Kogler über Regierungsarbeit: "Wir Grüne navigieren das Schiff"

Nach der Regierungsklausur und inmitten heißer Debatten über Klima-Aktionismus traf der KURIER Vizekanzler Werner Kogler zum Interview. Obwohl sich der Grünen-Chef früher selbst als Aktivist betätigte, geht der bekennende Realo zum heutigen Klebe-Aktionismus deutlich auf Distanz. Der Vizekanzler kritisiert den Energiesektor für Mängel im Stromnetz, spricht über die unsichere Zukunft des Skitourismus und beschreibt die Rolle der Grünen im Krisenmanagement der Regierung.
KURIER: Herr Vizekanzler, Sie haben sich früher als Aktivist angekettet. Würden Sie sich heute ankleben?
Kogler: Ich kann es nicht sagen. Damals ging es um ein konkretes Mülldeponie-Projekt im Hier und Jetzt. Heute formulieren die Klimaaktivistinnen Sorgen, die in der vollen, brutalen Dramatik erst in Jahrzehnten schlagend werden. Sie holen das Überlebensproblem in die Gegenwart und machen sich damit zur Stimme der Zukunft. Das ist ein hehres Motiv. Was die Form der Aktionen betrifft, ist es zwar gelungen, Aufmerksamkeit zu erregen, aber in der Sache selbst schadet es bereits, weil die Mehrheit der Bevölkerung verscheucht wird. In unserem demokratischen Entscheidungssystem ist das genau verkehrt, weil wir für Ergebnisse Mehrheiten brauchen. Selbst bei der Rettung der Welt braucht es die Einhaltung der demokratischen Regeln. Das ist das Dilemma dieses Aktionismus.
Was schlagen Sie vor?
Aktionsformen, die mehr Verständnis in der Bevölkerung finden. Dass man den Leuten kurzfristig auf die Nerven geht, erzeugt sich aus der Dringlichkeit des Anliegens, aber es bringt nichts, die Leute auf die Dauer zu verärgern.
Die FPÖ, die Politiker Nepp und Vilimsky, verbreiten in sozialen Netzwerken Piktogramme, auf denen Klimaschützer, die auf der Straße sitzen, von Passanten angepinkelt werden.
Ich höre das zum ersten Mal. Wenn das so ist, finde ich das verachtenswert.
Würde der junge Aktivist Kogler den Vizekanzler Kogler zu pragmatisch finden?
Nein. Ich war schon immer ein Realo, als solcher habe ich mich auch für alle politischen Ämter beworben.
Aber Klimaschutzgesetz haben Sie immer noch keines.
Es herrscht der Irrglaube, dass das Klimaschutzgesetz das einzige Gesetz ist, auf das es beim Klimaschutz ankommt. Damit gehört aufgeräumt. Das Klimaschutzgesetz ist zwar sehr wichtig, weil es einen Fahrplan hergibt. Aber in der Umsetzung sind die anderen Gesetze, die wir schon hergebracht haben, ebenso wichtig: das Erneuerbarenausbaugesetz, das Erneuerbarenwärmegesetz, das Erneuerbarengasegesetz, das Energieeffizienzgesetz. Dazu kommen Förderinstrumente und Steuersystematiken. Das spielt alles zusammen. Das sind alles Klimaschutzgesetze – um dieser gigantischen Sprachverwirrung einmal zu begegnen. Und sie wirken. Der Fotovoltaikausbau explodiert geradezu.
So sehr, dass die Netzkapazitäten für den Strom nicht reichen. Gibt es hier Versäumnisse aus der Vergangenheit?
Ja, darüber kann man sich auch ärgern. Die großen Energieversorger waren gewohnt, immer nur große Kraftwerke zu bauen, und irgendwann ist ihnen dabei die Donau ausgegangen. Ärgerlich ist, dass sie seit Hainburg so wenig gelernt haben, dass sie seither nicht dezentraler wurden. Und dezentral heißt: andere, belastbare Netzversorgung. Strom ist schließlich ein Schlüsselenergieträger für die gesamte Energiewende und braucht bessere Netze.
