Sozialministerin Schumann: "Ambulanzgebühren sind kein Diskussionsthema"

Die Bildergalerie ihrer Vorgänger wie Rudolf Anschober, Wolfgang Mückstein oder Beate Hartinger-Klein hat sie abhängen lassen und durch ein rotes Wand-Regal ersetzt. In Korinna Schumanns Büro lehnt ein Schild, "das ich zufällig gefunden habe und mir gefällt", an der Wand, schräg vis-à-vis ein Schwarm von Fischen "den ich rot angesprüht habe".
Die Wienerin (Jg. 1966) beginnt 1989 im Sozialministerium, 2004-2018 ist sie Vorsitzende des Dienststellenausschusses im Sozialministerium, seit 2013 Mitglied des ÖGB-Vorstands, ab 2018 ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende und Vizepräsidentin des Gewerkschaftsbunds. Ab demselben Jahr Mitglied des Bundesrats, ab 2019 SP-Fraktionsvorsitzende. Präsidentin der Länderkammer im zweiten Halbjahr 2022.
Schumann ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.
KURIER: Sie sind eine der wenigen, die gleichsam als gesetzt galten innerhalb des SPÖ-Regierungsteams. Worauf führen Sie das zurück, außer, dass Sie 1989 begonnen haben hier zu arbeiten?
Korinna Schumann: Es geht nicht um mich als Person, sondern um ein gutes Team, das jetzt wunderbar zusammenarbeitet und versucht, alles umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben.
Sie wurden 2018 Vizepräsidentin des ÖGB. Kritiker sagen, Sie kennen nur das System, waren nie in der Privatwirtschaft gewesen. Gereicht Ihnen das jetzt zum Nachteil?
Nein. 1989 bin ich in dieses Haus gekommen, das heißt, ich bin mit der Sozial-, Arbeitsmarkt -und Gesundheitspolitik beruflich gewachsen. Ich habe die Entwicklungen der Systeme im Bereich Arbeitsmarkt und Gesundheit sehr genau mitverfolgt und mitgedacht. Das gibt mir jetzt ein bisschen eine Rückendeckung für mein Amt.

Klaudia Tanner, Korinna Schumann, Andreas Babler
Dem Ministerium wird nachgesagt, es sei eine rote Bastion. Ist die Beschreibung zutreffend?
Das Ministerium ist eine Bastion von Fachexpertinnen und Fachexperten. Hier gibt es beeindruckendes und umfassendes Wissen, das die Grundlage unseres Sozialstaates bildet.
Wenn man über die SPÖ spricht, dann ist oft über unterschiedliche SPÖs die Rede. Jene des Parteichefs Andreas Babler, jene der Wiener SPÖ, jene rund um Hans Peter Doskozil, die Gewerkschaft, wieder andere hätten gerne Christian Kern oder Gerhard Zeiler an der Spitze der Partei gesehen. Wo verorten Sie sich?
Ich verorte mich jetzt in diesem Regierungsteam, das aus Expertinnen und Experten besteht, das für die Menschen in Österreich etwas weiterbringen will. Ich glaube, wir halten alle wunderbar zusammen. Die Zeiten sind schwierig, nicht nur in Österreich, sondern geopolitisch – und darum geht es. Alle anderen Fragen sind nebensächlich, denn wir brauchen wieder ein Vertrauen in die Politik. Das geht nur, wenn man jetzt einmal gescheiter arbeitet.

