Karl Nehammer: "Babler war sehr aggressiv, sehr polemisch"
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) unterscheidet weiter zwischen der FPÖ und deren Parteichef Herbert Kickl, wenn es um eine Zusammenarbeit nach dem Wahltag am 29. September geht. Bei Andreas Babler sind es eher inhaltliche Differenzen, die eine große Kluft zwischen ÖVP und SPÖ bilden.
KURIER: Herr Bundeskanzler, sind Sie froh, dass am Sonntag der Wahlkampf jetzt vorbei ist und endlich gewählt wird?
Karl Nehammer: Es ist immer positiv, wenn die Entscheidung ansteht. Dann gibt es auch die Vergabe, wer den Auftrag erhält, wieder Verantwortung für das Land zu übernehmen. Es war ein spannender Wahlkampf.
Sie haben schon einige Wahlkämpfe gemanagt. Wie haben Sie als Spitzenkandidat die politische Auseinandersetzung empfunden?
Bis jetzt war alles typisch für Wahlkampfauseinandersetzungen. Es ist auch eine sehr dynamische Auseinandersetzung, die von einer dramatischen Situation geprägt ist, nämlich dem Hochwasser. Das hat auch dazu geführt, dass wir den Wahlkampf unterbrochen haben.
Bei Ihren direkten Duellen mit den anderen Spitzenkandidaten im ORF ist aufgefallen, dass sie grundsätzlich sehr ruhig argumentiert haben. Außer bei der Auseinandersetzung mit SPÖ-Chef Andreas Babler. Da ist es sehr emotionell geworden. Ist er für Sie eine Reizfigur oder sind es seine Themen?
In dem Fall war es so, dass tatsächlich sehr leidenschaftlich über die Inhalte diskutiert worden ist, über die Frage, wo sich Österreich positioniert. Ob der Wohlfahrtsstaat mit einer 32-Stunden-Woche erhalten werden kann oder ob Leistung etwas wert ist.
Aber grundsätzlich gibt es eine Gesprächsbasis mit den Sozialdemokraten?
So gut wie mit allen anderen Parteien.
Nach diesem ORF-Duell waren viele der Meinung, sie können sich nicht vorstellen, dass diese beiden Parteien nach der Wahl zusammenfinden werden. Oder dass diese beiden Parteichefs auch miteinander können.
Also ich sehe es nicht auf der persönlichen Ebene. Man muss in einem Wahlkampf zeigen, wofür man steht und wofür man nicht steht. Ich habe aus meiner Perspektive heraus einfach klar gemacht, was die christlich-soziale Politik der Volkspartei im Vergleich zu einem sozialistischen, zentralistischen und kollektivistischen Denken ist. In der christlich-sozialen Politik steht der Mensch, das Individuum im Vordergrund und nicht das Kollektiv.
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Im Gegensatz dazu war das Duell mit Herbert Kickl eher sachlich. Der FPÖ-Chef hat da versucht, Ihnen gegenüber teilweise auch verbindlich zu sein. Hat sich da im Wahlkampf an Ihrer Abgrenzung gegenüber Kickl etwas geändert?
Es hat jeder seinen Stil, wie er in so eine Auseinandersetzung geht. Andreas Babler war sehr aggressiv, sehr polemisch. Herbert Kickl hat es auf eine andere Art und Weise versucht. Das ist aber jedem selbst überlassen. Was ich mir gewünscht habe, ist, dass sich die Wählerinnen und Wähler ein Bild machen konnten, wofür der eine steht und wofür der andere. Deswegen ist es mir wichtig, darzustellen, dass es durchaus vernünftige Kräfte in der FPÖ gibt, aber mit Herbert Kickl, der ständig in einer Verschwörungstheorie verfangen ist, ist es nicht möglich, eine verantwortungsvolle und tragfähige Regierung zu bilden.
Wobei zuletzt einige in der FPÖ versucht haben, Gemeinsamkeiten mit der ÖVP aufzubauen. Etwa beim Thema Migration wurde vorgeschlagen, gemeinsam eine Festung Österreich zu bauen. Was sagen Sie dazu?
Das zeigt genau, was der große Unterschied ist zwischen der Volkspartei und der Freiheitlichen Partei. Die FPÖ lebt sehr von Angstbildern und davon, dass sie komplexe Themen sehr einfach auflöst. Tatsächlich sind wir uns einig im Ziel, die illegale Migration zu bekämpfen, der Weg dorthin funktioniert aber nicht mit irgendwelchen Festungsgedanken und einer Situation, die Österreich benachteiligen würde. Wir sind ein Tourismus- und Exportland, da würde eine Abschottung Arbeitsplätze vernichten.
