Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"

Bürokratie-Insider Manfred Matzka: „Mit Klein-Klein ist da nichts mehr zu machen“
Wie der höchste Beamte der Republik a. D. die Verwaltung radikal entrümpeln und mit dem Wildwuchs bei Förderungen und im Gesundheitssystem aufräumen würde – und wer am meisten blockiert.

Der Jurist Manfred Matzka war von 1999 bis Ende 2015 Leiter der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt und damit der höchste Beamte der Republik. Er gehörte von 2003– 2005 dem Österreich-Konvent an und hat das Projekt eGovernment stark forciert.

KURIER: Herr Matzka, wie würden Sie die österreichische Verwaltung reformieren, bekämen Sie eine Carte blanche?

Manfred Matzka: Die Strukturen, die wir haben, sind 100 Jahre alt. 1920 ist die Verfassung und die Verwaltung, die wir heute haben, gemacht worden. Ein Unternehmen nach 100 Jahren nicht an die Gegebenheiten und Entwicklungen anzupassen, würde keiner akzeptieren. Für den Staat gilt dasselbe, es ist also dringend.

Woran sind Reformen bisher gescheitert?

Die Reformen, die getan werden sollten, muss man nicht neu erfinden, sie liegen auf dem Tisch. Es geht um den Mut, sie zu machen und sich über Partikularinteressen hinweg zu setzen. Man kann keine Verwaltungs- oder Staatsreform machen, mit der alle zufrieden sind. Es gibt immer jemanden, der an geliebten Dingen festhalten will. Daran sind zuletzt alle Initiativen gescheitert. Man hat sich nicht getraut, gegen Lobbyisten vorzugehen. Eine Verwaltungs- und Staatsreform muss wehtun, wenn sie nicht wehtut, ist es keine gescheite Reform. Nur: es geht dem Land noch immer so gut, dass sich das dringende Interesse, eine große Reform zu machen, nicht manifestiert.

Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"
Manfred Matzka, Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheaterholding und ehemaliger Sektionschef der Sektion I (Präsidialsektion) im Bundeskanzleramt, über seinen Plan K für Österreich. Wien, 16.06.2017

1920 gab es diesen Druck?

Die letzte große Reform hat es in den 1920er-Jahren nach dem Ersten Weltkrieg unter dem Diktat des Völkerbundes gegeben. Es gab finanzielle Not, eine Griechenland-Situation. Die werden wir in absehbarer Zeit nicht haben. Deswegen fehlt der Druck, etwas wirklich Großes zu machen. Und vor allem fehlt der Druck bei den Ländern, denen es finanziell Dank einer Serie von Finanzausgleichen zu ihren Gunsten am besten geht. Daher sagen sie bei allem, was vorgeschlagen wird und ihre Interessen betrifft, Nein. Damit blockieren die Länder alles.

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Die Länder sind die Bremser. Was muss passieren, um die Länder zu gewinnen?

Es ist notwendig, an der Kompetenzverteilung etwas zu ändern. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern kennt weder IT, noch Internet oder Industrie 4.0. Und es gibt eine Globalisierung, der man nicht mit Klein-Klein begegnen kann. Der richtige Weg ist hier, alle Gesetzgebung dem Bund zu überlassen und den Ländern viel mehr an Vollziehungsautonomie zu geben als derzeit. Wir haben auch eine zu starke Überregulierung in kleinen Dingen und nicht den Mut, die Leute selbst das Vernünftige tun zu lassen.

Was ist überreguliert?

Wenn ein syrischer Schneider im Zuge des Flüchtlingsprogrammes nach Wien gekommen ist und eine kleine Werkstatt aufmachen will, scheitert er an der Gewerbeordnung. Vieles ist so genau geregelt, dass es Initiative hemmt. Das sieht man auch an den vielen Verkehrsampeln, die in diesem Land herumhängen. Die Alternative ist aber nicht der blanke Neoliberalismus, sondern zurückhaltende Steuerung.

Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"
Manfred Matzka, Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheaterholding und ehemaliger Sektionschef der Sektion I (Präsidialsektion) im Bundeskanzleramt, über seinen Plan K für Österreich. Wien, 16.06.2017

Was müsste besonders dringend umgekrempelt werden?

Wir haben Verwaltungsbereiche mit einer ungeheuer großen Komplexität, wie etwa das Gesundheitswesen. Es gibt unterschiedliche Financiers, unterschiedliche Entscheidungsträger und mangelnde Transparenz. Der, der über Ausgaben entscheidet, entscheidet nicht über die Einnahmen. Die Sozialversicherungsstrukturen sind zu komplex, es gibt verschiedene Krankenanstaltenträger, unterschiedliche Dienstrechte und das endet bei mangelnder Vernetzung des stationären und extramuralen Sektors. Solche Komplexitäten finden wir nicht auch im Bildungswesen und bei Betriebsanlagen. Das bremst enorm.

