Koalition: Regierung verhandelt wieder

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner
Seit 11.30 Uhr verhandeln SPÖ und ÖVP im Bundeskanzleramt über Änderungen am Regierungsprogramm. Nach einer Radio-Diskussion zwischen Mitterlehner und Strache, wurde die Diskussion nun fortgesetzt.

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Seit etwa 11.30 Uhr verhandelt eine hochrangige "Sechser-Runde". Neben Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Mitterlehner sind auch die beiden Regierungskoordinatoren Thomas Drozda (SPÖ) und Harald Mahrer (ÖVP) sowie SPÖ-Klubchef Andreas Schieder und ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling dabei. "Das Klima bei dem Treffen im Kanzleramt war relativ vernünftig und sachlich", hieß es aus Regierungkreisen zum KURIER.

Nach den Auseinandersetzungen in den vergangenen Tagen, die am Dienstag einen Höhepunkt erreicht haben, kann man durchaus von einem Krisentreffen sprechen. Aussagekräftige Statements gab es vor Beginn der Sitzung im Bundeskanzleramt nicht, mehrere Teilnehmer versicherten den Journalisten vor Ort aber, dass sie ein gutes Gefühl hätten. Die Verhandlungen in der Sechser-Runde sind am frühen Nachmittag unterbrochen worden, weil ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner einen Radio-Auftritt zu absolvieren hatte. Direkt nach dieser Diskussion eilte Mitterlehner zurück zum Ballhausplatz. Zu entlocken war ihm auf dem Weg vom Auto ins Stiegenhaus nichts - er habe im Radio schon alles gesagt, meinte er. Auch Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sagte beim Eintreffen nichts. ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer ging jedenfalls mit einem "sehr guten" Gefühl in die Verhandlungen.

Auch sein rotes Gegenüber, Kanzleramtsminister Thomas Drozda, wollte die Runde mit einem "positiven" Gefühl wieder aufnehmen. Kurz vor 20.00 Uhr verließen auch einige SPÖ-Regierungsmitglieder das Kanzleramt wieder, wo zuvor eine fraktionelle Besprechung stattgefunden hatte. Während die Minister Jörg Leichtfried, Alois Stöger und Hans Peter Doskozil höchstens aus ihren Dienstautos winkten, ließ sich ihre Kollegin Sonja Hammerschmid, die zu Fuß unterwegs war, zumindest zu einer kurzen Stellungnahme hinreißen. "Sehr gut" sei die Stimmung, behauptete sie. Die Frage nach vorgezogenen Neuwahlen quittierte sie mit einem knappen "wir arbeiten". Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler versicherte gegenüber der APA: "Alles gut."

Am gestrigen Dienstag hatte das alles noch anders geklungen, man richtete sich gegenseitig Unfreundlichkeiten aus. Nun hat man sich zumindest so weit zusammengerauft, dass man sich auf einen Zeitplan für die Verhandlungen ums aktualisierte Regierungsprogramm geeinigt hat: Heute Nacht wird Open End verhandelt, am morgigen Donnerstag sind nach der Angelobung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen Gespräche, auch mit den Fachministern, bis nach Mitternacht geplant. Freitag hat man sich als Deadline gesetzt.

Wie lange es Mittwochnacht tatsächlich dauert und ob es danach ein Statement geben wird, ist noch unklar. Da man den Journalisten in einer Garderobe Kaffee, Tee, Krapfen und andere Süßigkeiten kredenzte, ist davon auszugehen, dass die Gespräche wohl mehrere Stunden dauern dürften.

Kommentar: "Schluss mit der Qual - oder auf zur Wahl"

Auch am Donnerstag Verhandlungen geplant

Geplant war eigentlich, dass die Zusammenkunft nur bis in den Nachmittag dauern sollte. Dabei wird es nun aber nicht bleiben. In der ersten Gesprächsrunde habe man sich auf die weitere Vorgangsweise verständigt. Am Nachmittag werde es nun fraktionelle Gespräche geben. Nach dem Termin heute Abend soll es am Donnerstag nach der Angelobung des Bundespräsidenten weitere Verhandlungen geben. Dann soll die "Sechser-Runde" auch mit Fachministern zusammentreffen. Ob es noch am Mittwochabend ein Statement der Regierungsspitzen gibt, blieb offen.

