1000 Euro "Hintern-hoch-Prämie" für Arbeitslose: Bringt das was?

Die 1000 Euro seien das bisschen Zuckerbrot, das neben der staatlichen Peitsche nötig sei, sagt der Spiegel. Die Bild nennt die Prämie gleich „Arsch-hoch-Prämie“ und schreibt: „Die spinnen! 95 Prozent der Leser lehnen sie ab.“ Und im Handelsblatt zeigt man sich ungläubig – die Neiddebatte, die der Joblosen-Bonus ausgelöst hat, sei völlig unverständlich.
Deutschland ist im Vorwahlkampf, und da werden wieder altbekannte Feindbilder bedient. Derzeit streitet man über die Arbeitslosen: Die Ampelregierung plant, ab 2025 jedem Langzeitjoblosen, der einen Job antritt und den auch ein Jahr behält, mit 1.000 Euro zu belohnen. Doch was als kleiner Anreiz gedacht war, aus den Sozialleistungen raus- und in den Arbeitsmarkt reinzukommen, hat sich medial zur Finanzspritze für Dauerfaulenzer entwickelt: „Die bekommen ohnehin schon genug!“, wird in den Straßenumfragen der Medien geschimpft, und immer wieder kommt die Frage: „Wie viel Prämie bekomme ich, wo ich schon jahrelang brav arbeite?“
Systemschwächen
Die Idee eines solchen Bonus ist nicht neu, viele Staaten haben Ähnliches ausprobiert, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Dass die Prämie aber gerade in Deutschland für so viel Missgunst sorgt, hat seine Gründe: Unser großer Nachbar hat nicht nur eine ziemlich instabile Regierung, sondern befindet sich in der Rezession; auch die Prognose für den Arbeitsmarkt kommendes Jahr ist düster. Schon jetzt steigen die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich – im Jahresschnitt waren etwa sechs Prozent der Deutschen ohne Job, in Österreich sind es sieben –, 2025 wird also wohl noch viel mehr Steuergeld für Joblose gebraucht werden.
Die emotionale Debatte überdeckt aber den eigentlichen Kern des Problems. Angedacht wurde die Maßnahme nämlich nicht nur als Anreiz, sondern auch um Schwächen des komplexen Bürgergeld-Systems auszugleichen, mit dem die Ampel das verhasste Hartz-IV-Modell ersetzt hat. Nicht selten ist es so, dass der Staat gerade jene finanziell bestraft, die raus aus dem Bürgergeld und in einen Job wollen – man spricht von der „Niedrigeinkommensfalle“: Bei einem schlecht bezahlten Job plus Bürgergeld bleibt vielen nämlich mehr, als wenn sie Stunden aufstocken oder mehr Gehalt anstreben würden – weil dann eben die Transferleistungen wegfallen.
Als Beispiel dient gern die Alleinerzieherin, die mit 20 Stunden plus Bürgergeld nur 14 Euro weniger verdiene als bei 25 Stunden im selben Job – und weniger Zeit für ihre Kinder hätte. Das als Faulheit zu brandmarken, sei kontraproduktiv, sagen Experten: Im Sozialsystem gebe es „sehr starke Fehlanreize“, sagt Simon Jäger, der am MIT in den USA forscht, zur Zeit. Auch Helmut Mahringer, Arbeitsmarktökonom beim österreichischen WIFO, sieht das Problem nicht im Unwillen der Betroffenen: „Bei den meisten Langzeitarbeitslosen gibt es kein Anreizproblem“, sagt er. Oft bräuchte man eher „Anreize für Firmen, Langzeitarbeitslose anzustellen“. Zudem könnten Betroffene „nicht frei wählen, ob sie eine zumutbare Beschäftigung aufnehmen. Die, die nicht arbeiten wollen, riskieren eine Sperre der Leistungen.“ Die viel größeren Hürden zurück ins Arbeitsleben seien niedrige Qualifikation, höheres Alter und gesundheitliche Probleme. In Österreich werden Anreize mit Lohnkostenzuschüssen gesetzt; die Problematik der „Niedrigeinkommensfalle“ versucht man mit der Kombilohnbeihilfe zu verhindern – ein Zuschuss bei niedrigem Lohn, der zeitlich begrenzt ist.
Druck des Boulevard
In Österreich, sagt Mahringer, habe ein Modell wie der Bonus „keine hohe Priorität“. Ob er in Deutschland je in Kraft tritt, steht aber auch in den Sternen: Nach einigen Ampel-Politikern hat sich nun sogar SPD-Kanzler Olaf Scholz, der den Schritt im Kabinett noch brav mitgetragen hatte, davon distanziert. Die Prämie „nützt vielleicht doch nicht“, sagte er jetzt; dass der Bundestag sie beschließt, ist damit ziemlich utopisch.
Für den Arbeitsmarktforscher Enzo Weber, den Erfinder der Idee, ist das bedauerlich. Er gab der Bild, die am heftigsten gegen die Prämie wetterte, nun ein Interview – und brachte darin ein klassisch-deutsches Sparefroh-Argument: Der Bonus bringe dem klammen deutschen Haushalt nämlich mehr, als er ihn koste. Wer arbeitet, empfängt schließlich keine Sozialleistungen mehr, und er zahlt sogar Lohnsteuern. Pro Fall spare der Staat so „mehr als 25.000 Euro im Jahr“.
Gehört wurde das in der überhitzten Debatte aber kaum mehr.
Österreichs Sicherungssystem für Arbeitslose ist etwas großzügiger als das deutsche. Wer in den vergangenen zwei Jahren rund ein Jahr gearbeitet hat, erhält in Österreich 20 Wochen lang Arbeitslosengeld. Ältere Personen mit mehr Beitragsjahren können unter Umständen bis zu einem Jahr Arbeitslosengeld beziehen, Schulungsteilnehmer sogar bis zu vier Jahre. Arbeitslose erhalten grundsätzlich 55 % ihres letzten Netto-Einkommens, inklusive Familienzuschlägen und Ergänzungsbeträgen sind auch bis zu 80 % möglich.
Und wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft? Dann fällt der Betroffene in die Notstandshilfe, die unter gewissen Voraussetzungen – Bewerbungen, Teilnahme an Schulungen – aber unbegrenzt überwiesen wird. Hier gilt eine Nettoersatzrate von 92 Prozent der Höhe des Arbeitslosengeldes – ein im EU-Vergleich sehr hoher Wert. Alleinstehende erhalten 2024 maximal 1.156 Euro Notstandshilfe. Zusätzlich erlaubt: Eine geringfügige Beschäftigung, die bis zu 518,44 Euro monatlich einbringen darf.
Was könnte die nächste Regierung ändern? Die ÖVP plädiert für ein „degressives“, also anfangs höheres Arbeitslosengeld, das Schritt für Schritt auf unter 50 % der Nettoersatzrate sinkt. Zudem will sie den geringfügigen Zuverdienst einschränken oder abschaffen. Die SPÖ fordert hingegen höheres Arbeitslosengeld, eine Jobgarantie nach einem Jahr Arbeitslosigkeit und eine Inflationsanpassung der Notstandshilfe.
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