Lokalaugenschein Kindergarten: Wie Überforderung im Alltag aussieht
von Antonia Fließer
Zu niedriger Verdienst, große Verantwortung für zu viele Kinder – das ist für Elementarpädagoginnen und -pädagogen normaler Berufsalltag. Für viele ist diese Belastung zu groß, sie verlassen den Beruf im Kindergarten, manche sprechen geradezu von einer Flucht aus dem Kindergarten. Die Folge: Vehementer Personalnotstand und Überlastung derer, die noch da sind. Der KURIER hat einem Kindergarten einen Besuch abgestattet und mit einer Kindergartenleiterin gesprochen.
Hilflose Lage
Krankheitsbedingte Ausfälle in der Pandemie haben die Kindergartenmisere noch verschärft. Und Hilfe war von nirgends zu erwarten. Zuständig für die Kindergärten sind eigentlich Länder und Gemeinden, aber das Geld – und so mancherlei neue Vorschrift – kommt vom Bund. Aufgrund dieser vielen Zuständigkeiten lassen Lösungen oft lange auf sich warten. Elisabeth Omerzu, Elementarpädagogin und Leiterin eines Kinderfreunde-Kindergartens in Wien, würde sich eine grundlegende Reform wünschen. Für sinnvoll hält sie österreichweit einheitliche Rahmenbedingungen, wie Schließtage, Öffnungszeiten, Betreuungsschlüssel etc. „Es reicht nicht, Kindergärten auszubauen. Wir wollen die Kinder, denen wir Plätze zur Verfügung stellen, auch bestmöglich begleiten.“
Gesetzlich ist eine Pädagogin für 25 Kinder in der Kindergartengruppe der Drei- bis Sechsjährigen zuständig. Als Unterstützung steht eine Assistenzkraft für 20 Stunden in der Woche zur Verfügung. „Jeder, der auch nur einen Kindergeburtstag organisiert hat, weiß, was das bedeutet“, sagt Omerzu. Laut Experten der Bertelsmann Stiftung liegt der optimale Betreuungsschlüssel bei Kindern in diesem Alter bei einem Verhältnis von 7,5 Kindern zu einem Pädagogen. „Man muss hinterfragen, ob das Gesetz noch zeitgemäß ist, und ob wir da nicht den Kindern Bildungsmöglichkeiten rauben“, sagt Omerzu.
Versäumnisse in der Elementarbildung könnten nur schwer nachgeholt werden und würden die Entwicklung bis in den Berufsalltag prägen.Doch für das einzelne Kind bleibt den Pädagoginnen im Arbeitsalltag wenig Zeit. „Es ist ein ständiges Abwiegen, welches Bedürfnis von welchem Kind gerade wichtiger ist. Man muss ständig umorganisieren.“ Wichtige, tiefer gehende Interaktionen mit Kindern müssten oft abgebrochen werden, weil man woanders gerade dringender gebraucht werde.
Österreich hinkt im internationalen Vergleich in puncto Kinderbetreuung hinterher. Es zeigt sich ein Rückstand sowohl bei staatlichen Ausgaben als auch bei konkreten Zielen. Tatsächlich werden in Österreich laut OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ aktuell rund 0,7 Prozent des BIP in elementare Bildung investiert. Das ist weniger als der EU-Schnitt (0,8 Prozent). Spitzenreiter sind einmal mehr die skandinavischen Länder. Dass sich Investitionen in die Elementarbildung bezahlt machen, zeigt sich bei den PISA-Spitzenreitern wie Estland oder Finnland, dort werden rund 1,2 Prozent des BIP für vorschulische Bildung ausgegeben.
Versäumte Ziele
Der Europäische Rat legte 2002 in den sogenannten Barcelona-Zielen fest, dass sich bis 2010 ein Drittel der Kinder unter drei Jahren und 90 Prozent der Kinder zwischen drei und fünf Jahren in formeller Kinderbetreuung befinden sollen. Hauptziel der EU war es, den Müttern die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu erleichtern. 2010 hatte Österreich das Barcelona-Ziel mit 17 Prozent erst zur Hälfte erreicht. Mittlerweile hat österreichweit zumindest mehr als jedes vierte Kind bis zum Alter von drei Jahren einen Betreuungsplatz (27,6 Prozent im Jahr 2020). Damit ist das Ziel auch 20 Jahre nach dem Beschluss noch nicht erreicht.
Chancenungleichheit
Laut einer Studie der Julius Raab Stiftung und der EcoAustria zum Thema „Frühkindliche Betreuung und Bildung“ zeigte sich, dass formelle Kinderbetreuung ein entscheidender Faktor ist, ob Eltern und insbesondere Frauen entweder bloß in Teilzeit oder gar nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen. In Österreich arbeiten 49 Prozent der Frauen in Teilzeit – im EU-Schnitt sind es nur 27 Prozent.
Entwicklung leidet
Fehlt es am Personal, würde das vorgesehene Bildungsprogramm darunter leiden, wie etwa die Sprachförderung. „Ich kann mich nicht gezielt auf ein Kind konzentrieren und hoffen, dass im Hintergrund nichts passiert“, sagt Omerzu. Die Pädagogen werden zwar gut geschult und fortgebildet, aber das Erlernte können sie im Alltag kaum anwenden.
In der Theorie wären regelmäßige Ausflüge in nahe gelegene Parks empfohlen. Aber Ausgang ist nur in Begleitung von mindestens zwei Erwachsenen zulässig. Also kann dem Bewegungsdrang der Kinder oft nicht entsprochen werden. Das gleiche gilt für das sanfte Eingewöhnen von Neuankömmlingen in der Gruppe oder das fördernde Hinausbegleiten in die Volksschule.
Das Resultat dieser Situation: Frust. Und Abwanderung in andere Berufe. „Die meisten Kollegen gehen nicht, weil sie den Beruf nicht mögen, sondern weil sie nicht mehr können und weil sie frustriert sind“, sagt Omerzu.
Reich wird man in dem Job sowieso nicht. Der durchschnittliche Einstiegslohn für die Pädagogen liegt zwischen 28.000 und 30.000 Euro brutto pro Jahr und variiert je nach Bundesland. Die Alten- und Krankenpfleger haben gerade eine Prämie von durchschnittlich 500 Euro mit der Aussicht bekommen, dass das Lohnbestandteil wird. Dergleichen ist für Elementarpädagogen nicht geplant. „Fein“ wäre eine bessere Bezahlung natürlich, sagt Omerzu. Aber um den Frust im Arbeitsalltag zu beseitigen, müssten die zugrundeliegenden Probleme gelöst werden.
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