Wie kaputt ist die türkis-grüne Koalition?
Österreich leidet – und zwar unter den Asylwerbern, oder genauer: Unter deren vergleichsweise hoher Anzahl.
Das kann man so sagen, findet Laura Sachslehner, Generalsekretärin der Volkspartei.
Das kann man so absolut nicht sagen, finden namhafte Vertreter der Grünen.
Und so rückten die stellvertretende Klubobfrau und andere Abgeordnete über Pfingsten aus, um Sachslehner und die ÖVP zurechtzuweisen: Die Kanzlerpartei propagiere „Menschenverachtung“.
Menschenverachtung? Das ist ein harter Vorwurf. Und er war in den vergangenen Tagen beileibe nicht der Einzige. Vom Klimaschutz bis in den U-Ausschuss werfen sich Türkis und Grün alle möglichen Unfreundlichkeiten an den Kopf. Wie ernst muss man die Scharmützel nehmen? Ein Überblick:
Der U-Ausschuss
Wer den Vertretern von Grünen und ÖVP im U-Ausschuss zuhört, muss glauben: Das geht nicht mehr lange gut. Das beginnt damit, dass die Grünen den formal wichtigsten ÖVP-Mann im Parlament, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, regelmäßig spüren lassen, dass er den Vorsitz eigentlich gar nicht führen sollte. Und es endet damit, dass Nina Tomaselli, Grüne Fraktionsführerin, ihrem ÖVP-Pendant Andreas Hanger sagt, er versuche „das Parlament lächerlich zu machen“.
Im Unterschied zu anderen „Baustellen“ der Regierung darf der U-Ausschuss in seiner Symbolkraft nicht überschätzt werden. Denn gleichlautend berichten Ökos und ÖVP, dass man im Ausschuss einen „Angriffspakt“ abgeschlossen hat, sprich: Auf diesem begrenzten politischen Feld ist es zulässig, sich einzuschenken, ohne dass dies die Koalition gefährdet.
Asyl-und Fremdenpolitik
Erst war da der Streit um die Staatsbürgerschaft, dann kam über Pfingsten die Sachslehner-Meldung: Die Asyl-, Zuwanderungs- und Einbürgerungsthematik ist eines der emotionalsten Themen zwischen ÖVP und Grünen.
Scheitern wird die Koalition daran trotz allem nicht. Warum? Was die Debatte um Erleichterungen im Staatsbürgerschaftsrecht angeht, nimmt die ÖVP die Grünen in Schutz: Erstens stehe das nicht im Regierungsprogramm und zweitens sei das ein Thema, das der Bundespräsident losgetreten habe. „Und hier“, so ein Nehammer-Vertrauter, „gibt’s für die ÖVP null Verhandlungsspielraum.“
Das Streit-Thema Asylzahlen sieht man im Vertrauten-Kreis von Grünen-Chef Werner Kogler wiederum so: Sachslehners These sei inhaltlich problematisch und rhetorisch daneben. Wichtig sei aber, was faktisch gelinge. Und hier zeige sich, dass Österreich Flüchtlingen erstens nach wie vor mit aller Kraft helfe und zweitens das Tempo bei Asylentscheidungen im Sinne aller steige.
Umwelt-Politik
Inhaltlich der Knackpunkt zwischen ÖVP und Grünen ist die Klima- und Umweltpolitik. In der Volkspartei macht man keinen Hehl daraus, dass keine Politikerin des Koalitionspartners auch nur annähernd so polarisiert wie Umweltministerin Leonore Gewessler.
Nicht unbedingt deshalb, weil sie eiskalt und ohne Rücksicht agiert, sondern weil sie freundlich lächelnd eine Agenda nach der anderen umsetzt: Beim Ökostrom-Ausbau haben die Regierungen in den vergangenen 15 Jahren mit einer Hü-Hott-Förderpolitik den Ausbau immer wieder gestoppt. Gewessler hat nach 15 Monaten im Amt ein Gesetz vorgelegt, gegen das kaum ernsthafte Einsprüche kamen.
Mit dem Klimaticket ist ihr die Umsetzung eine Idee geglückt, die die Große Koalition zwar wollte, letztlich aber nicht umsetzen konnte, weil hierzu sieben Verkehrsverbünde, neun Landesregierungen und die Bahnen gewonnen werden mussten. Und nun dürfte auch das Gesetz für das Aus für Öl (2035) und Gas (2040) im Wohnbereich akkordiert sein.
In der Volkspartei klagt man darüber, dass Gewessler den Lobau-Tunnel zwar mit einem Federstrich begraben, aber bis heute keine tragfähige Alternative dafür präsentiert hat.
Faktum ist: Das Herzstück der Grünen, Gewesslers Klimaschutzgesetz, ist seit bald eineinhalb Jahren im koalitionären Lockdown – es findet sich kein Konsens. Streitpunkte sind etwa die Reduktionspfade für die Treibhausgase bis 2040 und beispielsweise auch das „Klimakabinett“. Diese Regierung in der Regierung soll – unter Einbindung der Länder – bei möglichen Abweichungen vom Klimapfad rasch Maßnahmen verabschieden können.
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