Diese Frage schließt an die Diskussion an, ob verschärfte Zumutbarkeitskriterien eine Lösung sein könnten, um wieder mehr Arbeitskräfte in Mangelberufe zu locken. Grundsätzlich ist es in Österreich so: Lehnt ein Arbeitsloser einen Job, der für ihn als zumutbar gilt, ab, wird ihm für mehrere Wochen vom AMS das Arbeitslosengeld gesperrt. 2019 wurden im ersten Halbjahr deshalb 71.000 Strafen verhängt, 2021 waren es im selben Zeitraum 51.000. Arbeitslose sind hierzulande also jedenfalls nicht „fauler“ geworden.
Gibt es zu viele Player, zu viele Betriebe, am Markt?
In Österreich gab es 2020 um 40 Prozent weniger Unternehmensinsolvenzen als im Vorjahr. Am stärksten ging die Zahl der Pleiten im stark vom Tourismus geprägten Westen zurück. IHS-Arbeitsmarktexperte Dominik Walch sieht im KURIER-Interview ein grundsätzliches Problem: „Der Tourismus ist ein Markt, der ziemlich nah am vollständigen Wettbewerb dran ist. Diese Konkurrenz führt dazu, dass Betriebe Leistungen zu Grenzkosten oder teilweise sogar darunter anbieten.“
Es gebe an sich schon „nicht wenige Betriebe“ in der Branche, die nicht wirtschaftlich seien, sagt Walch. Für solche Betriebe brauche es Exit-Strategien: „Wie kann man es schaffen, sie aus dem Markt zu nehmen, ohne dass das eine Katastrophe für einzelne Individuen darstellt?“
Sind die Löhne im Tourismus zu niedrig?
Löhne von rund 1.600 Euro netto inklusive Trinkgeld sind in der Branche normal. Dass das Trinkgeld nicht versteuert wird, ist vor allem für Saisonarbeiter – die Gefahr laufen, direkt nach ihrer Anstellung in der Arbeitslosigkeit zu landen – ein Nachteil. Denn das Arbeitslosengeld orientiert sich am tatsächlichen Nettoeinkommen, das ohne Trinkgeld noch niedriger ist. An dieser Stelle wirkt die Pandemie als negativer Multiplikator. Das Trinkgeld sei gesunken, die Verunsicherung, plötzlich arbeitslos zu werden, gestiegen: „Was passiert mit meinem Arbeitsplatz, wenn im Herbst wieder ein Lockdown kommt?“, fragt Walch.
Ist Saisonarbeit noch reizvoll?
Im Zuge der Ostöffnung seien die effektiven Löhne, die auf Saison gezahlt werden, gesunken, sagt Walch. „Zum anderen sind die Lebenshaltungskosten, etwa die Mieten in Wien, die natürlich während der Tourismussaison weiter gezahlt werden müssen, gestiegen.“ Aus finanzieller Sicht ist also der Anreiz, etwa für die Wintersaison Wien zu verlassen und in Tirol zu arbeiten, deutlich gesunken. „Damit aber jemand seine Komfortzone verlässt, muss es auch eine entsprechende Prämie geben. Das Bevölkerungssegment, dem diese Prämie groß genug ist, ist mittlerweile grenzüberschreitend zu klein.“
Sind die Arbeitszeiten in Tourismus und Gastronomie zeitgemäß?
60 bis 80 Arbeitsstunden sind in stressigen Wochen keine Ausnahme – der KURIER berichtete. Für Personen, die Wert auf eine gewisse Work-Life-Balance legen oder so etwas wie ein Familienleben haben wollen, sind solche Arbeitszeiten tendenziell ungeeignet. Laut Arbeiterkammer wird zudem in keiner anderen Branche so oft gegen das Arbeitsrecht verstoßen.
Was muss sich ändern?
Experten und Touristiker plädieren häufig für eine Senkung der Lohnnebenkosten. Heißt: Mitarbeiter erhalten einen höheren Lohn, während sich die Kosten für Arbeitgeber nicht erhöhen. Walch widerspricht diesem Vorschlag genauso wie schärferen Zumutbarkeitskriterien. Er hält strukturelle Änderungen für sinnvoller: „Die Branche wehrt sich gegen Arbeitszeitbestimmungen, die zeitgemäß sind. Sie wehrt sich gegen Kontrollen und qualitativ hochwertige Ausbildungen. Dabei sind genau solche Qualitätsstandards die richtige Hintertür, um angemessene Preise zu forcieren und Beschäftigte in der Branche zu halten. Damit unterstützt man gute Betriebe, die diese Standards erbringen können. Betriebe, die das nicht schaffen, müssen den Markt verlassen.“
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