Korruptionsjäger, die sich wie Gejagte fühlen
Die einen sagen, sie reiten ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Schießen auf alles, was sich bewegt. Ruinieren Existenzen.
Die anderen feiern sie als Helden, die korrupten Politikern und betrügerischen Managern das Handwerk legen.
Selten hat eine Behörde so stark polarisiert wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Was steckt dahinter? Der KURIER hat sich im Justiz-Spektrum umgehört – bei Staatsanwälten, Richtern, Rechtsanwälten und im Ministerium.
Gegründet 2009 als Elitetruppe gegen Korruption, zog sie wohl Menschen mit entsprechender Persönlichkeitsstruktur an: kämpferisch, hartnäckig. 2012 kamen die Wirtschaftsstrafsachen dazu. Der Personalstand wuchs rasch an – zu rasch, sagen manche. Viele Junge hat der Job gereizt; viele kamen mit den Ansprüchen, dem Druck nicht zurecht, sie zogen ab.
"Die fantastischen Vier"
Ein harter Kern blieb, und Behördenchefin Ilse Vrabl-Sanda bildete um sich einen Kreis des Vertrauens. Justizintern wird dieser Kreis (wenig wohlwollend) als "die fantastischen Vier" bezeichnet.
Zu der Vierer-Gruppe zählten erst die Oberstaatsanwälte Gregor Adamovic und Christina Jilek, federführend im Ibiza-Verfahrenskomplex, und zwei Mediensprecher. Jilek hat die WKStA mittlerweile verlassen. Seit rund einem Jahr tritt in diesem engsten Kreis auch Matthias Purkart, Oberstaatsanwalt und IT-Spezialist, in Erscheinung.
Vrabl-Sanda, Adamovic, Jilek und Purkart kennt man aus dem U-Ausschuss. Dort beklagten sie sich über Schikanen seitens ihrer Oberbehörden und dass ihnen ein "politisches Korsett" die Luft abschnüre.
Korruptionsjäger, die sich selbst als Gejagte empfinden – der Kampf gegen die Außenwelt schweißt sie zusammen.
Politischer Druck
Da wäre zunächst die politische Front: ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz etwa hält die WKStA für eine linkslastige Truppe, die es hauptsächlich auf die ÖVP abgesehen habe.
Dass die WKStA bei Rot oder Grün wegschaue, lässt sich nicht belegen: Sie untersucht den Fall Commerzialbank, in dem die burgenländische SPÖ unter Druck kam. Sie ermittelt wegen Bestechlichkeit gegen den mächtigen Wiener SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy und ist in der Spendenaffäre um den Ex-Grünen Christoph Chorherr aktiv.
Und Adamovic, einer der "fantastischen Vier", hat sich 2017 als Ankläger im Salzburger Swap-Prozess gegen Ex-SPÖ-Bürgermeister Heinz Schaden einen Namen gemacht.
Streit mit der Fachaufsicht
Aber nicht nur die ÖVP, auch die WKStA fühlt sich aus (partei)politischen Motiven schikaniert – auch innerhalb der Justiz: So wehrt sie sich vehement gegen die viele Jahre schwarz und blau geprägte Weisungsspitze im Ministerium und gegen ihre Fachaufsicht. In Person sind das Johann Fuchs, Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien, und Christian Pilnacek, Sektionschef (der von Zadić erst in seiner Macht beschnitten wurde und derzeit suspendiert ist).
Eskaliert ist der interne Streit bei einer Besprechung zur Eurofighter-Causa im April 2019: Vertreter der WKStA, darunter Vrabl-Sanda mit den "fantastischen Vier", zeigten Fuchs und Pilnacek wegen Amtsmissbrauchs an. Die Besprechung wurde heimlich aufgenommen, angeblich von Adamovic – was die WKStA weder bestätigt noch dementiert. Erklärt wurde, man habe die Tonaufnahme für ein Protokoll gebraucht. Der Tabubruch blieb ohne dienstrechtliche Folgen.