Undurchsichtig ist das gesamte Fördersystem. Ihr Vorschlag?

Wir sind ein überbordender Förderstaat. Das hat Dimensionen angenommen, die man sich nicht leisten sollte. Ein Paradebeispiel für Mehrfachförderungen sind Sport und Kultur. Das gehört bereinigt. Ebenso Strukturen im Agrarsektor.

Was zum Beispiel?

Wir machen weiterhin Dinge, die ohnehin die EU macht. Im Agrarbereich gibt es eine Vier-Ebenen-Struktur: ein Ministerium, neun Agrarlandesräte und Bezirksbauernkammern und in Wahrheit fallen die Entscheidungen aber in Brüssel. Diese Strukturen stammen aus einer Zeit, in der der Anteil der Bauern zehnmal größer war als heute. Entscheidungen sind im Inland gefallen und es war tatsächlich richtig, den Viehverkehr mit dem Ausland bundesverfassungsrechtlich klar zu regeln. Heute bestimmt das ausschließlich die EU.

Braucht Österreich als EU-Mitglied noch Bundesländer?

Klares Nein zur Abschaffung. Das ist nicht der Kern des Problems. Das Problem ist, auf wie vielen Ebenen wird eine Sache behandelt und erledigt. Ich warne vor simplen Lösungen und nur zu sagen, wir schaffen etwas ab. Es geht nicht darum, neun Landtage abzuschaffen, sondern die Gesetzgebung auf Länderebene ist nicht mehr sinnvoll. Bestimmte Vorschriften, etwa im Baubereich, sollten auf Bundesebene gemacht werden: Die Höhe der Stufen oder den Schutz der Tiere muss man nicht regionalisieren. Aber in der Anwendung der Gesetze ist es sinnvoll, den Ländern viel mehr Spielraum zu geben. Das ermöglicht flexible Lösungen.

Vier Wetterdienste für ein Wetter: Ist das nicht übertrieben?

Das ist ein spektakuläres Beispiel. Es gibt aber auch neun Denkmalschutzämter und eine Zentrale. Oder: brauchen wir wirklich ein Melderegister, ein Personenstandsregister und eine Wählerevidenz nebeneinander. Würde nicht ein Register reichen? Wir haben ein Register der Finanzverwaltung mit Steuernummer, ein Gewerberegister und ein Firmenbuch, wo dieselben Subjekte erfasst sind mit drei verschiedenen Nummern und jeweils einer Bürokratie dahinter. Brauchen wir IT-Planung im Bundeskanzleramt, im Innenministerium, im Finanzressort und in der Landesverteidigung? Wäre nicht eine einzige Stelle ausreichend? Warum haben wir verschiedene Zustellregelungen? Wir haben ein Zustellgesetz für das Verwaltungsverfahren, für die Justiz und für die Finanzzustellung. Warum gibt es keine einheitliche Adresse, die einfach "Staat" heißt? Da gibt man dann seine Steuererklärung und den Meldezettel ab. Das würde Dinge erleichtern und Geld sparen.

Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"
Manfred Matzka, Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheaterholding und ehemaliger Sektionschef der Sektion I (Präsidialsektion) im Bundeskanzleramt, über seinen Plan K für Österreich. Wien, 16.06.2017

Wie viel Geld kann man durch eine Verwaltungsreform sparen?

Die Erwartung, dass man sich durch die Verkleinerung von Ämtern große Summen ersparen kann, ist falsch. Die großen Personalzahlen hat der Staat nicht hinter den Schreibtischen, die hat er bei Lehrern, der Polizei, beim Militär und im Gesundheitsbereich. In der Verwaltung sitzen zehn bis 13 Prozent des Personalstandes. Diese Personalausgaben sind nicht die großen Ausgaben, die großen Ausgaben des Staates sind die Transfers. Wenn man Geld einsparen will, dann bei Transferleistungen, die nicht existenznotwendig sind: zum Beispiel bei geförderten Lärmschutzwänden und Kreisverkehren. Große Einsparungen sind etwa durch die Zusammenlegung der Register möglich, im Gesundheitssektor durch eine bessere Verteilung der Großgeräte, bei den Sozialversicherungen wo es nicht darum geht, aus 17 Sozialversicherungen eine zu machen. Hier würde ein einheitlicher Leistungskatalog mehr Geld sparen.

Gibt es in der EU ein Land mit guter Verwaltungsreform?

