SPÖ und ÖVP segnen Arbeitsprogramm ab - Sobotka unterschreibt
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In der Nacht auf Montag verkündete die Regierung, sie sei handelseins. Doch ganz durch war das Arbeitsprogramm für 2017/18 damit noch nicht. Es fehlte das grüne Licht der Parteigremien.
Am Montagvormittag stimmte zuerst das SPÖ-Präsidium, und dann der ÖVP-Vorstand zu. Dann haben in einem Sonderministerrat auch alle Minister das Arbeitsübereinkommen unterzeichnet.
Innenminister Wolfgang Sobotka hatte am Vortag noch bekundet, das Gesamtpaket nicht unterschreiben zu wollen. Er wolle ausschließlich das Sicherheitskapitel, das er mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil verhandelt hat, unterschreiben, meinte Sobotka gegenüber dem KURIER und kritisierte Kanzler Kern für "Inszenierungen". Nun sagte er kurz vor dem Sonderministerrat heute Mittag, dass er das Arbeitsprogramm doch unterschreiben werde. Damit stand der Einigung nichts mehr im Wege. Rasche Neuwahlen dürften somit vom Tisch sein.
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Sobotka argumentierte sein Mitgehen damit, dass die ÖVP-Gremien klar zugestimmt hätten. Er sehe auch eine "ÖVP-Handschrift" in dem Arbeitsübereinkommen.
Kern: "Intensive Diskussion"
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) traten nach dem verzögerten Sonderministerrat um 14 Uhr vor die Presse.
Kern bezeichnete die Diskussion als "intensiv", es sei ein sehr enger Zeitplan gewesen, um ein neues, adaptiertes Regierungsprogramm vorzulegen. Sein Anfang Jänner in Wels formulierte "Plan A"sei ein umfangreiches, sozialdemokratisch geprägtes Programm. "Heute präsentieren wir kein SPÖ- oder ÖVP Programm, sondern ein gemeinsames Regierungsprogramm". Es sei keine Handschrift der eigenen oder der anderen Partei durchgehend erkennabr. Kern betrachtet den Pakt als Maßnahmenpaket der gemeinsamen Schnittmenge, um Österreich voranzubringen, ohne die Steuer- und Abgabenquote zu erhöhen.
Vizekanzler Mitterlehner nannte die Erwartungshaltung der Bevölkerung als wichtige Grundlage für die Verhandlungen. Mit der gemeinsamen Schnittmenge wolle man die Zukunftsfähigkeit Österreichs verbessern, aber auch die Sicherheit der Bevölkerung steigern. Man wollte "klare Vorgaben bei Integration und Migration". Die Verhandlungen in Zweiergruppierungen in "intensiven Tagen" hätten zu einer inhaltlichen Verdichtung geführt.
Zuwanderung und Verschleierung
Ziel sei neben dem Schaffen von 70.000 neuen Arbeitspätzen (außerkonjunkturell) "eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung", sagte Kern. Die von der ÖVP geforderte Halbierung der Obergrenze ist nicht Teil des Arbeitsprogramms. Es gehe nicht darum, bloß irgendwelche Zahlen ins Programm zu schreiben, sagte Mitterlehner.
Das beabsichtigte Verbot der Vollverschleierung solle für den öffentlichen Raum gelten. Ziel sei es laut Mitterlehner, eine offene Gesellschaft zu gewährleisten, dazu gehöre die "Face to Face"-Kommunikation.
"Ich finde das Wort Neustart völlig unpassend", sagte Kern. Auch Mitterlehner kann die das Wort nicht mehr hören.
Es gehe um konkrete Umsetzung und nicht um Inszenierung. Auch die Frage nach Konsequenzen, falls Punkte des Übereinkommens nicht eingehalten würden, beantwortete Kern eher genervt. Er habe den Eindruck, die Öffentlichkeit wolle lieber "Krawall und Kurzweiligkeit", und dass die Verhandlungspartner "die Boxhandschuhe auspacken". Mitterlehner sprach abschließend noch von einem "schönen Wochenende". "Ich glaube, es hat sich gelohnt".
Abschaffung der Spiegelminister
Die Zusammenarbeit in der Regierung soll auf neue Beine gestellt werden. Damit sollen die von jeweils einem Koalitionspartner besetzten sogenannten "Spiegelministerien" der Vergangenheit angehören, machten Kern Mitterlehner klar.
Laut Mitterlehner habe das "Prinzip der Spiegelung", bei dem sich bei der Erarbeitung von Gesetzen zwei politisch unterschiedlich besetzte Ministerien gegenübergestanden sind, die Arbeit oft behindert. "Das wollen wir anders steuern", stellte der Vizekanzler eine neue Form der Koordination in Aussicht, womit die Regierung künftig "schneller und klarer" arbeiten könne. Wie dies konkret aussehen wird, verriet die Regierungsspitze aber noch nicht.
Und was sagen die vielzitierten Menschen von der Straße?
