Kommen vermögensbezogene Steuern? AK-Chefökonom ist sich "ziemlich sicher"
Was soll gegen das hohe Budgetdefizit und die schwächelnde Wirtschaft unternommen werden? Die Sozialpartnerschaft wird bei den Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ eine entscheidende Rolle in diesen Fragen spielen. Welche Lösungen Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkamm und Vizepräsident des Fiskalrats, vorschlägt.
KURIER: Die kommende Regierung muss „handeln, oder wir werden verlorene Jahre durchleben“, sagt IV-Chefökonom Christian Helmenstein im KURIER-Interview. Teilen Sie den Befund?
Markus Marterbauer: Wir haben tatsächlich Jahre für Reformen verpasst. Ich glaube aber, dass besonders seitens der Industrie und der Wirtschaftskammer professionelle Schwarzmalerei betrieben wird. Die österreichische Industrie ist über die letzten 50 Jahre eine Erfolgsstory und wir haben alle Chancen, dass es gut weitergeht, wenn wir die ökologische Transformation schaffen.
Welche Maßnahmen brauchen wir für eine positive Konjunktur?
Jetzt befinden wir uns in einer Rezession, weil die Absatzerwartungen der Unternehmen schlecht sind. Der Konsum springt nicht an, weil die Menschen sparen. Dabei darf die gestiegene Arbeitslosigkeit nicht unterschätzt werden. Wir haben derzeit 30.000 Arbeitslose mehr als im Vorjahr, im Winter werden es plus 40.000 sein. Die künftige Regierung muss sofort Maßnahmen ergreifen, um den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bremsen, das AMS-Budget aufstocken und überlegen, wie man zusätzliche Investitionen anstoßen kann.
Wie soll das funktionieren?
Man kann über befristete vorzeitige Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen nachdenken. Damit würden Investitionen vorgezogen, die Österreichs Wirtschaft so dringend braucht.
Zurück zum AMS. Es gibt auch Menschen, die vom Arbeitslosengeld besser leben können als von Arbeit.
Dem Argument kann ich nichts abgewinnen. Wir wissen, dass viele Teilzeitkräfte gerne mehr arbeiten würden. Ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten will unmittelbar Stunden aufstocken, bekommt aber nicht den adäquaten Job oder hat keine Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Ich halte nichts von einem Vollzeitbonus, solange es für Teilzeitbeschäftigte keine Aufstockungsmöglichkeiten gibt.
Es gibt aber auch Menschen, die keine Betreuungspflichten haben und nicht mehr Stunden arbeiten wollen.
Wir sind in einer freien Marktwirtschaft. Jene, die jetzt keinen oder einen schlechten Job haben oder gerne mehr arbeiten wollen, sollten auf die vielen guten offenen Stellen vermittelt werden. Wir haben 300.000 Arbeitslose, 350.000 Menschen in der stillen Reserve und 300.000 Menschen, die im Niedriglohnbereich sind und es verdienen, mehr Geld als 2.000 brutto für Vollzeitarbeit zu erhalten.
Die Jugendarbeitslosigkeit steigt ebenfalls. Muss die Politik mehr für die Bildung statt AMS-Qualifikation tun?
Wir sind im OECD-Vergleich gerade bei der Arbeitsmarktsituation von Jugendlichen weit zurückgefallen. Für sie muss es eine wirksame Ausbildungs- und Beschäftigungsgarantie geben, auch weil wir sie im Erwerbsprozess brauchen. Dazu brauchen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
Die wie ausgestaltet sein könnte?
Die AMS-Mittel werden 2025 gekürzt – das muss sofort zurückgenommen werden. Wir brauchen zusätzliche Mittel für Betreuungspersonal und für Qualifizierungsmaßnahmen, denn die Unternehmen selbst qualifizieren Personal nicht mehr ausreichend.
Der Fiskalrat geht von einem Budgetminus von 3,9 % aus, für 2025 von 4,1 %. Fällt Ihnen jemand ein, der das als Finanzminister wieder unter Kontrolle bringt?
Der letzte Finanzminister hatte das Budget jedenfalls nicht unter Kontrolle. Auf Personalspekulationen lasse ich mich nicht ein. Es geht um ein grundsätzliches Problem: Die Rezession ist zum guten Teil hausgemacht. Und eine Reihe von Einnahmensenkungen wie die Senkung der Körperschaft- oder Einkommenssteuer und die Abschaffung der kalten Progression wurden ohne Gegenfinanzierung gemacht.
Haben wir eher ein Ausgaben- oder ein Einnahmenproblem?
Der Fiskalrat stellt fest, die Gegenfinanzierung fehlt auf beiden Seiten. Allein die Abschaffung der kalten Progression kostet heuer 4 Milliarden Euro. Was die Senkungen betrifft, so waren wir immer gegen die Senkung der KÖSt, die jetzt immerhin eine Milliarde Euro kostet. Wir sind stattdessen für Investitionsbegünstigungen.
Soll die Abschaffung der kalten Progression wieder rückgängig gemacht werden?