Ein Foul leisteten sich auch Pilnacek und Fuchs: In eMails tauschten sie sich darüber aus, dass man die WKStA gegenüber Medien in ein schlechtes Licht rücken solle.
Immer wieder ein Streitgrund ist die Berichtspflicht, wonach Staatsanwälte Schritte in wichtigen Verfahren intern melden müssen. Die Berichtspflicht sei eigentlich ein Mittel zur Qualitätssicherung, sagt ein Ex-WKStA-Mann dem KURIER.
In einer Behörde seien Weisungen von Vorgesetzten "normal", mit dem Selbstverständnis vieler in der Justiz aber nicht vereinbar: "Staatsanwälte haben eine Richterausbildung. Sie sind so sozialisiert, dass sie unabhängig entscheiden und sich nicht rechtfertigen müssen." Gerade eine Elitetruppe wie die WKStA hält Berichtspflichten schwer aus. Jeder Eingriff wird als Angriff empfunden.
Gründung
2009 als Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA) mit Walter Geyer, Ex-Grün-Abgeordneter, als Chef. 2012 übernahm Ilse Vrabl-Sanda. In dieser Zeit kamen die Wirtschaftsagenden dazu, die Behörde heißt nun WKStA.
38 Oberstaatsanwälte
sind dort tätig, es gibt aktuell sechs offene Planstellen. Im Vorjahr ging eine Oberstaatsanwältin der WKStA zur Europäischen Staatsanwaltschaft, die gerade in Luxemburg errichtet wird.
9 Experten
aus den Fachgebieten Wirtschaft, Steuerberatung und Bankwesen sind bei der WKStA tätig, dazu kommen noch IT-Experten.
210 Verfahren
gegen mehr als 2.100 Beschuldigte führt die WKStA aktuell, davon gelten rund 40 Prozent als Großverfahren mit mehreren Handlungssträngen – wie etwa die Ibiza- bzw. Casinos-Causa.
Eine "Erfolgsquote"
oder eine durchschnittliche Verfahrensdauer sind statistisch nicht erfasst.
Berechtigte Kritik
Dass Manöverkritik aber durchaus berechtigt ist, meinen andere Staatsanwälte gegenüber dem KURIER. So etwa: "Die WKStA verrennt sich gerne in einzelnen Verfahrenssträngen, die nirgendwohin führen, weil sie meint, besonders penibel und streng vorgehen zu müssen." Das sei neben der Berichtspflicht ein Faktor für die oft lange Verfahrensdauer.
Als Nebenfront gibt es Rivalitäten mit anderen Staatsanwaltschaften. Die WKStA kann Verfahren abstoßen, wenn sie sich nicht zuständig fühlt, und andere an sich ziehen. Dass dieses WKStA-Privileg andere Ermittler nicht freut, ist klar.
Anzeige gegen Journalistin
Auch mit Medien hat die WKStA ihre Scharmützel: Eine Presse-Journalistin analysierte eine Höchstgericht-Entscheidung über unzulässige Ermittlungspraktiken. Die WKStA dürfte sich auf den Schlips getreten gefühlt haben und zeigte die Journalistin an. Auch hier waren Adamovic, Jilek und Purkart mit dabei. Die Anzeige ging ins Leere.
Vizekanzler Kogler, derzeit Justizminister, meinte, die WKStA habe mit der Anzeige eine "rote Linie überschritten". Dennoch verteidigen die Grünen die Behörde weiterhin vehement gegen Umbaupläne der ÖVP (siehe unten).
Freunde werden ÖVP und WKStA wohl nicht mehr werden, aber zumindest der Ton hat sich entspannt. So sagte Finanzminister Blümel nach der Hausdurchsuchung bei ihm: "Obwohl das eine unangenehme Situation war, muss ich sagen, dass die Herrschaften sehr fair und höflich waren."
Anmerkung: WKStA-Chefin Vrabl-Sanda wollte dem KURIER kein Interview geben, die Medienstelle verwies auf frühere Stellungnahmen und erklärte, einzelne Sachbearbeiter seien als Personen nicht Gegenstand von Auskünften.
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