Schieder: Neuwahlen vom Tisch
Für den SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sind Neuwahlen nun vom Tisch. Vor dem Sonderministerrat sagte Schieder: "Es wartet ein intensives Arbeitsprogramm. Das ist das was die Leute wollen, nicht Neuwahlgeplänkel, sondern Hackeln. Es ist egal, ob die Verhandlungen lange oder kurz gedauert haben, was zählt ist das Ergebnis."
Kanzleramtsminister Thomas Drozda sieht "ein Programm, zu dem sich jeder bekennen kann und wird. Es ging nicht darum, Druck aufzubauen, sondern zur Sacharbeit aufzurufen. Es ist manches Mal nötig, dass der Kanzler zur Klarheit aufruft." Es gehe nicht darum, dass sich die eine oder andere Partei durchsetzt.
ÖVP-Vorstand tagte länger
Die Frage der Unterschriften war deshalb auch das große Thema bei der ÖVP-Bundesparteivorstandssitzung. Der ÖVP-Parteivorstand habe das Arbeitsprogramm einstimmig abgesegnet, berichtete ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Er gehe "davon aus, dass alle Regierungsmitglieder das Arbeitsprogramm unterschreiben werden".
Regierungsabkommen: Diskussion in den Parteigremien
Offenbar bestand dazu bei der Volkspartei noch mehr Klärungsbedarf, die Sitzung dauerte länger als geplant. Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hatte noch vor dem Bundesparteivorstand die ÖVP-Landeshauptleute und die ÖVP-Landesparteiobleute zu einem Treffen geladen.
Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) ist "froh", dass es "nach einem halben jahr Widerstand der SPÖ" doch das integrationsgesetz geben wird. "Man hätte das aber wesentlich einfacher haben können."
SPÖ-Präsidium stimmt zu - ohne Abstimmung
Das SPÖ-Präsidium hat dem Pakt bereits etwas früher zugestimmt, wie der Wiener Landesparteichef und Bürgermeister Michael Häupl den wartenden Journalisten berichtete. Kurz darauf verließ auch Bundesparteichef Christian Kern die Sitzung und bestätigte die Entscheidung des SPÖ-Gremiums.
Kern betonte, dass das Programm Punkte enthalte, die sowohl für die SPÖ als auch für die ÖVP wichtig seien. Von sozialdemokratischer Seite seien vor allem die Punkte Beschäftigung, Arbeitsmarkt und Integration wichtig. In Richtung Innenminister Sobotka meinte er, es könne sich hier allerhöchstens um persönliche Gründe drehen und nicht um inhaltliche.
Häupl erklärte zur Frage, ob es Gegenstimmen gegeben habe, dass nicht abgestimmt worden sei, mit Ausnahme "einer Jugendvorsitzenden" habe sich aber niemand gegen das Programm ausgesprochen. Auch er betonte die Vorzüge des Programms von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bis zum Integrationsthema. Zur Frage, ob es ausreichend sozialdemokratische Handschrift enthalte, meinte er: "Es geht in Ordnung." Es handle sich schließlich um das Regierungsprogramm und nicht das Parteiprogramm der SPÖ. Ungehalten zeigte er sich in der Unterschriftenfrage: "Das müssen sie sich ehrlich gesagt selber ausmachen", sagte in Richtung ÖVP: "Der Herr Sobotka soll machen, was er will."
Zufriedenheit bei Ministern
Die Minister äußerten sich zufrieden mit dem Arbeitsübereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP zufrieden - vor allem mit dem Vorhaben in ihren eigenen Ressorts. Zustimmung gab es vor Beginn des Sonderministerrats am Montag auch bei den beiden Regierungskoordinatoren, Thomas Drozda (SPÖ) und Harald Mahrer (ÖVP).
Drozda sprach von klaren Inhalten und Zielsetzungen. Das Gute daran sei, dass jeder, der das Programm beschließe, auch dazu stehe. Auch sein Gegenüber Mahrer bekannte sich zum neuen Regierungsübereinkommen. Der Staatssekretär findet, dass die Frage der Unterschrift - Sobotka wollte ja zwischenzeitlich nicht das ganze Papier, sondern nur sein Kapitel unterschreiben - überbewertet werde.
Die unterschiedlichen Maßnahmen vor allem in ihren angestammten Bereichen lobten etwa Sozialminister Alois Stöger, Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (beide SPÖ), Familienministerin Sophie Karmasin, Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, Justizminister Wolfgang Brandstetter (alle ÖVP) sowie weitere Regierungsmitglieder.
Schützenhöfer: Neuwahldebatte beendet
Der steirische LH Hermann Schützenhöfer (ÖVP) hat das neue Regierungsprogramm als solide und einen "erfrischenden Kompromiss" bezeichnet. Für ihn sei die Debatte um Neuwahlen vom Tisch. Bis Herbst 2018 soll nun durch- und das Programm abgearbeitet werden: "Dann haben ÖVP und SPÖ noch lange nicht ausgedient." Für LHStv. Michael Schickhofer (SPÖ) brauche es nun den "steirischen Stil" auch in Wien.
