Irgendwie war Alexander Van der Bellen der Auftritt zuwider, und daraus wollte er erst gar kein großes Geheimnis machen. Als der Bundespräsident am Donnerstag in der Hofburg vor die Kameras trat, sagte er unumwunden, dass er bei seinem ersten Auftritt nach der Wiederwahl über ganz andere Dinge hätte reden wollen.
Doch anstatt über politische Themen zu parlieren, musste das Staatsoberhaupt ernüchtert feststellen, dass das Vertrauen in die Demokratie „erschüttert“ ist; die kolportierten Zustände aus den Einvernahmen des Thomas Schmid hätten „fundamentale politische Unruhe“ erzeugt.
„Ich will das nicht hinnehmen!“, sagte Van der Bellen. Und damit meinte er, dass die Demokratie „massiven Schaden“ genommen habe, der an ihre Substanz gehe. War das in der Form nötig und angemessen – und: Ist es objektivierbar?
Um zu verstehen, warum sich der Bundespräsident diese Woche zu Wort gemeldet hat, während in den potenziellen Korruptionscausen kein Urteil gesprochen, ja noch nicht einmal ein Prozess initiiert worden ist, muss man eines sehen: Es gibt mittlerweile so etwas wie einen Rhythmus, eine Wiederholung – und die ist eher beunruhigend. Auch und besonders für Alexander Van der Bellen.
Von "So sind wir nicht" bis "darf doch alles nicht wahr sein"
Es war im Mai 2019, als er mit dem Satz „So sind wir nicht!“ auf das Ibiza-Video und die angetrunkenen Allmachtsfantasien eines Mannes reagierte, der damals eine nicht ganz kleine Parlamentspartei führte und später sogar Vizekanzler der Republik werden sollte.
Das Ibiza-Video und die damit verbundenen Ermittlungen führten genau vor einem Jahr, im Oktober 2021, dazu, dass der damalige Kanzler und Regierungschef Beschuldigter in einer politischen Korruptionscausa wurde, bis heute ist – und auf Druck des kleineren Koalitionspartners erst zur Seite und dann gänzlich zurücktreten musste.
Die publik gewordenen ÖVP-Chats ließen den KURIER damals zurecht fragen: Was ist faul im Staat? Damals wie 2019 lag es an Van der Bellen, das politische System zu verteidigen und den Wählern Vertrauen zu vermitteln. Doch am Donnerstag musste er wieder „ausrücken“, um teils wieder andere – neue – Malversationen bzw. Aussagen zu ordnen und zu kritisieren.
„Das darf doch alles nicht wahr sein!“, sagte das Staatsoberhaupt stellvertretend für Bürger. Und angesichts der unschönen Wiederholungen bzw. Häufung derartiger Causen steht der Verdacht im Raum, dass das politische System teils verlottert und überkommen ist.
Der KURIER hat fünf negative Wert- bzw. Vorurteile formuliert und auf ihren Gehalt geprüft. Die Ergebnisse sind mitunter ernüchternd. Vielleicht sind wir wirklich – noch – so. Ein wenig zumindest.
Die Reichen können es sich richten
KURIER-Fazit: Stimmt zum Teil
Man soll sich nichts vormachen: Menschen mit veritablen finanziellen Mitteln haben andere Möglichkeiten als Mindestpensionisten. Wer bei steuer- oder strafrechtlichen Fragen auf gut bezahlte Wirtschaftsanwälte und Steuerberater vertraut, hat es mitunter leichter. Auch oder gerade deshalb gibt es spezialisierte Behörden wie die Wirtschafts- und Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft, die – mit Experten an der Seite und unparteiisch – in komplizierten Korruptionsdelikten ermitteln.
„Gerade die vergangene Woche hat gezeigt, dass sensible Ermittlungen über Monate hinweg professionell und diskret erledigt werden“, sagt der frühere Ermittler und Korruptionsexperte Martin Kreutner. Als problematisch betrachtet er die „ungesunde Nähe“ von Politikern und Spitzenbeamten zu Wohlhabenden. „Da geht’s nicht um das plumpe ,Ich geb’ dir 100.000 Euro und dafür will ich etwas’.“
Vielmehr würden Unternehmer durch teure Veranstaltungen und wiederholte Treffen die Distanz verringern, bis irgendwann ein Punkt kommt, an dem etwa Generalsekretäre, Sektionschefs und selbst Minister diese Unternehmer außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Strukturen „beraten“.
Das Anpatzen schadet der Demokratie
KURIER-Fazit: Bedingt wahr
Das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Institutionen ist katastrophal: Laut APA-OGM-Umfrage von Juli 2022 ist das Parlament um 15 Prozentpunkte abgestürzt, liegt im Saldo auf minus zehn Prozent. Die Regierung liegt bei minus 34 – und damit auf dem letzten Platz im Ranking. Das Problem dürfte weniger bei den Institutionen selbst liegen, sondern mehr an Art, wie dort agiert wird.
