Manipulierte OP-Protokolle: „Spitze des Eisbergs“

Manipulierte OP-Protokolle: „Spitze des Eisbergs“
Nach der Suspendierung eines AKH-Arztes fordern Experten eine klare Trennung von öffentlichen und privaten Behandlungen.

„Mein Mandant weist den Vorwurf zurück, falsche Eingaben in OP-Protokolle angeordnet zu haben.“ Das sagte der Anwalt des suspendierten Klinikvorstandes des Wiener AKH, Stefan Prochaska, zum KURIER. Dem Chirurgen wird vorgeworfen, in gefälschten OP-Protokollen als Operateur am AKH eingetragen gewesen zu sein, obwohl er zeitgleich in einem Privatspital operiert haben soll.

Dazu der Anwalt: „Bei der allgemeinen Klasse gibt es keinen finanziellen Vorteil. Und bei den Sonderklassepatienten ist er jener Vorstand, der den geringsten finanziellen Anteil für sich behält. Die Fälle, die wir kennen, wurden richtig abgerechnet. Aber wir kennen nicht alle Fälle aus dem Bericht der Sonderkommission, die MedUni Wien legt sie nicht auf den Tisch – das ist eine Hexenjagd.“ Sein Mandant habe sich mit dem EDV-System nicht auseinandergesetzt. „Und jeder Patient wusste, wer ihn operiert. Er musste auch keine OP-Statistiken aufbessern.“

Für eine strikte Trennung zwischen öffentlichen und privaten Spitälern und Ärzten plädiert Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer. „Im Rest Europas ist das – auch aus Qualitätsgründen – längst Usus. Man kann als Arzt nicht zwei Fulltime-Jobs gleichzeitig machen.“

Die Situation in Österreich sei nur noch historisch zu erklären. „Zu Zeiten eines Theodor Billroth bestand das Problem, dass medizinische Kapazunder schnell ihre Klientel fanden und öffentliche Spitäler diese Ärzte längerfristig kaum halten konnten.“ Billroth habe darauf reagiert, indem er ein Spital (das Rudolfinerhaus) errichtete, in dem Ärzte beides tun durften – also für das öffentliche Gesundheitswesen und mit Privatpatienten arbeiten. „Das Prinzip hat damals funktioniert und dazu geführt, dass die Ärzte-Gehälter im öffentlichen Bereich vergleichsweise niedriger blieben als anderswo.“

Heute sei die Situation eine andere: Die Nebenbeschäftigungen der Ärzte würden ständige Interessenskonflikte mit sich bringen und auf einzelne Spitalsstationen tragen, sagt Pichlbauer. Er plädiert für klare Trennung: „Es sollte Spitäler für Privatversicherte und öffentliche Spitäler geben. Alles andere ist eine unsaubere Halblösung und Quersubventionierung.“

 

„Nebenbeschäftigungen von Ärzten in Privatkliniken gehören unterbunden“, sagt die Gesundheitsexpertin Andrea Fried von Transparency International. „Wir wissen, dass das zumindest in der Vergangenheit auch zu Vorreihungen von Privatpatienten auf Operationslisten geführt hat.“

Sie sieht es als ein wachsendes Problem, dass Spitalsärzte zunehmend auch in der Privatmedizin tätig sind: „Die Zahl der Privatordinationen nimmt massiv zu. Das führt zur Mehr-Klassenmedizin.“

Manipulierte OP-Protokolle: „Spitze des Eisbergs“

Einschüchterungen

Die bekannten Fälle seien auch nur die Spitze des Eisbergs: „Viele Spitalsmitarbeiter haben Angst, an die Öffentlichkeit zu gehen: Es gibt immer wieder Versuche, Personal und Patienten, die etwas anzeigen wollen, einzuschüchtern.“ Deshalb brauche es auch bessere Systeme als bisher, um die Anonymität von Whistleblowern (Aufdeckern, Anm.) zu schützen.“

„Es gab lange Zeit ein Augenzwinkern von verschiedenen Rechtsträgern“, sagt Patientenanwalt Gerald Bachinger. „Nach dem Motto: ,Wir halten euer Grundgehalt niedrig, aber drücken beide Augen zu, wenn ihr euch andere Einkommensquellen erschließt.“

Österreichweit sind Nebenbeschäftigungen von Ärzten unterschiedlich geregelt. Im Wiener Krankenanstaltenverbund ( KAV) verweist man auf diverse Rechtsvorschriften. Gemeldete Nebenbeschäftigungen würden regelmäßig evaluiert, sagt eine Sprecherin.

2017 habe der KAV durch Sonderklasseaufenthalte insgesamt rund 30 Millionen Euro eingenommen. Von den gesamten Arzthonoraren in der Sonderklasse erhält der KAV bzw. das Krankenhaus einen Infrastrukturbeitrag in der Höhe von zwölf Prozent. Die Arzthonorare (88 Prozent) werden gemäß eines vereinbarten hausspezifischen Aufteilungsschlüssels auf die Ärzteschaft verteilt.

In der steirischen KAGES mit ihren 2500 Ärzten wurden die Regelungen 2016 verschärft: Grundsätzlich muss alles gemeldet und genehmigt werden. Ausdrücklich untersagt ist: Arbeit in anderen Krankenanstalten, die eine Konkurrenz darstellen, Arbeit in Sanatorien, Betrieb von Privatordinationen in Sanatorien und konkurrenzierenden Krankenanstalten. All dies gilt nur für jene Mediziner, die neue Verträge haben (ab 2016).

Wie viele Ärzte Nebentätigkeiten angemeldet haben, ist zentral nicht erfasst. Beim Kärntner Spitalserhalter KABEG bestehe für Ärzte ein Beschäftigungsverbot in Privatkliniken oder anderen Trägern, sagt KABEG-Vorstand Arnold Gabriel. Für die Jahre seiner Ära (seit 2014) könne er das zu 100 Prozent behaupten, diese Regelung sei „extrem wichtig“. Gabriel: „Es gibt nur eine einzige Ausnahme, die betrifft einen Altvertrag eines Primarius.“

An der Innsbrucker Uniklinik sind rund 60 Prozent der Ärzte bei den landeseigenen „ Tirol Kliniken“ angestellt, 40 Prozent bei der Medizinischen Uni. Bei beiden Dienstgebern müssen Nebentätigkeiten gemeldet und genehmigt werden. An der Medizinischen Uni gab es dagegen bisher noch keine Verstöße. Bei den „Tirol Kliniken“ haben in Einzelfällen Mediziner ihre Nebentätigkeiten zu melden vergessen und nachgemeldet. Dabei wurden auch einzelne Dienstverhältnisse einvernehmlich aufgelöst, da sich die Mediziner unter diesen Voraussetzungen auf ihre Privattätigkeit konzentrieren wollten.

Die Einnahmen durch Privatpatienten, die von Primaren behandelt werden, belaufen sich mit den Anstaltsgebühren der Patienten und dem Hausanteil der Ärzte bei allen drei Häusern der Tirol Kliniken auf 17 Millionen Euro jährlich. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz liegt bei mehr als 600 Millionen Euro jährlich.

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