Zuwenig Frauen im Heer: "Mitunter liegt's an Kleinigkeiten"
16 Milliarden Euro wird das Bundesheer bis ins Jahr 2032 in Ausrüstung und Gerät investieren. Nicht allen gefällt das. Der KURIER traf Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und sprach über den Kurs des Bundesheeres, Probleme bei der Personalsuche - und was sie am Vorwurf stört, Österreich stehe beim Ukraine-Konflikt auf der Seite der "Kriegstreiber":
KURIER: Frau Bundesminister, wissen Sie eigentlich, was im Bundesheer gerade los ist?
Klaudia Tanner: Das Bundesheer hat rund 55.000 Soldaten, da kann man nie wissen, was sich gerade in jedem einzelnen Verband abspielt. Aber ich vermute, ihre Frage zielt auf den Abgeordneten Laimer (SPÖ-Sicherheitssprecher, Anm.) ab…
…der sagt, Sie hätten bei den Beschaffungsvorgängen des Bundesheeres den Überblick verloren. Laimer und die SPÖ fordern einen “Kassasturz”, damit klar ist, welche Geräte wann und wie gekauft werden.
Diese Forderung ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir haben das Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz beschlossen, das einen exakten Fahrplan bis ins Jahr 2032 vorgibt. Man sieht, in welches Gerät wir investieren. Zusätzlich gibt’s regelmäßige Berichte der Beschaffungsprüfkommission, das ist alles online abrufbar. Ich schreibe die Äußerungen aus der SPÖ vor allem der bevorstehenden Nationalratswahl zu.
Tatsächlich investiert das Heer bis 2032 16 Milliarden Euro. Wie oft werfen ihnen Bürger vor, das sei Verschwendung?
Eigentlich nie. Der Bevölkerung ist bewusst, dass wir nicht länger auf einer Insel der Seligen leben, und dass sich die Welt um uns dramatisch verändert. Schauen Sie in die Ukraine, schauen Sie in den Nahen Osten. Das Heer muss investieren, um die Bevölkerung zu beschützen. Gerade als militärisch neutraler Staat haben wir die Pflicht, unsere Neutralität mit allen Mitteln zu verteidigen. 16 Milliarden Euro sind enorm viel Geld. Aber die Österreicherinnen und Österreicher verstehen und befürworten das.
Als Russland in der Ukraine eingefallen ist, hieß es: Europa muss wehrhafter, sicherheitspolitisch eigenständiger werden. Wo stehen wir zweieinhalb Jahre nach dem Überfall?
Bei den Treffen der EU-Verteidigungsminister ist das immer Thema. Was Österreich angeht, sind wir zum Beispiel bei der Beschaffung von Munition insofern gut unterwegs, als wir schon vor Russlands Angriffskrieg begonnen haben, Munition in ausreichenden Mengen zu beschaffen.
Aber wo sieht man, dass Europa eigenständiger wird?
Beispielsweise an der Steigerung der Verteidigungsetats in allen Ländern. Man sieht das ja auch in Österreich: Wir haben per Gesetz sichergestellt, dass das Militärbudget jedes Jahr steigt. Natürlich kann das jede Regierung bzw. das Parlament wieder ändern. Aber für mich ist es nicht vorstellbar, dass die nächste Regierung – wie auch immer sie zusammengesetzt ist – vom eingeschlagenen Weg abgeht.
Sie beschaffen um viele Milliarden Euro neue Ausrüstung und Gerät, gleichzeitig fehlt das Personal, um die neuen Geräte zu betreiben. Was läuft da schief?
Im Unterschied zu Deutschland, wo sich die Frage der Rekrutierung viel dramatischer stellt, haben wir den großen Vorteil der Wehrpflicht. Es rücken jedes Jahr rund 15.000 bis 16.000 junge Männer ein. Aber es stimmt: Wir müssen uns intensiv und aktiv um gute Mitarbeiter bemühen, was sich gerade im wichtigen Bereich der IT und Cyber Security als schwierig erweist – als öffentliche Hand kann ich selbst unter Aufbietung von noch möglichen Prämien-Zahlungen oft nicht mit der Bezahlung von privaten Tech-Unternehmen mithalten. Umgekehrt sehen wir, dass es in manchen Bereichen eine Trendumkehr gibt. Dort, wo neues Gerät beschafft wird - etwa bei den Flugzeugen und Hubschraubern - besteht bei jungen Menschen großes Interesse. Da geht's um Piloten und Techniker, und da haben wir viele Bewerber für qualitativ hochwertige Jobs.
Bei den Frauen ist die Situation, gelinde gesagt, mau. Der Frauenanteil im Heer beträgt nach mehr als 20 Jahren weiterhin nur 5 Prozent – und damit knapp die Hälfte von Ländern wie Deutschland. Warum?
Mitunter liegt’s an Kleinigkeiten. Beim Jagdkommando hat sich eine Offizierin jetzt dafür stark gemacht, dass wir dort vor Ort eine Kinderbetreuung einrichten. Wiener Neustadt ist nicht die einzige Kaserne, wo das – noch – fehlt. Leider haben meine Vorgänger über Jahrzehnte hinweg das größte Hindernis übersehen.
Nämlich?
Als junger Mann gehst Du zur Stellung, hast dort den ersten Kontakt mit dem Bundesheer und überlegst dir dann, was du machst. Frauen, die sich fürs Heer interessierten, musste über viele, viele Jahre nach Wels fahren, dort das gesamte Aufnahmeprozedere erledigen - auch wenn nicht klar war, ob sie am Ende wirklich zum Heer wollen. Das war alles andere als niederschwellig. Jetzt haben wir die Stellung für Frauen geöffnet – und den freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen geschaffen.
… für den sich knapp 250 Frauen gemeldet haben.
Aber es werden mehr. Ich bin zuversichtlich, dass die Zahlen bald spürbar steigen. Auch in der Polizei hat es länger gedauert, bis Frauen in entsprechender Zahl vertreten waren.
Zur Großwetterlage: Österreich hat sich über Jahrzehnte neutral zwischen den großen Blöcken positioniert. Mit dem Ukraine-Konflikt hat man nun Stellung bezogen - oder sehen Sie das anders?
Österreich hat sich klar deklariert - und das ist gut so. Wir sind militärisch neutral, aber wir wollen und können nicht neutral sein, wenn, wie im Falle des Überfalls auf die Ukraine, Völkerrecht gebrochen wird. Österreichs Regierung hat eine differenzierte Position: Wir helfen, wo wir können - etwa, indem wir sehr viele ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir liefern keine Waffen und bilden auch niemanden daran aus.
Die in den Umfragen stimmenstärkste Partei in diesem Land wirft ihnen dennoch "Neutralitätsverrat" und "Kriegstreiberei" vor. Geht sich eine Koalition bei derart unterschiedlichen Standpunkten für Sie noch aus?
Diese Aussagen sind selbst entlarvend. Man kann nicht vom Schutz der Menschen reden und gleichzeitig Projekte wie das Sky Shield (europäisches Luftabwehrsystem, Anm. ) schlechtreden.
Mit der ÖVP in der Regierung gibt es keine Abkehr von Sky Shield und dem gegenwärtigen Kurs?
Ganz egal, über welche Partei wir reden: Wer einen Funken Verantwortungsbewusstsein hat, wird sich hüten, die beschlossenen Investitionen ins Bundesheer zu ändern oder gar rückgängig zu machen. Das sind Investitionen in die Freiheit und den Frieden im Land.
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