Kurz' Wahlprogramm: "Das, was mich politisch ausmacht"

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Den ersten Teil des ÖVP-Wahlprogramms stellt Sebastian Kurz unter das Motto "Neue Gerechtigkeit und Verantwortung". Heute präsentierte der ÖVP-Chef das 119 Seiten umfassende Paket.

Mangelndes Talent für Dramaturgie kann man Sebastian Kurz wahrlich nicht vorwerfen. In Hintergrundgesprächen und Interviews mit Journalisten ließ der ÖVP-Chef in den vergangenen Wochen bereits mehr oder weniger tief in sein Programm blicken. Am Montag wurde das Wahlprogramm - zumindest der erste Teil, der unter dem Motto "Neue Gerechtigkeit" steht - dann den Medien zugespielt, ehe es heute schließlich ganz offiziell bei einer eigenen Pressekonferenz in Wien präsentiert wurde. Sprich: Ein Programm, massig Medienberichterstattung.

Und das ist noch nicht alles. Die Teile zwei (Wirtschaftsstandort) und drei ("Ordnung in Europa und in Österreich") sollen in den kommenden Wochen gesondert präsentiert werden. Wann genau, ließ Kurz jedoch offen. "Lassen Sie sich überraschen", meinte der ÖVP-Chef am Dienstag nur.

Dass die Präsentation so lange auf sich warten ließ, liege aber vor allem an der aufwendigen Erstellung des Programms. "Wir haben ganz bewusst nicht drei Leuten in der Parteizentrale den Auftrag gegeben, das Programm zu schreiben", meinte Sebastian Kurz bei der Pressekonferenz im Wiener Lokal "Heuer" am Karlsplatz. Vielmehr habe es sich um einen längeren Prozess gehandelt, bei dem auch viele Anregungen aus der Bevölkerung aufgenommen worden seien. Bewusst sei auch eingeflossen, "was mich politisch ausmacht", es sei daher "liberal und christlich sozial", so der Parteichef.

Ambitioniert, aber machbar

Für die heutige Präsentation fasste Sebastian Kurz das Programm noch einmal als "ambitioniert, aber machbar" zusammen. Ziel sei es, die "Menschen zu entlasten, damit ihnen auch von ihrem Verdienten mehr bleibt". Vor allem kleine und mittlere Einkommen sollten unterstützt werden, meinte Kurz. Konkret will die ÖVP die Steuersätze von 25 Prozent auf 20 Prozent, von 35 Prozent auf 30 Prozent, von 43 Prozent auf 40 Prozent reduzieren. Keine Veränderung soll es bei den übrigen Tarifstufen 48 Prozent, 50 Prozent und 55 Prozent geben.

Und: "Wer Leistungen beziehen will, der muss Leistung erbringen." Nur so könne ein Sozialstaat funktionieren. Übersetzt heißt das: Sozialleistungen für nicht-österreichische Staatsbürger und für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sollen gekürzt werden (mehr dazu siehe unten) - was bei der Präsentation am Dienstag jedoch erst auf Nachfrage erläutert wurde. Kurz begründete die Vorschläge damit, dass die "Zuwanderung ins Sozialsystem" beendet werden müsse. Niederlassungsfreiheit wiederum bedeute für ihn, dass jeder das Recht haben soll, in einem Land zu arbeiten, sich aber nicht das beste Sozialsystem aussuchen zu können.

Kurz tritt in ORF-Causa auf Bremse

In der zuletzt tobenden Schlammschlacht um das Verhältnis zwischen ORF-Moderator Tarek Leitner und SPÖ-Chef Christian Kern wollte Kurz kalmieren: Es gäbe "wichtigere Dinge" als die Diskussion um die Freundschaft der beiden, sagte Kurz. ÖVP-Mitstreitern, die einen Abzug Leitners von den im Herbst startenden Wahl-Duellen im ORF forderten, pflichtete er am Tag nach dem Sommergespräch seines Kontrahenten Kern nicht bei: „Das ist nicht meine Entscheidung“, sagte der ÖVP-Chef.

