„Können uns nicht ewig auf die USA verlassen“

„Können uns nicht ewig auf die USA verlassen“
Hans-Gert Pöttering, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, über die Lehren für die EU aus dem Ukrainekrieg und die mögliche Zusammenarbeit der EVP mit Rechtsparteien.

KURIER: Sie sind 2014 aus dem Europäischen Parlament (EP) ausgeschieden. Seither folgte eine Krise auf die andere. Als wie krisenfest hat sich denn die Europäische Union erwiesen?

Hans-Gert Pöttering: Tatsächlich erleben wir gegenwärtig eine Anhäufung von Krisen, wie es sie wohl selten gegeben hat. Wir können der EU dankbar dafür sein, dass wir die Probleme und Konflikte, die wir innerhalb der Union haben, friedlich lösen - auf der Grundlage des Rechtes, gewaltfrei, ohne dass ein Land das andere bedroht. Daher hoffe ich, dass angesichts des verbrecherischen Kriegs Russlands bzw. des Diktators im Kreml gegen die Freiheit der Menschen in der Ukraine uns bewusst wird, welch großer Schatz die EU ist. Und wir können froh darüber sein, dass wir mit dem Vertrag von Lissabon, den ich sehr intensiv begleiten durfte, eine stabile Grundlage haben, um Entscheidungen in der EU zu treffen.

Zu Ihrer aktiven Zeit ging es immer um die Frage Vertiefung der EU versus Erweiterung. Trügt der Eindruck, dass im Moment weder das eine noch das andere wirklich auf der Agenda steht?

Wir neigen dazu, das Glas immer halbleer zu sehen. Meine Auffassung von Politik ist immer gewesen, auch das Positive darzustellen, denn nur wenn wir das Erreichte wertschätzen, können wir die Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, sich für das Gute einzusetzen. Als ich 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments wurde, hätte es niemand für möglich gehalten, dass Deutschland am 3. Oktober 1990 in Freiheit geeint sein würde und am 1. Mai 2004 die Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen sowie eine Reihe weiterer ehemals kommunistischer Staaten der EU beitreten würden. Die Freiheit hat am Ende gesiegt. Vertiefung und Erweiterung gehören zusammen. Nun geht es darum, im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik das Prinzip der Mehrheitsentscheidung durchsetzen.

Aber von der „immer engeren Union“, von der seit den Gründungsverträgen die Rede ist, spricht doch niemand mehr, oder?

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