweise bei weitem nicht so angestiegen. Vergleichbar mit uns sind die Nachbarländer. Den Unterschied zu Deutschland kann man leicht erklären. Das hat mit dem Warenkorb zu tun und mit der Preisentwicklung bei Dienstleistungen, weil wir in Österreich ein höheres Wachstum gehabt haben.
Es gibt ein Foto von Ihnen und Ex-Kanzler Kurz in der Tageszeitung Heute…
Ich esse und trinke mit mehreren Ex-Kanzlern und Ex-Regierungsmitgliedern gelegentlich.
Wollen Sie einer nächsten Regierung angehören?
Ich habe mir noch nicht viele Gedanken darüber gemacht. Ich habe das diesmal gemacht, weil ich von vielen Teilen des Koalitionsprogramms grundsätzlich überzeugt war. Ich wollte als Wissenschafter Dinge tun und umsetzen, die ich als sinnvoll für Österreich erachte.
In einer FPÖ-Regierung könnten Sie das Arbeitslosengeld-Modell umsetzen.
Die FPÖ hat im Parlament mit der SPÖ für eine Erhöhung auf 70 Prozent gestimmt, ohne degressive Komponente. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich die Konstellation zwischen ÖVP und Grünen spannend finde. Ob mit der FPÖ so etwas Spannendes zusammenkommen würde, das weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass Kickl Kanzler wird, weil die FPÖ nicht die stimmenstärkste Partei werden wird. Sollte es doch so kommen, stehe ich nicht zur Verfügung.
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