Ich war immer dafür, die Kosten der kalten Progression über Steuerreformen alle paar Jahre gezielt zurückzugeben. Das scheint mir mit den Erfahrungen der letzten zwei Jahre auch das flexiblere System zu sein. Der aktuelle Automatismus treibt uns in ein großes Budgetdefizit.
Die Körperschaftsteuer liegt derzeit bei 23 Prozent. Auf welches Niveau soll sie wieder steigen?
Auf das alte Niveau von 25 Prozent.
Die staatlichen Pensionsausgaben sind heuer bisher um 22,7 Prozent gestiegen und werden in den kommenden zehn Jahren in Relation zum BIP weiter steigen. Wie sollte das Pensionssystem aus Ihrer Sicht reformiert werden, um es aufrecht zu erhalten?
Österreich hat ein gutes Pensionssystem, unbedingt fortsetzen muss man aber die Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalter. Dieses ist für Männer und Frauen in den letzten zehn Jahren um eineinhalb Jahre gestiegen. In dem Tempo muss es mindestens weitergehen. Ziel muss sein, dass die Leute mit 65 in Pension gehen. Das hängt ganz stark von der Entwicklung der Beschäftigung und der Gesundheitsvorsorge ab.
Pensionsexpertin Christine Mayrhuber empfiehlt, das gesetzliche Antrittsalter ab 2034 schrittweise auf 67 Jahre anzuheben. Was halten Sie davon?
Aus Budgetsicht liegt unser Problem beim Pensionssystem in den nächsten fünf bis zehn Jahren, weil dann die Babyboomer in Pension gehen. Wir haben jetzt einen gewissen Sprung beim Bundeszuschuss, dann bleiben die Kosten relativ konstant.
Aber laut WIFO-Prognose auf höherem Niveau. Derzeit sind wir bei rund 14 Prozent des BIP, künftig wären es etwa 15 Prozent.
Ab 2035 werden uns vor allem die Gesundheits- und Pflegekosten zu schaffen machen. Eine wichtige Aufgabe der nächsten Bundesregierung ist also, das Gesundheitssystem neu zu gestalten. Da ist auch ohne Leistungseinschränkungen ziemlich viel an Effizienzsteigerungen drinnen.
Was könnte man machen, damit auch die Bevölkerung im Pensionsbereich ein Bewusstsein entwickelt? Beispielweise, dass man eine deutlich höhere Pension hat, wenn man länger arbeitet?
Guter Punkt. Unser Pensionssystem ist langfristig nur finanzierbar, wenn wir ausreichend lange einzahlen. Ich verstehe alle, die mit 60 nicht mehr so viel Spaß an der Arbeit haben, aber das schwächt die Finanzierbarkeit des Pensionssystems. Dass ein gemeinsames Versicherungssystem nur solidarisch finanziert werden kann, muss wieder stärker ins Bewusstsein der Leute rücken.
Gilt selbiges auch für die Arbeitslosenversicherung? Arbeitsminister Martin Kocher hätte ein „degressives“ Modell vorgeschlagen, bei dem Arbeitslose anfangs mehr, dann aber Schritt für Schritt weniger Geld bekommen.
Ich bin sehr froh, dass dieser Vorschlag an den Grünen gescheitert ist. Die Idee war ja, für Langzeitarbeitslose das ohnehin relativ niedrige Arbeitslosengeld noch weiter zu senken. Sie sind die am stärksten armutsgefährdete Gruppe. Bei denen weiter zu kürzen, halte ich für absolut nicht tragbar.
ÖVP und Neos sind im Gegensatz zur SPÖ prinzipiell gegen neue Steuern oder Steuererhöhungen. Wo sehen Sie hier einen realpolitisch möglichen Kompromiss?
Schwer zu sagen. Die Zahlen des Fiskalrats sehen eine Konsolidierung von fünf bis sechs Milliarden Euro für die nächsten zwei Jahre vor. Wir haben eine erfolgreiche Budgetkonsolidierung dieser Größenordnung nach der Finanzkrise 2012/13 oder dem EU-Beitritt 1996/97 gehabt. Das wurde immer mit einem Mix aus höheren Einnahmen und geringeren Ausgaben gelöst. Ich nehme an, die Regierungsparteien werden sich rasch davon verabschieden, dass nur einnahmen- oder nur ausgabenseitig etwas passieren kann. Das sind Wahlkampffloskeln.
Glauben Sie, dass auch vermögensbezogene Steuern kommen werden?
Ich hoffe es aus Gerechtigkeitsgründen und bin mir ziemlich sicher, dass etwas aus dieser Richtung kommen wird.
Der gebürtige Schwede Markus Marterbauer wechselt nach seiner Lehrtätigkeit als Universitätsassistent am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik der WU Wien an das Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Seit 2011 leitet er die Abteilung der Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien.
Arbeiterkammer (AK) ist die gesetzliche Interessenvertretung aller Arbeitnehmer in Österreich. Die Arbeiterkammerumlage (0,5 % des Bruttogehalts), wird als Teil des Sozialversicherungsbeitrages den Arbeitnehmern automatisch abgezogen.
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