Jugendliche: Was sie antreibt, was sie stört
Die Eltern sagen zu ihren 20-jährigen Kindern: „Schließt eine Lebensversicherung ab, damit ihr einmal eine Pension kriegt.“
Die Jungen antworten: „Wozu? Es lässt sich eh nichts mehr planen.“
Beate Großegger, Expertin vom Institut für Jugendkulturforschung, schildert exemplarisch den Zugang der Jungen zur Lebensplanung. „Jugendliche betreiben grundsätzlich weniger Zukunftsplanung als Erwachsene, aber die Krisen haben das noch verstärkt.“ Klimawandel, Krieg, Teuerung, Pandemie haben bei den Jungen viel Unsicherheit erzeugt. Die Probleme sind komplex, einfache Lösungen gibt es nicht. „Das macht die Jugendlichen pragmatisch und realistisch – im Gegensatz zu ihren Eltern, die einem oft naiven Idealismus anhingen“, sagt Großegger.
Ein weiterer Ausdruck krisenbedingter Unsicherheit sei das gesteigerte Bedürfnis nach Sicherheit im Sinne von Ordnung. „Jugendliche wollen klare Strukturen und Regeln, damit sie mit ihrem Leben zurande kommen.“ Von da rühre auch das Bedürfnis, Freizeit und Arbeit klar zu trennen. Großegger: „Es ist falsch zu sagen, dass die junge Generation faul sei. Sie wird zu Unrecht geprügelt. Sie ist sehr wohl motiviert, aber im klaren Rahmen.“
„Der Alltag überfordert viele, daher kommt der Wunsch nach Freizeit“
„Der Alltag überfordert viele“, sagt Großegger, daher gebe es zum einen den großen Wunsch nach Freizeit und zweitens werde diese vornehmlich für das Private genutzt. Die Bereitschaft, sich für politische Anliegen zu engagieren, sei gering. Das sei eher eine Eliten-Sache.
Angesicht von Teuerung und Energiekrise sei der Klimaschutz vor allem für benachteiligte Milieus ein Luxus. Es sei typisch für die Klimaschutzdebatte, dass die Bildungsferneren oft nicht mitgenommen werden. Diese seien jedoch keineswegs Klimawandel-Leugner, betont Großegger. Aber sie seien eher geneigt, zu glauben, dass der Fortschritt das Problem lösen könne. In diese Gruppe fallen vornehmlich Burschen, die einen technischen Beruf erlernen. „Ankleben empfinden sie als Blödsinn“, sagt Großegger.
Interessant findet die Jugendforscherin, dass die Klimaaktivisten die Erwachsenen zwingen wollen, die Welt anders zu gestalten. „Früher wollten Jugendliche selbst die Welt gestalten und haben eine eigene Gegenkultur entwickelt und diese auch vorgelebt. “
„Bei Berufswahl ziemlich aufgeschmissen“
Für Stress in den Familien sorgt die Berufswahl. In den bildungsnahen Schichten gibt es enormen Druck der Eltern auf die Leistungen der Kinder. Eltern intervenieren inzwischen nicht nur in den Schulen, sondern sogar bei Uni-Professoren für gute Noten, erzählt Großegger.
Bei den Lehrberufen wiederum besteht das Problem, dass die inzwischen große Auswahl an neuen Berufen viele überfordert. „Die Jugendlichen sollen mit 13, 14 Jahren entscheiden, was sie machen. Sie sind ziemlich aufgeschmissen.“ Also beraten sie sich mit ihren Eltern, die aber – angesichts des raschen technologischen Wandels – auch keine große Hilfe sind. Großegger: „Es wäre hilfreich, nicht nur die Schüler, sondern auch die Eltern über die neue Berufswelt und neue Lehrberufe zu informieren, damit die Eltern ihre Kinder besser beraten können.“
"Das Wichtigste in meinem Leben bin ich selbst": Florian Pircher, 17, Maturant
"Ich bin persönlich noch von gar keiner Krise betroffen. Die Teuerungen sind für mich weniger dramatisch, weil meine Eltern ganz okay verdienen“, sagt Florian Pircher, Maturant aus Wien. Aber der Krieg in der Ukraine, der berühre ihn. Pircher spielt Eishockey und in seinem Verein sind sehr viele, die aus der Ukraine vertrieben wurden und mit denen er sich gut verstehe.