Nervenprobe nach Ultimatum

Kanzler Kern hat der ÖVP am Dienstag, wie berichtet, ein Ultimatum gestellt. Bis Freitag müsste man sich in der Koalition auf ein überarbeitetes Regierungsprogramm bzw. zumindest auf ein paar wesentliche Änderungen einigen, ansonsten habe diese Koalition keine Zukunft.

Die Stimmung ist also äußerst angespannt, ob die Regierung aber tatsächlich platzt, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Faktum ist, dass die Vorzeichen keine guten sind, aber keine der beiden Koalitionsparteien vorerst eine Neuwahl vom Zaun brechen will. Die Verhandlungen werden daher jedenfalls eine enorme Nervenprobe für Rot und Schwarz.

Schelling: Keine Neuwahl

Dass es heute schon zum Bruch kommt, wurde im Vorfeld sowohl auf SPÖ- als auch auf ÖVP-Seite eher ausgeschlossen. Finanzminister Schelling antwortete auf die Frage, ob es zu einer Neuwahl kommen werde, ganz knapp: "Nein."

Koalition: Regierung verhandelt wieder
ABD0003_20141211 - WIEN - ÖSTERREICH: Finanzminister Hans Jörg Schelling und SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder (L.) während der Fragestunde des Nationalrates am Donnerstag, 11. Dezember 2014, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Bereits zuvor hatte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder erklärt, es gehe jetzt darum, die Arbeit voranzubringen. Er nannte die Bereiche Bildung sowie Investitionen in die Wirtschaft ("Start-ups") als Themen, die vorangetrieben werden müssten. "Und wir müssen uns um die Beschäftigung für Menschen ab 50 Jahren kümmern." Angesprochen auf mögliche Neuwahlen sagte Schieder: "Ich halte gar nichts von Neuwahlen. 2017 muss das Jahr der Arbeit werden. Die ersten Schritte in der Umsetzung müssen jetzt beginnen."

Es sei "alles lösbar", allerdings sollte der Koalitionspartner "nur nicht wieder schöne Papierln produzieren". Es reiche auch nicht, zu sagen: "Wir wollen." Das war ein Seitenhieb auf die ÖVP. Es sei aber jedenfalls möglich, bis Freitag eine Einigung zu erzielen.

Glaubt er an Neuwahlen? Schieder: "Ich glaube nur, dass der SK Rapid Meister wird." Rapid liegt in der Fußball-Bundesliga derzeit abgeschlagen mit 15 Punkten zurück.

"Echte Fortschritte"

ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat Mittwochfrüh im Ö1-"Morgenjournal" auch versucht, die brisante Situation herunterzuspielen. Das Bild der völlig zerrissenen Koalition sei von der Öffentlichkeit mitgeformt worden. Vonseiten der ÖVP gebe es in allen Punkten eine "bestimmte Beweglichkeit". "Das Richtige ist, dass wir Ergebnisse brauchen. Dass wir uns gegenseitig Ultimaten stellen, halte ich für einigermaßen übertrieben", sagte Mitterlehner. Man solle nun "konkrete Schritte setzen".

Kanzler Kern konterte Mittwochvormittag bei einem Besuch in einer Schule in Wien-Simmering: "Mein Ziel ist es, Projekte umzusetzen, die einen Unterschied machen." Es gebe "viel Stoff", den man gemeinsam umsetzen könne. Es gehe ihm auch nicht darum, dass sich die SPÖ durchsetze, sondern darum, ein gemeinsames Programm für Österreich zu erstellen. Von Friede, Freude, Eierkuchen kann freilich dennoch nicht die Rede sein: Angesichts der gestrigen Aussagen von ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin sprach der Kanzler am Mittwoch von einer "Inszenierung" seitens der ÖVP. "Ich bin nicht bereit, jeden Umgangston zu akzeptieren." Kern spielte damit auf die Kritik Karmasins an, die ihm vorgeworfen hatte, Inszenierung vor Sacharbeit zu stellen.

"Das ist nicht mein Stil"

Zum Vorwurf der Inszenierung sagte der Kanzler: "Wenn wir die Inszenierungen weglassen, wie jene gestern beim Ministerrat, bin ich mir sicher, dass wir auch etwas erreichen werden. Was nicht funktioniert ist, wenn wir uns gegenseitig beschuldigen, beleidigen und uns Unhöfliches ausrichten. Das ist nicht mein Stil, aber ich habe zur Kenntnis genommen, dass nicht alle in der Regierung nach diesen Regeln spielen."