Es gibt in Europa keinen Staat, der "die" große Verwaltungsreform gemacht hat. Österreich hat ja eine sehr gute Verwaltung, wir sind immer vor vielen anderen. Dänemark, Finnland und Schweden aber haben es geschafft, effiziente Regionalstrukturen aufzubauen und kleine Verwaltungseinheiten beseitigt. Es gibt in den nordeuropäischen Staaten eine klare Trennung zwischen strategischer Steuerung auf Ebene der Ministerien und dem operativen Vollzug auf einer Ebene darunter. Bei E-Government kann man von Estland lernen. Die Schweiz ist in der politisch-strategischen Planung viel besser aufgestellt als Österreich und hat mit der Bundeskanzlei auch eine Unit auf der föderalen Ebene, die effizient koordiniert. So kann man von vielen etwas lernen.

Sollte die neue Regierung gleich mit einer Verwaltungsreform beginnen?

Sie muss gleich mit einem großen Wurf beginnen, sonst geht es sich in vier Jahren nicht mehr aus. Es geht um den gesamtstaatlichen Entwurf, auch um die Ländereinbindung. Verwaltungsreformen gab es immer dann, wenn eine Partei mit starker interner Führung an der Regierung war. Dann war es möglich, die Länderinteressen hineinzunehmen. Ich rede von Kreisky und auch von Klaus. Jedenfalls: Wenn Strukturen zu lange starr sind, dann passiert etwas Unerwartetes. Wenn die Parteien überleben wollen, dann geht es nur mit radikalen Schritten. Mit Klein-Klein ist da nichts mehr zu machen.

Es gab in Österreich bereits mehrere Anläufe für eine umfassende Staats- und Verwaltungsreform. Verbesserungen gab es bestenfalls in kleinen Bereichen.

1992:Einen ersten Anfang gab es unter Bundeskanzler Franz Vranitzkyund Vizekanzler Erhard Busek. Mit dem "Perchtoldsdorfer Abkommen" wurde damals die Neuordnung Bund/Länder zwischen dem SPÖ-Kanzler und dem damaligen Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, NÖ Landeschef Siegfried Ludwig (ÖVP), vereinbart.

Die Länder fürchteten damals einen Bedeutungsverlust durch den EU-Beitritt Österreichs und wollten ihre Rechte abgesichert haben.

2003: Den nächsten Versuch startete die schwarz-blaue Regierung von Schüssel/Riess-Passer mit der Einsetzung des Österreich-Konvents.Zwei Jahre lang wurden Ideen gesammelt, der Konvent scheiterte jedoch.

2007: Die Regierung Gusenbauer/Molterer installierte eine Arbeitsgruppe (Andreas Khol, Peter Kostelka, Franz Fiedler und Verfassungsdienst-Chef Georg Lienbacher), die auf Basis der Konventsergebnisse eine Staats- und Verwaltungsreform vorbereiten sollte. Auch daraus wurde nichts.

2009: Nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise startete die rot-schwarze Regierung von Faymann/Pröll die "Österreich-Gespräche". Die Koalition vereinbarte insgesamt 32 Projekte, mit denen die Verwaltung effizienter werden soll. Im Vollausbau sollte das rund 100 Millionen Euro jährlich bringen. Die ins Auge gefassten Maßnahmen reichten von der Vereinheitlichung der Computer-Infrastruktur des Bundes über die Zusammenlegung der Wetterdienste bis hin zur Schließung nicht mehr benötigter Heerestankstellen.

Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"

Was denkt heute der ehemalige Regierungschef Franz Vranitzky über den aktuellen Stand der Neuverteilung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern? " In den vergangenen Jahren ist etwas eingerissen, was es früher nicht gab, und was es nicht geben sollte. Eine starke Abhängigkeit der politischen Willensbildung auf Bundesebene von den Landesregierungen. Das trägt nicht den Zug eines modernen Staatswesens. Österreich ist nicht groß genug, um sich eine so durchgreifende Dezentralisierung und die damit verbundenen Geldströme leisten zu können. "

Nicht effizient seien auch die vielen Landesgesetze, die dieselben Sachverhalte (Jugendschutz, Bauordnung) unterschiedlich regeln.

Zu einer "Verlangsamung der Vorgänge" führt auch, dass die Landeshauptleute zu wichtigen Bundesangelegenheiten gehört werden. "Das ist eine Entwicklung, die Österreich auf den Weg zur nächsten Modernisierungsstufe behindert. Die Kraft eines modernen Staates, zumal dann, wenn er klein ist wie Österreich, zeigt sich in effizienten Abläufen von Entscheidungen", sagt Vranitzky.

Langjähriger Top-Beamter: "Eine Staatsreform muss wehtun"

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