„Die Klimakrise wird mich erst in Zukunft betreffen, auch wenn die Ausmaße jetzt schon zu erahnen sind“, sagt der 17-Jährige. Er nehme den Klimawandel ernst, glaube aber, dass Österreich im Vergleich zu anderen Ländern „recht gut dabei ist, beim Klimaschutz“. Das Problem sei, so Pircher, dass Österreich ein kleines Land sei und sein Beitrag zum Klimaschutz weit weniger wert sei als der von großen Ländern wie China oder den USA.
Trotzdem möchte auch er einen Beitrag zum Klimaschutz leisten: „Ich mache absichtlich keinen Führerschein. Man kann auch mit dem Zug auf Urlaub fahren. Und ich lasse das Licht nicht unnötig brennen oder Wasser zu lange rinnen“, erklärt er, zweifelt aber daran, dass sein Tun „einen großen Impact hat“. Ob man angesichts der multiplen Krisen eine Zukunft planen kann? Ja, meint er, „man kann sein Leben schon planen, aber ich glaube, dass das schlecht ist“.
Dabei sorge er sich aber nicht um das Wegfallen einer Lebensgrundlage durch die Krisen, sondern fürchtet Monotonie. „Wenn man alles vorplane und die Augen vor neuen Möglichkeiten deshalb verschließe, „verpasst man vielleicht etwas, das einem mehr Spaß macht. Ich habe Angst vor Langweile“, sagt Pircher. Das Erwachsenwerden flöße ihm Respekt ein, denn es kommt „mit viel Stress und Arbeit“.
Womit er seinen Lebensunterhalt als Erwachsener verdienen wird, wisse er noch nicht. „Aber ich hoffe, dass ich etwas finde, das mir bis zur Pension Spaß macht“. Freude an der Sache sei aber nicht das Einzige, was er von Arbeit erwartet: „Ich kann keinen Beruf machen, der mir Spaß macht, aber mit dem ich nur 600 Euro im Monat verdiene“, sagt Pircher. Darum fließen zwei Fragen in die Berufswahl ein: „Wie viel Geld verdiene ich und wie viel Spaß macht es mir“.
Der Gedanke daran, Erwachsen zu werden, flöße ihm ohnehin Respekt ein, denn das Erwachsensein komme mit Stress und Arbeit.
„Mir ist Freizeit sehr wichtig. Wichtiger als Schule“, gesteht der 17-Jährige. Besonders viel freie Zeit blieben ihm sowieso nicht, deswegen teile er sich absichtlich viel davon ein. „Ich spiele und trainiere vier Mal die Woche Eishockey. Das sind vier Mal die Woche vier Stunden, die ich fürs Training aufwende – neben der Schule“, sagt Pircher. „Den Rest möchte ich mit Freunden verbringen“. Um gute Noten gehe es ihm in seinem Leben sowieso nicht.
Familie, seine Freunde und seine zwei Katzen Basil und Wuschel haben einen hohen Stellenwert für ihn. Dennoch: „Es klingt egozentrisch aber das Wichtigste in meinem Leben bin ich mir selbst“, sagt er. Denn: Gehe es ihm nicht gut und ziehe er die Stimmung runter, hat das auch negative Auswirkungen auf seine Mitmenschen.
Was aber ärgert oder stört einen 17-Jährigen, der Spaß und Freizeit an erster Stelle setzt? „Fast gar nichts“, erklärt dieser. „Mich ärgern Dinge zwar – aber nur für kurze Zeit“, sagt Pircher. Er wolle sich nicht unnötig aufregen, wenn er allein ohnehin nichts ändern kann.
"Ich möchte einen Beitrag für die Gesellschaft leisten": Vanessa Scheibelreiter, 17, Lehrling
"Ich will mich nicht aufregen, über Dinge, die passiert sind, ich will es besser machen“, sagt Vanessa Scheibelreiter, wenn es um die Klimakrise geht. Sie ist 17 Jahre alt, absolviert bei der Stadt Wien die Lehre zu Verwaltungsassistentin und ihr Blick ist in die Zukunft gerichtet. „Wir schauen, dass wir es besser machen als die Generation davor.“ Die Klimakrise sei vor ein paar Jahren für sie noch weit weg gewesen. „Aber durch Medien, durch Zeitungsberichte, Social Media und die ganzen Demonstrationen ist sie realer geworden. Ich hab’ mir dann gedacht, das betrifft mich ja wirklich.“
Woran sie den Klimawandel bemerkt? „Weiße Weihnachten, die hat es ja schon ewig nicht mehr gegeben. Und die Sommer sind so heiß.“ Vanessa Scheibelreiter hat noch keinen Führerschein. Sie lebt auf dem Land. „Wir haben alle Fahrräder und Busse gibt es auch.“ Sie fahre viel öffentlich. „Man muss halt schauen, wann ein Bus fährt. Das ist ja nicht so schwer, das könnte jeder machen. Die Menschen müssen umdenken.“ Jeder müsse sich selbst denken, was er oder sie anders machen könnte. Dass die Krise Unsicherheiten mitbringt, spürt sie. „Man kann das Leben nicht wirklich planen.“ Sie wisse nicht, wie es in zehn Jahren ausschaue.
