Justiz im Superwahljahr: Warum es gerade jetzt aufs Timing ankommt
Wir befinden uns im Superwahljahr, und eines haben ÖVP, SPÖ und FPÖ gemein: Gegen Vertreter aller drei Parteien laufen Ermittlungen. Entscheidungen – Anklagen ebenso wie das Fallenlassen von Vorwürfen – könnten Einfluss auf Wahlergebnisse haben. Und das Timing, wann diese Entscheidungen fallen, könnte die Justiz in ein schiefes Licht rücken.
Aktuell hat ein Fall mit SPÖ-Bezug für Stirnrunzeln gesorgt: Die Presse berichtete am Montag, dass die WKStA ihre Ermittlungen gegen Ex-SPÖ-Politiker in der Umfragecausa (Stichwort Beinschab-Tool) bereits im Sommer 2022 abgeschlossen und einen Vorhabensbericht an die Oberbehörde geschickt hat.
Im März 2023 langte der Bericht im Justizministerium ein, bis Herbst musste dann noch eine „entscheidende Rechtsfrage“ geklärt werden. Mittlerweile sei die Prüfung abgeschlossen, heißt es dort. Der Bericht befinde sich „auf dem Weg zum Weisungsrat“.
In „clamorosen“ Causen, also in Verfahren, die von öffentlichem Interesse sind, muss die Staatsanwaltschaft an die Oberstaatsanwaltschaft berichten, ob sie Anklage oder Einstellung plant.
Der Vorhabensbericht wird geprüft und an die Sektion Einzelstrafsachen im Justizministerium weitergeleitet. Dann geht der Akt ans Kabinett der Justizministerin und von dort an den Weisungsrat, der die Ministerin berät.
Denselben Weg geht der Bericht wieder retour – entweder mit Bestätigung oder mit Weisung, anders zu handeln.
Mindestens 11 Personen sind auf diesem Weg in Summe beteiligt.
Befreiungsschlag
Was im Bericht steht, ist nicht bekannt. Laut Standard gibt es Hinweise darauf, dass die WKStA das Verfahren u. a. gegen Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas und Ex-Kanzleramtsminister Josef Ostermayer wegen Untreue einstellen wollte.
Politisch hat die Verzögerung kaum Gewicht (vorausgesetzt, an den Vorwürfen ist wirklich nichts dran), weil die SPÖ in diesem Themenkomplex ohnehin nicht im Fokus steht, sondern die ÖVP. Für sie wäre eine Verfahrenseinstellung ein Befreiungsschlag. (Apropos: Der Akt in der Falschaussage-Causa gegen Sebastian Kurz wurde auch ein halbes Jahr lang in der Fachaufsicht herumgereicht.)
Keine Rücksicht
Insgesamt, sind sich zwei Experten im KURIER-Gespräch einig, wirft die Angelegenheit aber ein schlechtes Licht auf die Justiz. „Weil in der Öffentlichkeit nicht wirklich unterschieden wird, wer verantwortlich ist und was die Gründe sind“, sagt Irmgard Griss, ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und Ex-Neos-Politikerin.
Die WKStA wird seit Jahren wegen überlanger Verfahren kritisiert. Der Apparat im Hintergrund, die Fachaufsicht, sei aber wesentlicher Teil des Problems, so Griss.
Je länger so eine „clamorose“ Causa im Ministerium liegt, desto eher entstehe der Anschein, dass etwas verschleppt oder unter den Teppich gekehrt werde, sagt auch Gerhard Jarosch, ehemaliger Vertreter Österreichs bei der EU-Rechtshilfeagentur Eurojust, der jetzt Beschuldigte in öffentlichkeitswirksamen Verfahren berät. „Aber in der Justiz fehlt dafür die Sensibilität.“
Ebenso wenig Rücksicht dürfte auf tagespolitische Ereignisse genommen werden. „Eine Anklage zu beschleunigen, um einer Partei zu schaden oder sie zurückzuhalten, um den Wahlkampf nicht zu stören – das wäre extrem unanständig. So arbeitet die Justiz nicht“, betont Jarosch.
Zittern vor Wahlen
In der Steiermark wird rund um dubiose Geldflüsse auf Konten der FPÖ Graz ermittelt – eine Belastung für die Landtagswahl im Herbst. Zudem muss die FPÖ fürchten, dass mitten im EU-Wahlkampf eine Anklage in der Spesen-Causa gegen ihren Spitzenkandidaten Harald Vilimsky hereinschneit. Anders herum wäre sie wohl erleichtert, wenn in dieser Zeit eine Einstellung erfolgt (mehr dazu hier).
Was die Nationalratswahl betrifft, blickt die ÖVP angespannt auf den Falschaussage-Prozess gegen ihren Ex-Chef Sebastian Kurz. Dem Vernehmen nach will der Richter beim nächsten Termin, am 23. Februar, ein Urteil sprechen.
Und der SPÖ dürfte es recht sein, wenn die frühere Parteispitze um Werner Faymann die Umfrage-Vorwürfe eher früher als später los ist.
Nicht zu durchblicken
Die Verzögerung erklärt sich Jarosch als Ex-Staatsanwalt mit dem viel zu großen System der Fachaufsicht. Bis zu elf Personen bearbeiten einen Vorhabensbericht, bis eine Entscheidung getroffen wird (siehe Kasten oben). Ein System, das ein Durchschnittsbürger nicht durchblickt – „und die Justiz erklärt sich auch nicht genug“.
Mehr Transparenz fordert auch Ex-OGH-Präsidentin Griss: „Entscheidungen in der Justiz müssen sachlich begründet sein. Wenn sie das sind, dann kann man auch dazu stehen. Ich wüsste nicht, was daran geheim sein sollte.“
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