Kogler: "Herr Orban versucht, mit den anderen Schlitten zu fahren"
Der Vizekanzler versteht zwar, dass der Kanzler wegen der Asylkrise nach Serbien und Ungarn fährt, bleibt aber skeptisch. Beim Koalitionspartner lobt er die „wieder entdeckte Breite“ des ÖAAB.
KURIER: Herr Vizekanzler, vor kurzem sagte Sie, die Grünen unterstützen kein Veto bei der Schengenerweiterung. Innenminister Karner aber droht mit Blockade, Kanzler Nehammer nur im Fall Bulgariens und Rumäniens, nicht bei Kroatien. Was jetzt also?
Werner Kogler: Ich stimme mit dem Kanzler überein, dass man bei Kroatien die festgestellte Schengenreife nachweisen kann. Was Bulgarien und Rumänien betrifft, fällt die Einschätzung differenzierter aus. Der Innenminister wollte zudem auf die hohen Zahlen von Migranten-Aufgriffen, Registrierungen und Asylansuchen hinweisen. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass man nicht nur über die Migrationsrouten über das Mittelmeer reden muss, sondern auch über jene über Bulgarien-Rumänien und die über Serbien.
Aber was genau wollen nun die Grünen?
Wir wollen die präzise Einschätzung der EU-Kommission, ob Rumänien und Bulgarien aktuell alles machen, was die Schengenvorgaben verlangen. Ich halte es für legitim, den Zusammenhang herzustellen, zwischen der Schengenerweiterung, dem Funktionieren dieses Systems und der Frage, wo Migranten registriert werden. Es macht aber Sinn, Schengen auf Bulgarien und Rumänien so rasch wie möglich auszuweiten. Weil ein Veto allein auch keine Verbesserung bringt.
Wir haben heuer an die 100.000 Aufgriffe von Migranten, 90.000 Asylanträge, viel zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten. Sind wir in Österreich in einer Migrationskrise?
Es wird gerne insinuiert, dass wir in einer Situation seien, die unbewältigbar wäre. Das trifft nicht zu. Ja, wir haben heuer 90.000 Asylansuchen, aber gleichzeitig beträgt die Zahl der Menschen in der Grundversorgung, die aus anderen Staaten als der Ukraine geflohen sind, nur rund ein Drittel davon. An der Zahl sieht man, dass viele Schutzsuchende weiter wandern. Die angebotenen Quartiere sind immer weniger geworden, da kann ich die Bundesländer nicht außen vor lassen. In einem föderalen Staat sollten die Bundesländer auch ihre übernommenen Aufgaben erfüllen.
Wäre mehr Unterstützung von Seiten der EU nötig?
Von der Situation auf dem Balkan bis hin zum offenkundigen Durchwinken der Migranten in Ungarn, da wäre es schon hilfreich, wenn das Problembewusstsein der Union und ihrer Mitgliedstaaten wieder steigen würde. Es wird nie alles gelöst werden können, seit zigtausenden Jahren hat es Migration gegeben. Wir müssen uns also vor jenen hüten, die uns – in der Regel von ganz rechts - unseriösen Unfug einreden.
Aber die Migration muss wieder in geordnete Bahnen kommen. Ordnung und Humanität, das muss beides möglich sein. Aber ich bin zurückhaltend, wenn es heißt: „Die Kommission muss liefern“ und wenn man mit dem Finger auf Brüssel zeigt. Denn genau bei dieser Frage sieht man, dass es einzelne Mitgliedstaaten sind, die eine gemeinsame Lösung vereiteln.
Kritisieren Sie da Innenminister Karner, der auch immer sagt: Brüssel muss liefern…
In Österreich steigen Migrationszahlen, und daher verstehe ich den Innenminister bis zu einem gewissen Grad. Sein Vorgehen verstehe ich mehr als ein Aufzeigen und weniger ein mit dem Finger auf Brüssel zeigen.
Was denken Sie, wenn Sie Kanzler Nehammer zusammen mit Serbiens Präsident Vucic und mit Ungarns Premier Orban sehen?
Es ist nachvollziehbar, dass man die Probleme in Serbien und Ungarn anspricht.
Aber die Frage muss man sich schon stellen: Wie ehrlich spielen Orban und Vucic? Ich habe ja nicht nur an dieser Stelle den Eindruck, dass Herr Orban immer wieder versucht, mit den anderen Schlitten zu fahren. Es kann ja nur so sein, dass in Ungarn kaum Migranten registriert werden, sonst wäre die ganze Situation jetzt bei uns gar nicht erklärbar. Ist Orbán ein ehrlicher Makler? Eher nein, aber zur Verbesserung der Situation muss man auch hin und wieder versuchen mit unehrlichen Maklern zu reden.
Sie haben in Brüssel EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni getroffen. Gab es da für Österreich auch gute Nachrichten?