Im Berufsleben sind der 17-Jährigen ihre Aufstiegsmöglichkeiten wichtig. „Ich will etwas weiterbringen – gemeinsam mit einem Team. Ich möchte einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Ich möchte merken, meine Arbeit hat einen Sinn, bringt der Stadt und der Verwaltung etwas.“ Sie ist vom Gymnasium in die Lehre gekommen. „Das war schon ein Umstieg, auf einmal im Büro, mit lauter Erwachsenen.“
Sie motivieren kleine Erfolge. „Wenn ich sehe, ich habe etwas gut gemacht. Oder wenn ich sehe, was andere erreichen, die selbst Lehrlinge waren.“ Wie ihr jetziger Chef, Christian Schendlinger, der Leiter der Lehrlingsmanagements beim Magistrat der Stadt Wien. Ihr werde Verantwortung in die Hand gelegt, die Lehrlinge dürften aber auch Fehler machen.
Aber was ist mit der Freizeit? „Arbeiten ist wichtig, ich würde mich vollkommen untätig finden, wenn ich jeden Tag um 12 Uhr daheim wäre. Aber Ausgleich ist auch wichtig. Sieben Tage die Woche Arbeiten, das wäre nichts.“ Für Hund und Katze braucht die junge Frau ebenso Zeit – genauso wie für sich allein.
Während der Corona-Pandemie gab es die ja en masse. „ Ich höre oft, dass wir Jugendlichen etwas versäumt haben. Aber ich weiß nicht, ob ich viel versäumt habe. Partymachen kann man nachholen.“ Scheibelreiter sieht auch die positiven Seiten, etwa das Homeschooling. „Die Lehrer in der Berufsschule haben die Stunden offener gestaltet.“ Man habe sich den Tag selbst einteilen können und Selbstmanagement gelernt.
Was Scheibelreiter derzeit beschäftigt ist das Thema Wohnen. Sie habe schon eine Wohnung mit Freunden und der Familie gesucht. „Die Mietpreise sind unvorstellbar. Keine Ahnung, wie ich das machen soll. Ich gehe ja arbeiten und habe Geld auf der Seite. Du tust viel und willst eine schöne Wohnung – das wird dir nur erschwert.“
Die 17-Jährige verfolgt die Nachrichten. Obwohl es ihr manchmal schwerfällt. „Da gibt es oft nur schreckliche Dinge.“ Lieber sieht sie die Erfolge. Etwa bei Tierschutzthemen. „Zehn Hunde sind befreit. Das lese ich gerne.“
"Ich hätte gerne Sicherheit, aber die habe ich nicht": Anna Rotter, 17, Maturantin
"Als die Lockdowns begonnen haben, war ich 15 Jahre alt. Ich war neu in der Oberstufe und in einer neuen Klassengemeinschaft“, sagt Anna Rotter, Schülervertreterin und Maturantin in einem Gymnasium in Wien. Die Corona-Pandemie sei die Krise, die sie daher am meisten betreffe, sagt sie. „Ich spüre die Nachwehen der Lockdowns noch immer“. Das liegt einerseits an Lücken im Lehrstoff, die durch das Homeschooling entstanden sind. Andererseits seien viele Junge einsam gewesen und in mentale Krisen geschlittert, weiß die 17-jährige Schulsprecherin.
Große Sorgen macht sich Rotter auch um das Klima und ihre Zukunft. „Ich würde mein Leben gerne ein bisschen planen, aber das geht maximal ein Jahr im Voraus“, sagt sie.
Denn sie habe keine Ahnung, wie die Welt in 20 Jahren aussehen werde. „Welche Jobs wird es geben? Werde ich überhaupt fix im Berufsleben stehen können? Wird es im Sommer ständig über 40 Grad Celsius haben und wir werden aufgrund der Hitze nicht arbeiten können? Werden, wie die Prognosen voraussagen, bis 2050 250 Millionen Klimaflüchtlinge kommen?“
Wie also, fragt sie, soll sie sich ihre konkrete Zukunft ausmalen? „Ich hätte gerne Sicherheit oder Gewissheit, aber die habe ich nicht“, sagt sie. Rotter fordert schnelles Handeln und nimmt Politik und Großkonzerne in die Verantwortung. Sie habe, wie viele in ihrem Alter, den Glauben verloren, dass ihr persönlicher Beitrag reicht, um das Klima zu retten. „Ich habe vor ein paar Jahren die Schule geschwänzt, um zum Klimastreik zu gehen. Das mache ich jetzt nicht mehr, es hat nichts gebracht“, sagt sie.