Werden die Netzmängel jetzt behoben? Und wer zahlt?
Wir haben uns auf der Regierungsklausur mit dem Thema befasst, aber man kriegt nicht binnen 24 Stunden gebacken, was in Jahrzehnten verabsäumt wurde. Die Kosten für den Netzausbau können von den Energieversorgern an die Kundinnen weiter gegeben werden, sie könnten auch Zuschüsse erhalten – aber ich würde sagen, der Stromsektor macht gerade so viele Gewinne, dass man ihm schon ein paar Aufträge erteilen kann.
Man hört immer wieder von Umweltschutzkonflikten mit der ÖVP. Wie tief gehen sie?
Es gibt immer Leute, die im alten Denken verharren. Das ist kein Vorwurf. Wenn jemand über Jahrzehnte an etwas geglaubt hat und sich schwer davon löst, ist er deswegen noch kein schlechter Mensch. Aber die vielen Änderungen, die jetzt notwendig sind, brauchen auch Änderungen im Kopf. Trotz dieser Schwierigkeiten sind wir im Vergleich zu Vorgängerregierungen im Hochgeschwindigkeitszug unterwegs.
Wie viel Zukunft hat das Skifahren noch? Sind wir die letzte Generation Skifahrer?
Wir werden damit leben müssen, dass wir nicht mehr bis auf 500 Meter runter wedeln. Meine Prognose ist, dass es mit Talstationen unter 1000 Metern nicht mehr rentabel sein wird, in Pisten und Lifte zu investieren.
Wieso haben die Grünen so schwache Umfragewerte, obwohl der Klimaschutz Hochkonjunktur hat?
Ich beanspruche nicht, dass wir die Sympathischsten sind. Wir sind sehr überzeugt von dem, was wir tun und vertreten, und dafür krempeln wir die Ärmel auf und hackeln. Wir durchleben eine aufgeheizte Kriegs- und Krisenzeit, und da kommt es zu Unsicherheiten. Auch wenn es eine nüchterne Analyse ist: Wir Grüne leisten einen großen Beitrag zur Stabilität in dieser Krise und navigieren das Schiff. Wir laufen vor den vielen Entscheidungen, die hier zu treffen sind, nicht davon. Wir kümmern uns um echte Ergebnisse, nicht um Populismus.
Offenbar, denn die FPÖ ist auf Platz 1 in den Umfragen.
Der reguläre Wahltermin ist im Herbst 2024 , wer weiß, was bis dahin noch alles passiert. Wir, die anderen Parteien, werden halt darauf hinweisen müssen, dass es schwierige Zeiten mit komplexen Problemen sind, und dass das Geplärre der FPÖ hierfür nicht reichen wird. Und wir kennen ja den Kreislauf der FPÖ: Oppositionsbank, Regierungsbank, Anklagebank.
Anderes Thema zum Abschluss: Sie müssen die ORF-Finanzierung neu aufstellen. Bekommt der ORF gleich viel Geld wie bisher, oder muss er mit weniger auskommen?
Das Volumen wird sich danach richten, was man als öffentlich-rechtlichen Auftrag begreift. Der ist wichtig, und zwar in vollem Umfang. Worum es aber wirklich geht: den ORF absichern und seine Unabhängigkeit gewährleisten.
Kann es sein, dass ORF 1, dessen Programm nicht gerade öffentlich-rechtlich ist, privatisiert wird?
Auch auf ORF1 kommen nicht nur Hollywood-Gaukler um die Ecke, wenn ich dort rein zappe. Aber es stimmt, ein Öffentlich-Rechtlicher braucht einen entsprechenden Rahmen, der muss sich auch immer wieder weiter entwickeln. Die Finanzierung und Absicherung des ORF ist eine enorm sensible Sache, ich plädiere dafür, dass wir alle Parteien in diese Entscheidung einbinden. Ob die Blauen in dieser Frage vernehmungsfähig sind, weiß ich nicht. Aber mit SPÖ und Neos sollte man aufrichtig diskutieren und zu einem Konsens kommen.
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