Er wolle "echte Fortschritte" erzielen und von "diesem konservativen strukturbewahrenden Politikdenken wegkommen", sagte der SPÖ-Chef und erklärte, dass er mit Vizekanzler Mitterlehner eine "sehr vertrauensvolle Arbeitsbeziehung," unterhalte, "die wir versuchen werden zu gemeinsamen Erfolgen zu bringen".

Was das Ultimatum bedeutet, beantwortete Kern so: "Sie werden von mir nicht hören, wann es reicht." Er habe ein 150 Seiten langes Arbeitsprogramm vorgelegt und eine Reihe von Projekten, die man auch kurzfristig umsetzen könne. Man müsse nur den gemeinsamen Erfolg wollen.

Koalition "soll endlich arbeiten gehen"

Anders sieht das die Opposition. FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache forderte rasche Neuwahlen, denn "diese Regierung ist nur mit sich selbst beschäftigt und vernachlässigt darüber unser Land". Auch die Grünen werfen SPÖ und ÖVP Arbeitsverweigerung vor. "Das ist alles nur mehr Inszenierung und Außenarbeit, aber keine Sacharbeit", beklagte Grünen-Chefin Eva Glawischnig.

Kritik am Zustand der Regierungskoalition gab es am Mittwoch auch von den NEOS sowie vom Team Stronach. Der viel gepriesene "Neustart der Regierung" sei schon wieder vorbei, hieß es seitens der NEOS. Die Koalition "soll endlich arbeiten oder gehen", war aus dem Team Stronach zu vernehmen. "Eigentlich haben wir es satt, uns täglich mit dem Zustand von SPÖ und ÖVP zu beschäftigen", erklärte NEOS-Generalsekretär Nikola Donig. Die Koalition sollte nun im Parlament eine breite Allianz für die dringendsten Probleme schmieden. "Alleine werden SPÖ und ÖVP das nicht mehr schaffen", so Donig. Gelinge das nicht, sei es gleich besser, "die Menschen nicht länger zu quälen, sondern neu zu wählen".

"Unerträgliches Hick-Hack"

Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar sprach von einem "unerträglichen Hick-Hack" zwischen SPÖ und ÖVP. "Diese Koalition soll endlich das machen, wofür Kanzler, Vizekanzler und die Minister gutes Geld bekommen: Sie sollen für die Menschen, für das Land arbeiten. Wenn sie das nicht können - dann müssen sie den Weg für Neuwahlen freimachen", so Lugar. Kern und Mitterlehner sollten überlegen, "Störenfriede in den eigenen Reihen zu entfernen".

Fischer rät zu Gespräch mit Van der Bellen

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer empfiehlt in der aktuellen Regierungskrise ein vertrauliches Gespräch zwischen Regierungsspitze und seinem Nachfolger in der Hofburg. "So wie ich Bundespräsident Alexander Van der Bellen einschätze, wird er sich wahrscheinlich dieses Mittels neben anderen Möglichkeiten auch bedienen, weil es so naheliegend ist", so Fischer am Mittwoch im Ö1-Mittagsjournal.

Fischer übte sich trotz aufgeflammter Neuwahldebatte in Optimismus. "Ich halte immer noch die Chance für voll intakt, dass die Zusammenarbeit der Regierung zu Ergebnissen führt und dass die Regierung weitergeführt werden kann", meinte er. Wenn es aber wirklich so sein sollte, dass dieser Optimismus nicht gerechtfertigt sei, dann werde zusätzliches Scheinwerferlicht auf den neuen Präsidenten fallen, wie er sich in ein solchen Situation verhält. Van der Bellen wird am morgigen Donnerstag angelobt.

Fischer erklärte im ORF-Radio, "als Staatsbürger" würde er sich freuen, wenn die nächste Nationalratswahl wie geplant 2018 stattfindet und nicht schon 2017. "Wenn die Regierung immer sagt, 'wir wollen weiterarbeiten', dann soll sie auch weiterarbeiten", so Fischer. In der Tiroler Tageszeitung (Mittwochausgabe) forderte das frühere Staatsoberhaupt ein Ende der Sticheleien. SPÖ und ÖVP sollten aufhören, sich gegenseitig zu beschädigen.

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