Andreas Babler, Hans Peter Doskozil
Sie sind sehr diplomatisch. Seit wann kennen Sie Andreas Babler?
Ich kenne ihn seit er das Bundesratsmandat bekommen hat.
Das Ministerium ist nicht nur groß, es besteht mit Pflege, Gesundheit, Soziales und Konsumentenschutz aus Bereichen, bei denen man gemeinhin nicht viel gewinnen kann, weil überall eklatanter Reformbedarf beherrscht.
Es geht nicht um das Gewinnen. Besonders in diesem Ressort sieht man, dass alle Dinge miteinander zu tun haben und ineinandergreifen, weil kein Teil ohne den anderen besteht.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Gesundheit hängt an der sozialen Frage, dazu gehört der Arbeitsmarkt und der Zugang zu diesem. Es ist ein Kreis, der sich schließt und bedingt.
Das durchschnittliche Pensionsalter bei Frauen liegt in Österreich derzeit 60,8 Jahre. Sie selbst werden nächstes Jahr 60 Jahre alt und sind damit gleichsam eine Ausnahme im Arbeitsleben. Was werden Sie als Ministerin dazu beitragen können, dass die Menschen länger arbeiten?
Wir stehen mitten in einer riesigen Pensionsreform, die aber nicht als solche wahrgenommen wird. Sie dürfen nicht vergessen: Wir heben das Antrittsalter der Frauen relativ bis Ende 2033 auf 65 Jahre an. Da passiert schon eine Menge. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Menschen länger und gesünder in Beschäftigung bleiben.
Menschen gehen zu früh in Pension und sie arbeiten zu wenige Stunden, um im Alter mehr zu haben. Der Trend – auch von Kinderlosen zu Teilzeitarbeit – ist ungebrochen. Das wird sich so auf Dauer nicht ausgehen.
Es ist ganz wichtig, in diesem Bereich zu sensibilisieren, auf das Pensionskonto hinzuweisen, auf das man schauen sollte bereits während man arbeitet.
Das Pensionskonto nutzt nur kaum jemand.
Wir werden in diesem Bereich verstärkt Informationsmaßnahmen setzten. Es ist einfach so: mehr Stunden bringen einfach mehr Einkommen und eine bessere Pensionsleistung. Natürlich ist es besorgniserregend, dass wir 40 Prozent Pensionsunterschied zwischen Frauen und Männern haben. Genau deshalb schaffen wir jetzt die Teilpension.
Von der Sie sich konkret was erhoffen?
Es ist die Chance, ab dem möglichen bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter zu sagen: Ich schaffe drei Tage in der Woche zu arbeiten, weil mir Vollzeit zu viel wäre und nehme einen Teil als Pensionsleistung in Anspruch. Das ist eine Möglichkeit, um Menschen länger im Erwerbsleben zu halten.
Nochmals: Auch viele junge Menschen wollen gar nicht mehr oder länger arbeiten.
Man muss genauer hinschauen. Es gibt Unternehmen, die bieten gar keine Vollzeitstellen an. Und: Wir haben in Österreich 80 .000 Frauen, die würden gerne mehr Stunden arbeiten, können aber nicht, weil die Kinderbetreuung fehlt. Genau deshalb ist der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen, der im Regierungsprogramm verankert ist, so wichtig.

