Das Ende eines Weisenrats

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Den Fragen, die Viktor Orbán an Europa stellt, kann man nicht mit einem verordneten Ende der Debatte beikommen.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Wolfgang Schüssel, Alt-Bundeskanzler und -VP-Obmann, demnächst 75, hat dieser Tage  mit einer interessanten Information aufhorchen lassen: Der Weisenrat, der im Auftrag der EVP prüfen sollte, ob Viktor Orbáns Fidesz-Partei noch Platz hat in der Parteienfamilie der europäischen Christdemokraten, wurde offenbar von EVP-Chef Donald Tusk abgedreht; Schüssel, selbst Mitglied des Weisenrats, zeigte sich darüber „ziemlich enttäuscht“, er habe das „sehr eigenartig gefunden“.

Dass Tusk, ehemaliger polnischer Premier und EU-Ratspräsident, kein Freund von Orbán ist, weiß man. Orbáns Fidesz steht der polnischen Regierungspartei PiS, die nicht Mitglied der EVP ist, deutlich näher als Tusks „Bürgerplattform“, die eben Teil der EVP ist.

Bemerkenswert ist die Sache deswegen, weil Orbán wie kein anderer als eine Art Stachel im Fleisch der EU fungiert. Wie immer man zu ihm steht – er thematisiert Fragen jenseits des politischen Alltagsgeschäfts, die an den Kern der europäischen Identität rühren und von deren Beantwortung die Zukunft der Europäischen Union ganz wesentlich abhängen wird.

Im Wesentlichen geht es darum, wie eine an moralistischer Überdehnung, geistig-kultureller Selbstvergessenheit und ökonomischer Fahrlässigkeit laborierende Union wieder an Strahlkraft gewinnen kann. Diese Frage schließt freilich schon einen Befund mit ein, den viele nicht teilen werden – und erst recht nicht die Antworten, die Viktor Orbán darauf zu geben versucht.

Sehr wohl tun dies allerdings nicht wenige Menschen in Europa, zumal Wähler der EVP-Mitgliedsparteien wie ÖVP, CDU/CSU und anderer. Wie aber die EVP als noch immer wichtigste politische Kraft auf europäischer Ebene sich positioniert, ist auch eine Frage von gesamteuropäischer Bedeutung.

Geist & Gegenwart

Es geht also um weit mehr als um zwölf Fidesz-Abgeordnete im Europäischen Parlament, um mehr als eine Fraktion eines mittelgroßen Landes, deren EVP-Mitgliedschaft zur Zeit suspendiert ist. Zur Diskussion steht die Herausforderung einer von Orbán eingemahnten geistigen Selbstvergewisserung Europas, der sich dieses Europa – mit oder ohne Viktor Orbán – stellen wird müssen, will es Zukunft haben.

Nicht von ungefähr findet alle zwei Jahre auf dem steirischen Schloss Seggau, dem einstigen Bischofssitz, just zu Pfingsten ein Symposium zu europäischen Grundsatzfragen statt, welches unter dem Titel „Geist & Gegenwart“ steht. Um nicht weniger geht es.

Mit noch so eindrucksvollen Rettungsschirmen und Billionen Euro schweren Fonds – koste es, was es wolle – wird Europa nicht jener „Leuchtturm“ werden können, den nicht nur Wolfgang Schüssel erhofft.

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