Gewessler: "Dieses Unterfangen der ÖVP wäre völlig aussichtslos gewesen"

Die 47-jährige Steirerin Leonore Gewessler im KURIER-Interview über das schlechte Wahlergebnis und ob sie Grünen-Chefin werden will.
KURIER: Sie haben bei der Nationalratswahl 31.244 Vorzugsstimmen bekommen – also die österreichweit viertmeisten und viermal so viele wie Werner Kogler. Wie erklären Sie sich das?
Leonore Gewessler: Ich freue mich natürlich über diesen Zuspruch. Er ist ein Zeichen dafür, dass doch viele Menschen gut finden, was wir in den letzten Jahren weitergebracht haben. Vom Klimaticket über das Plastikpfand bis zum EU-Naturschutzgesetz. Das geht aber nur, wenn man als Team gemeinsam anpackt und auch einen Kapitän hat, der einem den Rücken freihält. Insofern gelten diese Stimmen auch dem ganzen Grünen Regierungsteam.

Obwohl Sie viele Themen mit der ÖVP umsetzen konnten, haben die Grünen 5,6 Prozentpunkte verloren. Warum?
Sie haben recht. Das Wahlergebnis insgesamt ist nicht das, was wir uns erhofft haben. Da gehört sicher dazu, dass es Regierungsparteien in ganz Europa derzeit nicht einfach haben. Und auch das vermeintliche Rennen um Platz eins hat nicht geholfen. Am Ende trägt man in der Politik aber selbst die Verantwortung. Das heißt auch, dass man sich ständig verbessern muss. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Klima und dieses Land starke Grüne brauchen. Jetzt ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir in Zukunft auch wieder die notwendige Stärke dafür bekommen.
Lena Schilling soll Lügen über mehrere Personen verbreitet haben, 21 Zeugen sollten im Prozess gegen sie aussagen. War es ein Fehler, an ihr als Kandidatin festzuhalten?
Der Prozess ist beendet und damit ist das aus der Welt. Lena Schilling ist eine mutige, junge Frau und entschlossene Kämpferin für das Klima. Genau diese Stimmen braucht es in der Politik. Ich bin sehr froh, dass sie nun für uns im Europäischen Parlament sitzt und dort gute Arbeit leistet.
Sehen Sie das Vorzugsstimmen-Ergebnis als Rückenwind, im Frühjahr neue Parteichefin der Grünen zu werden?
Mein Parteichef heißt Werner Kogler. Es gibt jetzt auch wichtigere Dinge. Dieses Land braucht eine stabile Regierung ohne rechte Hetze, der Klimaschutz und der Naturschutz brauchen eine starke Vertretung. Die Grünen stehen bereit, Verantwortung zu übernehmen. Darauf konzentrieren wir uns.
Als Ministerin waren Sie selten angriffig, Sie haben eigentlich nie ein böses Wort über einen anderen gesagt. Werden Sie als Oppositionspolitikerin der kleinsten Parlamentspartei Ihren Stil ändern müssen?
Mir geht es in der Politik darum Österreich zu einem noch schöneren Land zu machen. Und ich bin stolz darauf, dass uns das in den letzten fünf Jahren gelungen ist. Wir sind damit aber nicht fertig – und ich werde in welcher Rolle auch immer weitermachen. Mir geht es darum, das beste Ergebnis zu erzielen. Und daran orientiert sich natürlich auch der Stil.
Die ÖVP schließt eine weitere Zusammenarbeit konkret mit Ihnen aus. Würden Sie sich zurückziehen, um eine türkis-rot-grüne Dreierkoalition zu ermöglichen?
Ich glaube, man sollte diese Ankündigungen noch vor allfälligen Gesprächen nicht allzu ernst nehmen. Es ist aber völlig klar, dass wir Grüne über unser Team selbst entscheiden. Das hat auch Werner Kogler schon unmissverständlich gesagt.
Warum, denken Sie, hat die ÖVP doch keine Nichtigkeitsklage gegen die EU-Renaturierungsverordnung eingebracht?
Diese Entscheidung ist gut und richtig. Dieses Unterfangen wäre nicht nur völlig aussichtslos gewesen, sondern hätte international auch kein gutes Bild von unserem Land abgegeben. Ich denke, wir können stolz darauf sein, dass Österreich einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der Natur geleistet hat. Jetzt geht es um die Umsetzung – da gibt es genug zu tun.
Sie nehmen als scheidende Ministerin noch an der UNO-Biodiversitätskonferenz in Kolumbien und Ende November an der Klimakonferenz in Aserbaidschan teil? Mit welchem Mandat sind Sie dort, ist das nötig, warum machen Sie das?
Der Bundespräsident hat mich mit der Fortführung meiner Amtsgeschäfte beauftragt und das nehme ich natürlich ernst. Die Vertretung unseres Landes bei internationalen Konferenzen ist eine wichtige Aufgabe einer Ministerin. Es ist doch völlig unbestritten, dass diese großen Menschheitsfragen nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden. Dazu kann Österreich einen wichtigen Beitrag leisten – wir fahren als eines der wenigen Länder mit einer fertigen Biodiversitätsstrategie nach Kolumbien. Auch beim Klimaschutz haben wir in den vergangenen Jahren viel aufgeholt.
Das Klimaticket wird 2025 erstmals teurer. Sehen Sie das als problematisch an, schließlich soll das Ticket mehr Menschen vom Auto in die Öffis bringen?
Das Klimaticket bleibt ein unschlagbar günstiges und gutes Angebot. Und es bringt auch weiterhin die Menschen zu den Öffis. Die Zahlen geben uns hier wirklich recht. Es hätte die Teuerung gedämpft, wenn wir die Anpassung noch ein Jahr ausgesetzt hätten. Das wollte der Koalitionspartner nicht. Ich bin aber sicher – das Klimaticket wird genauso beliebt bleiben, wie es ist.
Leonore Gewessler (*1977) wuchs in St. Marein bei Graz auf. Die Umweltaktivistin war Geschäftsführerin von Global 2000 und ist seit 2020 Ministerin für Klima und Energie.
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