Mit dabei am Dienstag war auch der Listendritte, Ex-Rechnungshofpräsident Josef Moser. Seiner Erfahrung nach würden die Mittel der Steuerzahler in Österreich nicht effizient genug verwendet, das Land habe daher seine Rolle als Vorzeigeland eingebüßt. Dass Österreich laut jüngsten Wirtschaftsprognosen wieder ein nachhaltiger Aufschwung bevorsteht, blieb hingegen unerwähnt.

Kurz' Wahlprogramm: "Das, was mich politisch ausmacht"
ABD0038_20170905 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.l.), Ex Rechnungshofpräsident Josef Moser, AM Sebastian Kurz anl. der Präsentation der ÖVP zum Wahlprogramm "Neue Gerechtigkeit und Verantwortung" am Dienstag, 05. September 2017, in Wien. - FOTO: APA/HANS PUNZ

Moser fordert Strukturreform

Um die Wirtschaft anzukurbeln und die Bürger zu entlasten, brauche es jedenfalls eine Steuer- sowie Gebührensenkung, forderte Moser. Österreich brauche auch Strukturreformen. Konkret pochte er ein weiteres Mal auf eine Steuersenkung auf 40 Prozent, eine Ausgabenbremse und einen effizienten Einsatz der öffentlichen Mittel. Bei Nichteinhaltung der Schuldenbremse brauche es außerdem Sanktionen. Moser plädierte auch dafür, die Themen Umwelt, Soziales und Wirtschaft gesamt zu betrachten.

Kurz erklärte noch, man habe die Gegenfinanzierung sehr konservativ gerechnet. Optimistisch zeigte er sich weiters, dass es gelingt, die Steuerfluchtroute zu schließen, hierfür gebe es in Europa mittlerweile ein größeres Bewusstsein. Vieles sei zwar nur international zu regeln, dort wo es möglich ist, werde man aber national vorgehen.

Eine Analyse des Programms lesen Sie hier.

Die ÖVP will Österreich mit "fairer Entlastung ohne Neuverschuldung" "zurück an die Spitze" führen. Gelingen soll das durch die Abschaffung der kalten Progression für alle Einkommen. Zudem soll es eine Lohn- und Einkommenssteuer-Senkung durch niedrigere Steuersätze für die ersten drei Tarifstufen geben.

Dezidiert soll es künftig keine Erbschaftssteuern geben noch Eigentums- bzw. Vermögenssteuern in Österreich geben. Weiters will sich Kurz für die Abwehr von der schrankenlosen Nullzinspolitik einsetzen und tritt gegen die Abschaffung des Bargelds ein.

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ÖVP Wahlprogramm

Keine Steuern auf das erste Eigenheim

Unter dem Kapitel "Generationengerechtigkeit" findet sich die Forderung nach 1500 Euro Steuerbonus für jedes Kind und "Keine Steuern auf das erste Eigenheim." Die staatlichen Nebenkosten, etwa die Grunderwerbssteuer, auf das erste Eigenheim sollen abgeschafft werden. Um keine neuen Schulden zu machen, soll die Schuldenquote langfristig auf 60 Prozent reduziert und eine Ausgabenbremse eingeführt werden. "In Zukunft darf der Anstieg der Ausgaben insgesamt die jährliche Inflationsrate nicht übersteigen."