Es wirkt mitunter verstörend, wenn es im Plenum zugeht wie am Wirtshaustisch, die Opposition eine Regierungspartei im U-Ausschuss konsequent in die Mangel nimmt oder ein Regierungsmitglied dem anderen via Medien Unfreundlichkeiten ausrichtet.
Als ÖVP-Chef hatte Sebastian Kurz damals in Koalition mit der FPÖ bewusst Harmonie und Eintracht zelebriert. Eine Illusion, wie sich herausstellte.
Die Realität ist: Demokratie ist das Ringen um die beste Lösung – und da sind Friktionen unvermeidbar.
Der Knackpunkt dabei: Ist dieses Ringen ein ehrliches, stammt die Kritik aus einer Überzeugung und ist man an Lösungen interessiert? Oder will hier nur jemand besonders laut sein?
Der politische Diskurs vermittelt häufig eher Letzteres.
Österreich ist vom Parteienfilz durchzogen
KURIER-Fazit: Leider wahr
Parteipolitische Postenbesetzung ist ein weitverbreitetes Übel und stellt eine Wurzel für Korruption dar. Wer eine Beförderung nicht seiner Leistung, sondern einer Seilschaft verdankt, ist unter Druck, „Dank“ abzustatten, etwa in Steuerverfahren, beim Ausschütten von Förderungen, bei Beförderungen von Parteigängern etc. Sogar das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung wird, wie kürzlich im U-Ausschuss herauskam, durch ÖVP-Parteigänger drangsaliert.
Parteipolitische Postenbesetzungen schaden dem Ansehen der staatlichen Institutionen. Wenn von jedem Richter, Schuldirektor, Polizeikommandanten die Gesinnung bekannt ist, wird das Vertrauen in die Überparteilichkeit untergraben, und im Streitfall werden die Institutionen denunzierbar und in Parteienhickhack hineingezogen.
Der Staat wird in den kommenden Jahren viele junge, gut ausgebildete Leute brauchen, weil sehr viele Beamte in Pension gehen. Wenn die Parteien gute Leute durch ihre Praktiken abschrecken, indem Liebediener belohnt und Korrekte drangsaliert werden, schadet das letztlich allen. Denn der Wirtschaftsstandort benötigt eine saubere Verwaltung auf der Höhe der Zeit.
Medien und Politik sind eng verbandelt
KURIER-Fazit: Mitunter wahr
„In Österreich fehlt es an kritischer Distanz zwischen Politik und Medien.“ - Das sagt Journalist Florian Skrabal. Vor zehn Jahren hat er die Recherche-Plattform dossier gegründet und sich anfangs vor allem einem Thema gewidmet: der Inseraten-Korruption. Hier geht es darum, wie Regierende auf Landes- und Bundesebene mit Inseraten-Budgets Medien wohlmeinend stimmen.
Das Phänomen kann nicht auf eine Partei oder Region begrenzt werden. Und es zieht sich laut Skrabal „vom Großen ins Kleine, von wirtschaftlicher Abhängigkeit bei der Finanzierung in Form von Inseraten bis zu persönlicher Nähe zwischen Politikern und Journalisten: Das sind zwei Ebenen, die zu einem ungesunden Verhältnis führen.“
Im benachbarten Deutschland oder der Schweiz ist es weitgehend undenkbar, weil unvereinbar, dass (führende) Redakteure mit Spitzenpolitikern oder deren Mitarbeitern privat befreundet sind.
Abhilfe gegen die ungesunde Nähe schafft etwa die Ausbildung von jungen Journalisten, denen von Beginn an eingeschärft werden muss, dass ihre Loyalität den Lesern und Bürgern gilt – und nicht vermeintlichen Freunden in Politik und Wirtschaft.
Der Politik geht es immer nur um den Machterhalt
KURIER-Fazit: Nicht nur, aber auch
Politiker können nur als Politiker tätig werden, wenn sie gewählt werden. Schwierig wird es, wenn Politiker rein auf Stimmenmaximierung aus sind und das große Ganze, das Allgemeinwohl, nicht im Blick haben
Ein Beispiel: Vor der oberösterreichischen Landtagswahl 2021 blieben Corona-Maßnahmen, die von Experten so dringend gefordert wurden, aus. Nach der Wahl folgte ein Lockdown, die Impfpflicht wurde diskutiert, eine Impfgegner-Partei gewann an Boden. Vor der nächsten Landtagswahl wurde die Impfpflicht abgeschafft.
Sebastian Kurz wurde quer durch seine Karriere vorgeworfen, er sei Populist, ihm ginge es nur um Machterhalt. Mit dem „Beinschab-Tool“ trieb es seine ÖVP auf die Spitze: Nicht nur haben die Türkisen populäre Politik gemacht, sie haben ihre Politik populär gemacht – mit frisierten Umfragen.
Auch die Grünen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, für den Verbleib in der Regierung ihre Werte zu vernachlässigen. Etwa, wenn es um Transparenz, Anti-Korruption oder Asylpolitik geht. Offenbar schafft es derzeit aber keine Partei, glaubwürdig für die Menschen einzustehen: Laut Integral-Studie sagen 41 Prozent, dass keine Partei für sie Lösungen anbiete.
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