Knautschzonen der Koalition
Nein, ein Quell der Freude ist das Regieren in Zeiten der Krise(n) definitiv nicht.
Erst Corona-, dann Teuerungskrise und jetzt der Krieg in der Ukraine stellen die türkis-grüne Koalition vor Herausforderungen, von denen man zu Zeiten der Regierungsverhandlungen Ende 2019 noch überhaupt nichts ahnen konnte.
Anders gesagt: Es gibt einigen Abstimmungsbedarf bei Themen, die im Koalitionsabkommen nicht behandelt wurden. Und das birgt einiges Konfliktpotenzial. Ein Überblick.
Finanzierung des Antiteuerungspakets
Stichwort Teuerung. Mit dem 28 Milliarden schweren Antiteuerungspaket hat die Bundesregierung laut Aussage von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) einen "großen Wurf" hingelegt. Kritiker sagen hingegen, man würde Geld wenig treffsicher "mit der Gießkanne ausschütten". Und: Woher dieses eigentlich nehmen?
Während Kanzler und Vizekanzler in diversen Interviews wortreich erklärt haben, man könne sich das schon leisten, grub der grüne Sozialminister Johannes Rauch eine Refinanzierungsidee wieder aus: die Vermögens- und Erbschaftssteuer.
Der Rest der grünen Regierungsmannschaft reagiert zurückhaltend. Ja, grundsätzlich fände man das nicht schlecht, und künftig müsse man wohl darüber reden, aber das sei Aufgabe der nächsten Regierung, heißt es. Die Grünen wissen: Mit dem Koalitionspartner ÖVP ist das nicht zu machen. Man probiert es also erst gar nicht.
Coronapolitik in der Wahlkampfsaison
Nächstes Krisenthema: Corona. Die Welle nimmt bereits wieder an Fahrt auf, bis zu 70.000 Neuinfektionen sind laut GECKO zu erwarten, und das, nachdem die Regierung die Impfpflicht nach deren Aussetzung endgültig abgeschafft hat.
Der Corona-Kurs bringt seit zweieinhalb Jahren immer wieder Streitereien zwischen den Koalitionspartnern wie auch den Ländern und dem grünen Gesundheitsministerium. Nichts Neues – doch im kommenden Herbst und Winter bzw. Frühjahr wählen mit Tirol, Salzburg und Niederösterreich nun auch noch drei Bundesländer, in denen die ÖVP den Landeshauptmann stellt und tunlichst ihre Position verteidigen möchte. Corona-Einschränkungen werden vor allem in den tourismusstarken Ländern nicht goutiert. Lockdowns wie in den vergangenen Jahren und ein "Koste-es-was-es-wolle-Budget" sind in den Augen der Wirtschaft angesichts der Teuerung keine Option mehr.
Koalitionsfreier Raum Migrationspolitik
Kaum vorbereitet war man in Österreich auf den Ausbruch des Krieges in der Ukraine und damit auf derzeit rund 72.000 nach Österreich Geflüchtete. Die Bundesregierung muss nun ein Modell finden, um Menschen aus der Ukraine z. B. ins Familienlastenausgleichsgesetz (Familienbeihilfe) zu integrieren. Grund: Ukrainerinnen und Ukrainer haben in der EU den sogenannten Vertriebenenstatus. Im Gegensatz zu Asylwerbern müssen sie keine Asylanträge stellen, um Sozialleistungen zu erhalten oder arbeiten zu dürfen. Familienbeihilfe bekommen sie derzeit aber noch nicht. Über die Modalitäten sind sich die Koalitionspartner noch nicht einig. Gleiches gilt für die Zuverdienstgrenze.
Allgemein birgt die Haltung in Migrationsfragen enormen Zündstoff, da die Getreideknappheit rund um den Globus zu Hunger und damit zu Fluchtbewegungen führen wird. ÖVP und Grüne sind beim Umgang mit Flüchtlingen aber diametraler Ansicht. Nicht umsonst hat man im Regierungsübereinkommen genau hierfür einen koalitionsfreien Raum geschaffen. Die Regierungspartner können also in Migrationsfragen unterschiedlich abstimmen.
Unterschiedliche Wege zu Klimazielen
Eine Krise, von der man 2019 zumindest schon wusste, dass man sie nicht umgehen wird können, ist die Klimakrise.
Im Regierungsprogramm hat man hier viele Maßnahmen verankert, die die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler ambitioniert umsetzt. Einzig: Das Koalitionspapier bietet einigen Interpretationsspielraum, etwa beim "Wie" zum Erreichen der Klimaziele. Und ÖVP und Grüne interpretieren leidenschaftlich unterschiedlich.
Nur ein Beispiel: diverse Stopps von Straßenbauprojekten (z. B. Lobautunnel), die Gewessler nicht im Widerspruch zum Bundesstraßengesetz sieht, die Wirtschaftskammer allerdings sehr wohl. WKO und Klimaministerium, sind – nicht nur in diesen Belangen – auf Konfrontationskurs und werden es wohl bleiben.
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