Pensionsprivilegien abschaffen

Ältere Wähler dürften sich insbesondere vom folgenden Punkt angesprochen fühlen. Mit der ÖVP werde es keine Kürzung von kleinen und mittleren Pensionen geben. Höhere Zuschläge soll es bei der Korridor-Pension bei längerem Arbeiten geben. Das VP-Programm sieht eine Erhöhung des Aufschlags für Arbeiten bis 68 auf 5,5% pro Jahr und keine Pensionsversicherungsbeiträge zwischen dem 65. und 68. Lebensjahr vor. Weiters soll es für Frauen die Möglichkeit geben, freiwillig bis 65 und länger zu arbeiten. Pensionsprivilegien bei Stadt Wien, ÖBB oder OeNB soll der Gar ausgemacht werden. Vereinheitlicht werden soll die Mindestsicherung. Österreichweit soll es laut Kurz‘ Plan eine Deckelung der Mindestsicherung für eine Bedarfsgemeinschaft auf maximal 1500 Euro geben.

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Geplante Entlastungen und Gegenfinanzierung GRAFIK 0893-17, 88 x 104 mm

Mindestsicherung light

Wie bereits berichtet, soll es Änderungen bei Menschen geben, die nicht österreichische Staatsbürger sind wie beispielsweise eine Mindestsicherung light es für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte in den ersten fünf Jahren. Das Mindestsicherungsmodell sieht vor:

  • 560 Euro/Einzelperson (365 Euro Grundversorgung, 155 Euro Integrationsbonus, 40 Euro Taschengeld, geknüpft an Erreichen von Integrationszielen)
  • Übergang in reguläre Mindestsicherung, wenn in ersten 5 Jahren reguläre Vollzeitbeschäftigung für mindestens 12 Monate
  • Der Zugang zu Sozialleistungen sollte grundsätzlich erst nach 5 Jahren Aufenthalt in Österreich möglich sein.

Sebastian Kurz will in punkto Arbeit Arbeiter und Angestellte gleichstellen. Das heißt, er tritt für einen „modernen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff“ ein und fordert die Angleichung der gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen für Arbeiter und Angestellte. Ein „Zeitwertkonto“ soll zur flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit dienen.

Weniger Mehrwertsteuer im Tourismus

Um den ländlichen Bereich zu stärken, soll es einen Breitband-Internet-Ausbau geben, die Rahmenbedingungen für bäuerliche Direktvermarktung verbessert werden.

Um das Land als Tourismusstandort wieder „wettbewerbsfähig“ zu machen, soll es eine Reduktion des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen von 13 Prozent auf 10 Prozent und einen bundesweiten Wettbewerb zur „Identifizierung von sinnlosen Regulierungen und Vorschriften“ geben.

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Landarzt-Stipendien

Am Land soll zudem die medizinische Versorgungssicherheit gewährleistet werden.

Sebastian Kurz will Landarzt-Stipendien einführen und österreichweit attraktivere Rahmenbedingungen für Hausärzte schaffen.

Die ÖVP will die Reform des Krankenanstalten-Finanzierungssystems. Das heißt: gleiches Geld für gleiche Leistung und Zusammenlegung und Reduktion der Anzahl der Sozialversicherungsträger erwirken. Um die Pflege von Angehörigen zu sichern, sollen One-Stop-Shops für Förderungen und Unterstützung für Angehörige von pflegebedürftigen Menschen eingerichtet werden.

Gegenfinanzierung bis zu 14 Milliarden

Der ÖVP-Plan kostet insgesamt 11,7 bis 12,7 Milliarden Euro. (Lohn- und Einkommenssteuer 3-4 Mrd, Kalte Progression 1,6 Mrd., Steuerbonus Kinder 2 Mrd., Lohnnebenkosten 3 Mrd., KöSt 1 Mrd., Erstes Eigenheim 0,2 Mrd., Weitere 0,9 Mrd.). Gegenfinanziert werden soll das Kurz-Modell in Höhe von 12 bis 14 Milliarden Euro durch folgende Maßnahmen: Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum (4-5 Mrd.), Ausgabenbremse (4-5 Mrd.), Systemeffizienz (4 Mrd.), Zuwanderungsstopp-Sozialsystem (1,5 Mrd.), Sozialversicherung (0,7 Mrd.), Öffentliche Verwaltung (1 Mrd.) und Steuerfluchtbekämpfung (0,8 Mrd.)

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