Sie hat Verständnis für die Klimaaktivisten, die sich auf den Straßen festkleben. „Die Aktivisten sind verzweifelt. Wir sind alle verzweifelt. Seit Jahren sagen wir den PolitikerInnen: Hey, macht etwas! Aber sie machen zu wenig“, sagt die 17-jährige Maturantin.
Und wie wird es dann weitergehen? Sie hoffe, dass bald eine neue Generation Politiker kommt, die den Umschwung bringt. Ob das nicht sie selbst sein könnte? „Vielleicht. Ich habe viele Ideen, wie man die Gesellschaft gestalten kann“. Auch über das Klima hinaus würde sie sich für Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und eine Umstellung des Schulsystems engagieren.
Überzeugt sei sie von der Berufswahl „Politikerin“ aber noch nicht. Denn dieser Job wirke anstrengend und kräftezehrend. Das sei möglicherweise nicht „ihr Ding“. „Ich erwarte, dass ich mich neben der Arbeit auch um mein Wohlbefinden kümmern kann. Ich möchte niemanden ausbeuten und mich dabei nicht ausbeuten.“
"Man muss sich einschränken, wenn alles teurer wird": Lukas Bürger, 21, Lehre mit Matura
"Wir hatten das Glück, dass wir während der Pandemie weiter arbeiten konnten“, sagt Lukas Bürger über die vergangenen Jahre. Er ist 21 Jahre alt und macht eine Lehre mit Matura. Beschäftigt ist er bei der Stadt Wien, wie Vanessa Scheibelreiter (siehe Bericht unten). „Zum Glück bin ich hier, zum Glück hab’ ich eine Ausbildung. In der Gastronomie war das anders.“ Betriebe seien geschlossen und Lehrlinge gekündigt worden.
Karriere ist dem Lehrling wichtig. Er hat während der Ausbildung gelernt, seine Arbeit zu managen. „Dass man Verantwortung übernehmen muss.“ Das helfe auch im Privatleben. „Man muss später auch den Haushalt führen.“ Für die Matura hat er zusätzlich einiges zu lernen. „Man muss dahinter sein. Aber das ist für mich. Es muss jeder selbst wissen, ob er mit dem Stress klarkommt. Die Matura ist ein Bonus, der mir hilft aufzusteigen.“
Trotz seines sicheren Arbeitsplatzes beschäftigte Corona Lukas Bürger intensiv. „Freizeittechnisch war es nicht so einfach. Man hat die Freunde, die Familie seltener gesehen – und die Klassenkameraden nur noch gehört.“ Fortgehen sei eine Zeit sehr eingeschränkt gewesen. „Meinen 21. Geburtstag hätte ich gerne groß mit Freunden gefeiert. Das hat gefehlt.“
Corona ist nicht die einzige Krise, die junge Menschen fordert. Technische Lösungen seien eine Hilfe, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. „Das alleine wird wahrscheinlich nicht reichen.“ Aber was tun? „Die Leute müssen es checken, es muss Klick machen. ,Hey, die zehn Minuten geh’ ich zu Fuß und fahr’ nicht mit dem Auto, weil es bequemer ist.“ Als der Sprit so teuer war, hat er begonnen zu überlegen.
Die Teuerung gibt Bürger zu denken. „Man überlegt zwei Mal, ob man Fleisch kauft. Von Jahr zu Jahr wird alles teurer. Du kaufst nur Kleinigkeiten und zahlst schon 100 Euro. Um 100 Euro hat die Mama vor ein paar Jahren einen vollen Einkaufswagen gehabt.“ Er wolle aber trotzdem ins Kino gehen oder Essen mit Freunden. „Man muss sich einschränken, wenn alles teurer wird. Du überlegst, geh ich baden oder duschen.“
Der 21-Jährige findet es schade, wenn die Menschen nicht wählen gehen. „Wenn sie sich denken, es ändert sich eh nichts, wird sich nie etwas ändern. Wir in Österreich haben das Glück, dass wir wählen dürfen. Wir sollen das ausnützen.“
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