Mehrere – etwa zur gemeinsamen europäischen Gasbeschaffung, die sich ja in der Zielgeraden befindet. Sie kann dazu beitragen, dass einerseits die Mengen gesichert und durch das Verhindern der gegenseitigen Konkurrenz der EU-Staaten das Gas billiger werden kann. Und zweitens: Alle Finanzierungs-Instrumente der EU-Kommission gehen in Richtung Begünstigung ökologischer Investitionen. Das ist besonders für Österreichs Wirtschaft und Arbeitsplätze wichtig, weil wir gerade hier große Chancen haben.
Warum gibt es keinen Gaspreisdeckel in Österreich?
Für einen vernetzten Markt ist es sinnvoll, zuerst eine europäische Lösung zu forcieren und sich an den europäischen Rechtsrahmen zu halten. Hier sind Ministerin Leonore Gewessler, Kanzler Nehammer und ich der Meinung, dass es eine Lösung braucht, die beides möglich macht: Die Versorgungssicherheit mit Gas und gleichzeitig preisdämpfende Effekte.
Beides zu vereinen, das ist große Kunst. Dass sich die EU-Kommission mit Vorschlägen schwertut, ist verständlich, doch in einem gewissen Rahmen muss das möglich sein. Was nicht sein soll, ist, dass Menschen, denen in der aktuellen Situation schon kaum was überbleibt, Existenzängste wegen ihrer Heizrechnung bekommen.
Genau dafür haben wir in Österreichs Bundesländern ein gutes Instrument – den Heizkostenzuschuss. Es wäre daher sinnvoll, dass wir als Bund hier Geld zuschießen, damit diese Unterstützung auf mehr Betroffene ausgeweitet und erhöht werden kann.
Wann wird Österreich unabhängig von russischem Gas sein?
Im Februar kamen noch 80 Prozent unseres Gases aus Russland, im September waren es nur noch 20 Prozent. Das wird nicht jeden Monat so gut sein. Laut Studien wird es bis 2027 dauern, bis wir unabhängig von russischem Gas werden können. Im letzten halben Jahr ist uns aber schon viel mehr gelungen als erwartbar war. Unsere Speicher sind jetzt über 90 Prozent voll: das bedeutet eine Vorratsdauer von 10 bis 11 Monaten.
Die Versorgung für diesen ganzen Winter ist damit gewährleistet?
Mit Sicherheit. Wir arbeiten sogar schon an den Vorbereitungen für die Heizsaison 2023/2024.
Vor einem Jahr wurde Kanzler Nehammer angelobt. Ist die Zusammenarbeit in der Koalition mit ihm besser als mit seinem Vorgänger?
Ein Vergleich ist schwierig, weil die Umstände und die Krisen jeweils andere waren. Aber wir haben jetzt eine sehr gute Arbeits- und Gesprächsbasis, besonders mit Kanzler Nehammer und Klubobmann Wöginger.
Das, was viel mehr zählt als die Stimmung, ist aber das Ergebnis unserer Arbeit - und das macht mich sicher. Wir haben geliefert, haben die Stromkostenbremse umgesetzt, die Zufallsgewinnsteuer, die Ökologisierung an ganz großen Rädern vorangedreht, und etwa mit der Abschaffung der Kalten Progression und der Anpassung der Familien- und Sozialleistungen an die Teuerung Haushalte dauerhaft und verlässlich entlastet. Und all das mit einer konservativen ÖVP.
..aber mit einem anderen Kanzler als Kurz..
Das ist wahr. Vielleicht hat da auch geholfen, dass der ÖAAB wieder seine Breite und seine christliche-soziale Herkunft entdeckt hat.
Sie möchten, dass der Untersuchungsausschuss weitergeht. Was erhoffen Sie sich denn noch zu erfahren?
Es sind so viele Dinge zu Tage gefördert worden, die es wert sind, weiter verfolgt zu werden. Ein Auslaufen soll nicht dazu führen, dass bestimmte Auskunftspersonen auf der Flucht bleiben. Etwa im Fall Benko oder Sigi Wolf könnte der U-Ausschuss helfen, herauszufinden, ob Gründe vorliegen, die Steuerakte neu zu prüfen.
Und sollNationalratspräsident Sobotka als Vorsitzender bleiben?
Ich sage nicht erst jetzt, dass er sich beim U-Auschuss-Vorsitz vertreten lassen sollte, ich an seiner Stelle würde das machen. Das würde zur Entspannung beitragen.
Wie lange wird die Regierung halten?
In Zeiten der vielen sich überlagernden Krisen sollten wir keine vorgezogenen Wahlen provozieren. Deshalb halte ich es für sinnvoll und auch wahrscheinlich, dass es diese Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode geben wird - bis Herbst 2024.
Werner Kogler ist seit knapp zwei Jahren Österreichs Vize-Kanzler sowie Minister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Der 61-jährige Steirer, geboren in Hartberg, zählt zu den Grünen Urgesteinen des Landes.
Der studierte Jurist und Wirtschaftswissenschafter schnupperte bereits in den 80er-Jahren im Gemeindrat erste politische Luft. 1999 zog er für die Grünen zum ersten Mal in den Nationalrat ein.
Vor vier Jahren gelang ihm mit einem Rekordergebnis der Wiedereinzug in den österreichischen Nationalrat, seit Oktober ist Kogler auch Klubobmann der Grünen.
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