Schützenhöfer meinte, er habe dem Arbeitsprogramm "aus voller Überzeugung zugestimmt", da viele Punkte darin enthalten seien, die die ÖVP schon früher eingefordert hätte. Er betonte etwa besonders die darin enthaltene höhere Forschungsprämie. Auch freute sich Schützenhöfer über das Vorhaben eines Mindestlohns. Ein solcher mache einen besseren Vergleich zwischen einem 40-Stunden-Job und der Mindestsicherung möglich. Obwohl eine einheitliche Regelung der Mindestsicherung nicht im Programm sei, blieb Schützenhöfer dabei, dass man dieses Thema noch einmal zusammen mit dem Bund angehen müsse.
Mitterlehner und Kern bei Van der Bellen
Vor den Parteigremien hatten Kanzler und Vizekanzler Bundespräsident Alexander Van der Bellen über ihre Pläne informiert. Die Spitzen der Koalition zeigten sich zuversichtlich dass ein Regierungsübereinkommen zustande kommen könnte. "Es war ein gutes Gespräch", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nach der rund einstündigen Zusammenkunft Montagfrüh in der Hofburg. Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) stimmte dem zu.
Parteigremien tagen
Eine Stellungnahme des Staatsoberhaupts gab es danach nicht. Auch beim Eintreffen zur Festveranstaltung "40 Jahre Volksanwaltschaft" im Parlament am Montagvormittag sagte Van der Bellen zu Fragen zur Koalition lediglich: "Kein Kommentar."
Hofer meinte im Gespräch mit der APA, eine Frühjahrswahl sei damit ac acta gelegt. Eine Nationalratswahl im Spätherbst 2017 oder Anfang 2018 wollte er aber nicht ausschließen und verwies auf die Landtagswahlen im Frühjahr 2018 und auf die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018. Auch für Hajek ist in Sachen Wahlen nach dem Sommer alles offen.
Hofer sieht mit der Einigung auf den Pakt zwar eine Verbesserung zum derzeitigen Zustand, aber bei weitem "nicht alles Eitel Wonne". Man habe zwar Zeit gewonnen, aber der Streit sei damit nicht automatisch abgesagt. Er erwartet weitere heftige Auseinandersetzungen, zumal über Details weiter geredet werden müsse, wie etwa über die Frage der Arbeitszeitflexibilisierung.
Hofer: Eher ÖVP-Handschrift
In einigen Punkten sieht Hofer in den bisher bekannten Plänen eine ÖVP-Handschrift - etwa beim Wirtschafts- und beim Sicherheitspaket oder auch bei der Studienplatzfinanzierung sei die SPÖ der ÖVP entgegen gekommen. Außerdem habe die SPÖ rote Markierungen wie die Forderungen nach Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie einer Wertschöpfungsabgabe für den Wahlkampf übrig gelassen. Insofern werde die ÖVP dieses Paket wohl eher verkraften können, meinte Hofer, obwohl die Diskussion über die Unterschrift unter den Pakt "die Fragmentierung der Partei" zeige. Auf der anderen Seite hält es der Politik-Berater für "unmöglich und undenkbar", dass aus der SPÖ auf breiter Front Kritik an dem Paket kommen wird, weil das Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) beschädigen würde.
Hajek sieht mit dem Pakt zwar die Koalition gefestigt. Allerdings habe sie nur dann gute Chancen, wenn die Menschen erkennen, dass er ihnen etwas bringt und die Sachen "Hand und Fuß" haben. Wenn es sich jedoch um einen faulen oder lauwarmen Kompromiss handeln sollte, dann hätte sich die Koalition schon den Mühlstein um den Hals gelegt. Wenn der Plan erfüllt wird, wovon Hajek ausgeht, wenn alle Minister unterschreiben, dann bringe er Sicherheit und Stabilität, aber weniger Flexibilität, weil ein klarer Fahrplan festgelegt sei.
"Casus belli" für Neuwahlen festgelegt
Hajek glaubt aber auch, dass mit dem Pakt schon ein "casus belli" für Neuwahlen festgelegt ist. Wenn sich nämlich eine Partei nicht an den Plan halte, dann könne ihr die andere den Schwarzen Peter für Neuwahlen zuschieben.
Außerdem stellt der Meinungsforscher die "gewagte Hypothese" auf, dass die Einigung der Koalition auch für die FPÖ von Vorteil sei. Die SPÖ wäre nämlich auf Neuwahlen gut vorbereitet gewesen und Kanzler Kern habe in den persönlichen Werten stark zugelegt. Außerdem hätte die FPÖ in einem Wahlkampf gegen Kern und auf ÖVP-Seite gegen Sebastian Kurz zu kämpfen gehabt. Und schließlich habe die FPÖ schon ein Jahr Präsidentschaftswahlkampf hinter sich und entsprechend leere Kassen.
Interessant wird nach Einschätzung Hajeks auch, wie sich die Bundesländer verhalten werden. Für ihn stellt sich die Frage, was die ÖVP macht, wenn die Bundesländer sagen sollten, "nicht mit uns". Insofern hänge das "Wohl und Wehe" der Koalition auch von den Bundesländern ab.
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