Kein Interesse an ÖH-Wahl: "Demokratiepolitisch absolut bedenklich"
Die Ergebnisse kamen später als erwartet. Die Spitzenkandidatinnen der Fraktionen, die sich zur Bekanntgabe in der ÖH-Zentrale eingefunden hatten, wanderten nervös durch den halb leeren Raum.
Dann, kurz vor Mitternacht, helle Jubelschreie und vorsichtige Umarmungen in den Reihen des VSStÖ und der GRAS, betretenes Schweigen bei der AG. Eine große Party war für niemanden drin – coronabedingt – aber auch, weil die extrem niedrige Wahlbeteiligung keinen Grund zur Freude für die Mitglieder der ÖH bietet.
Was lernen wir daraus?
Dabei ist die ÖH-Wahl grundsätzlich etwas Besonderes: Bei manchen Studiendauern von nur drei Jahren kann es vorkommen, dass ein Student nur einmal im Leben wählen kann.
Da die Studiendauer heute generell nicht mehr sehr lange ist, müssen die Studentenvertreter sich ständig nach neuen Wählern umschauen. Corona und der Shutdown der Universitäten, die komplett auf Online-Vorlesungen umgestellt haben, tragen nicht dazu bei, dass ein studentisches Lebensgefühl aufkommen kann. Und nicht zuletzt ist der Druck, der auf Studierenden lastet, ihr Studium schnellstmöglich abzuschließen, ein Hemmnis, das die Chance auf ein studentisches Zusammengehörigkeitsgefühl zunichtemacht.
Was aber ist die Conclusio aus alledem? Der KURIER hat ehemalige Mitglieder der Hochschülerschaft aus allen politischen Lagern gefragt, welche Schlüsse aus der niedrigen Wahlbeteiligung gezogen werden können.
"Völliges Ausnahmejahr"
Einig sind sich die meisten, dass die Hochschülerschaftswahlen 2021 von der Pandemie gezeichnet waren. „Es war ein völliges Ausnahmejahr, ganze Jahrgänge, die nie auf der Uni waren. Daher würde ich den nächsten Wahlgang in zwei Jahren abwarten, bevor man auf Basis dieser niedrigen Wahlbeteiligung voreilige Schlüsse zieht“, sagt Matthias Strolz, einst Vorsitzender der Hochschülerschaft an der Uni Innsbruck (für die AG).
Auch für Josef Cap, einst Funktionär im VSStÖ, hängt die niedrige Wahlbeteiligung „hauptsächlich mit Corona zusammen. Natürlich versuchen die Verlierer nun, das zu benutzen, um die ÖH zu delegitimieren. Aber die ÖH wird auf jeden Fall weiterhin gebraucht, um die Interessen der Studenten zu vertreten und zu verteidigen.“
"Klare Absage an die Zwangsmitgliedschaft"
Othmar Karas, Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament, bedauert die niedrige Wahlbeteiligung „sehr. Aber ich hoffe, dass dieses Ausmaß des Rückgangs nur darauf zurückgeführt werden kann, dass die Unis weitgehend geschlossen sind und seit mehr als einem Jahr weitgehend kein studentisches Leben mehr stattfindet.“
Arbeitsminister Martin Kocher, ehemals AG-Mitglied in Innsbruck, sieht in der Erhöhung der Wahlbeteiligung nun die wichtigste Aufgabe der ÖH: „Als ehemaliger Mitarbeiter der ÖH und als Universitätsprofessor liegt mir viel an einer aktiven und breit legitimierten Studierendenvertretung.“
Im Lager der FPÖ meint Philipp Schrangl – früher Mitglied der Bundesvertretung der ÖH, heute blauer Nationalrat – dass die geringe Wahlbeteiligung deutlich zeige, „dass sich die Studenten von der ÖH nicht mehr vertreten fühlen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die ÖH ist leider längst zu einer Spielwiese linker Ideologen und schwarzer Nachwuchs-Apparatschiks verkommen.“
Für Parteikollegen Hannes Amesbauer ist die niedrige Wahlbeteiligung „eine klare Absage an die Zwangsmitgliedschaft, deren Abschaffung wir schon seit Jahrzehnten fordern. Die ÖH kommt ihrer Aufgabe, nämlich eine Servicestelle für Studenten zu sein, schon lange nicht mehr nach.“
Ökonomischer Druck
Strolz sieht einen weiteren Grund: „Auch Bologna, mit seiner Verschulung des Hochschulsystems, hat sicher vielen den Charakter der Lebenswelt genommen. Die Studierenden müssen nutzenorientiert arbeiten und sind aufs eigene Leben fokussiert“, sagt er. „Demokratiepolitisch halte ich die Entwicklung absolut für bedenklich. Früher haben Bergleute und Studenten Revolutionen angefacht, Bergleute haben wir fast keine mehr. Wenn die Studenten jetzt politisch erlahmen, wird die Politik irgendwie abgeschafft.“
Kommentare