In der Wahlauseinandersetzung ist die wirtschaftliche Zukunft Österreichs ein zentrales Thema geworden. Es gibt die unterschiedlichsten Ansätze dazu. Mehrere Wirtschaftsexperten fordern ein Sparpaket, Sie sind nicht dieser Meinung. Warum?
Wir haben sehr wohl gesagt, wie wir ein neues Budget gestalten wollen. Da kommt das Thema Sparsamkeit und Effizienz natürlich vor. Es geht um die Gestaltung des Budgets, dass man sich jedes Jahr die Ressorts anschaut, wo es Einsparungsmöglichkeiten gibt. Oder dass wir das Fördersystem in Österreich so hinterfragen, ob es möglich ist, Garantien und Steuergutschriften statt Direktförderungen zu geben, um das Budget zu entlasten.
Es geht aber auch um die Einnahmen.
Deswegen müssen wir auch stimulierend für die Wirtschaft agieren. Da habe ich auch von der Vergrößerung des Kuchens gesprochen, wofür ich sehr kritisiert worden bin.
Weil viele der Meinung sind, dass das in der momentanen wirtschaftlichen Lage nicht möglich ist.
Genau deswegen braucht es ja auch Gegenmaßnahmen. Auf der einen Seite einen sorgsamen Umgang mit dem Budget, aber auf der anderen Seite auch Freiräume, damit investiert wird. Ohne Wirtschaftswachstum werden wir es nicht schaffen. Da geht es auch darum, herauszuheben, dass Österreich ein Land von fleißigen Arbeitnehmern ist, die bereit sind, mehr zu leisten. Und unsere Aufgabe ist es, diese Mehrleistung in Form von Überstunden steuerfrei zu stellen.
Die Flut hat das Thema Klimawandel in den Fokus gerückt. Zuletzt gab es im Kampf dagegen immer mehr Differenzen zwischen Türkis und Grün. Hat da die Flut etwas geändert?
Die Ereignisse rund um das Hochwasser sind am wenigsten geeignet, parteipolitisches Kleingeld zu wechseln. Man hat gesehen, dass Böden nach diesem Starkregen mit 400 Liter Regen pro Quadratmeter nicht mehr aufnahmefähig sind. Etwa im Wienerwald – und der ist nicht versiegelt. Man sieht aber, dass wir uns auf das Thema Starkregen noch viel stärker einstellen müssen. Wir müssen Maßnahmen setzen wie noch mehr Hochwasserschutz oder Renaturierung. Die Volkspartei war nie gegen Renaturierung. Wir haben uns nur dagegen gewehrt, dass diese aus Brüssel verordnet wird und auf die österreichischen Gegebenheiten keine Rücksicht genommen wird.
Für die Grünen ist Renaturierung auch, dass keine überregionalen Straßen mehr gebaut werden. Wie sieht es da in einer kommenden Regierung aus, in der die ÖVP wieder vertreten ist?
Ganz anders. Die Investition in die Infrastruktur ist die Zukunftsinvestition für die kommenden Generationen. Das vernünftige Investieren in Straßenprojekte ist genauso wichtig wie das Investieren in den Schienenverkehr. Auch die Autos der Zukunft brauchen eine Straße.
Kommen wir zum 30. September, zum Tag nach der Wahl. Wenn Sie den Auftrag für Sondierungen oder gar für eine Regierungsbildung erhalten, werden Sie mit allen Parteien Gespräche führen?
Zuallererst sind einmal die Wähler am Wort. Es kommt immer darauf an, wer dann tatsächlich mein Gegenüber ist. Es kommt auch auf die möglichen Mehrheiten im Parlament an. Es braucht eine stabile Regierung. Was ich bei den bisherigen Koalitionsverhandlungen, bei denen ich dabei war, gesehen habe: Es braucht vernünftige Gegenüber, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Dann gibt es tragfähige Regierungen. Davor ist aber am 29. September die Richtungsentscheidung wichtig. Wer Herbert Kickl als Bundeskanzler verhindern will, der hat eine Option, und die heißt Karl Nehammer. Wer seine Stimme den Grünen oder Neos gibt, geht das Risiko ein, dass sich die Kräfte so verändern, dass Kickl Kanzler wird.
Haben Sie sich für den Wahltag eine persönliche Latte gelegt? Etwa: Wenn ich nicht Erster werde, dann ist es für mich vorbei.
Nein. Der 29. September ist der Tag der Auftragsvergabe. Meine ganze Kraft gilt es jetzt dafür einzusetzen, dass die Wähler mir den Auftrag erteilen werden.
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