Wie definieren Sie Sozialstaat?
Der Sozialstaat ist die Absicherung für alle Menschen, die nicht so viel im Geldbörsel haben und es sich nicht von ich aus richten können. Der Sozialstaat sichert ab: Im Krankheitsfall, im Falle der Arbeitslosigkeit und im Notfall.
Hat Österreich in manchen Bereichen ein zu großzügig ausgestattetes Sozialwesen?
Das finde ich in keiner Weise. Es ist ganz wichtig, die Sicherheit zu haben und sich darauf verlassen zu können, dass der Staat einen auffängt, ehe man ins Bodenlose abrutscht.
Die türkis-grüne Regierung wollte das degressive Arbeitslosengeld-Modell einführen. Je länger man ohne Job ist, desto weniger Arbeitslosengeld bekommt man. Werden wir dieses Modell früher oder später brauchen?
Das Arbeitslosengeld, wie es jetzt eingerichtet ist, ist schon für viele eine große Herausforderung, Dem degressiven Modell würden wir jetzt, auch wenn wir an das Regierungsprogramm denken, keinen Vorzug geben. Uns ist wichtig, die Arbeitsmarktmittel zu stabilisieren und ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
In den USA und Deutschland reduzieren große Konzerne wie Microsoft und VW gerade die Möglichkeiten des Homeoffice radikal. Wird die Koalition die während Corona geschaffene Regelung überdenken?
Wir haben in Österreich sehr gut daran getan, auf Sozialpartner-Ebene eine Lösung für die Homeoffice -Regelung zu finden. Ich glaube, darum beneiden uns viele. Homeoffice hat Vorteile, das ist ganz klar, wie die Ersparung des Arbeitswegs und natürlich auch gewisse Gefahren, auf die man hinweisen muss.
Zu einem Ihrer großen Arbeitsfelder: Gesundheit. Wir haben ein teures, aber ineffizientes System…
… wir müssen erstmal wieder das Vertrauen in das Gesundheitssystem herstellen.
Was gibt Ihnen Anlass, ins Gesundheitssystem zu vertrauen?
Wir haben eine hervorragende Basis, aber wir haben beispielsweise Probleme bei den Wartezeiten. Die müssen wir in den Griff bekommen, denn das macht den Menschen Sorgen. Darum setzen wir auf den Ausbau der Primärversorgungszentren, die ich lieber Gesundheitszentren nenne, weil sich die Menschen wohl mehr darunter vorstellen können.
Um volle Ambulanzen in den Griff zu bekommen, die Patienten in den niedergelassenen Bereich zu bringen, wird immer wieder über die Einführung der Ambulanzgebühr diskutiert.
Wie man Patientenströme lenken kann, darüber werden wir diskutieren, aber Ambulanzgebühren sind kein Diskussionsthema.
Zuletzt gab es eine Diskussion über Gast-Patienten und große Unterschiede bei den Wartezeiten auf Operationen. Wie werden Sie als Gesundheitsministerin auf die zuständigen Entscheidungsträger einzuwirken versuchen?
Ich werde mit allen Verantwortlichen das Gespräch suchen - mit der Kasse wie mit der Ärztekammer und versuchen, dort anzusetzen, wo wir zielgerichtet Verbesserungen herbeiführen können.
Welches Ziel stecken Sie sich selbst für Ihre ersten 100 Tage?
Der Ausbau der Gesundheitszentren hat jedenfalls oberste Priorität. Zudem der Ausbau der psychischen Gesundheitsleistungen für Kinder und Jugendliche. Dafür ist ein Extrabudget von 50 Millionen Euro vorgesehen. Ein weiterer Schwerpunkt wird Frauengesundheit sein und hier vor allem Frauen in der Menopause. Das ist nicht nur eine Frage der Gesundheit, sondern auch eine Frage für den Arbeitsmarkt.
Denken Sie analog zum Menstruationsurlaub an eigene Regelungen für die Wechseljahre?
Nein, es geht um ein verschwiegenes Thema und darum, dass Frauen sich in Frauengesundheitszentren entsprechende Information holen können sollen, wie sie gut durch diese Lebensphase kommen. Der Anspruch ist: Wie kann ich diese Phase für mich auch als eine Aufbruchsphase sehen und vielleicht auch beruflich nochmals durchstarten oder mich neu erfinden.
Sie verantworten den wichtigen Bereich Pflege. Österreich fehlen bis 2030 mehr als 75.000 Pflegekräfte. Es gibt keine zentrale Stelle, an wen sich zu Pflegende wenden können, zudem ist es uneinheitlich geregelt. Wo können und werden Sie ansetzen?
Die Herausforderung ist groß, deshalb steht ja auch im Regierungsprogramm, dass wir einen One -Stop -Shop brauchen. Und wir brauchen eine ganz intensive Abstimmung mit den Ländern und müssen von Best -Practice -Beispielen lernen. Die Einführung der Community-Nurses war eine gute Regelung. Ich hoffe, sie wird weitergeführt. Das liegt aber jetzt wieder in Länder-Hand.
Wann werden Sie mit den Ländern sprechen?
Im Mai gibt es das Treffen mit den Gesundheitsreferenten, bei dem ich natürlich dabei sein werde.
Können Sie eine Summe im Pflegebereich verraten, die investiert werden wird müssen?
Wir sind jetzt beim Erstellen des Budgets und das passiert unter ganz schwierigen Voraussetzungen, weil wir sparen werden müssen.
Reden wir von zweistellig oder dreistellig Beträgen?
Ich kann mich noch auf keine Zahl festlegen.

ÖGB-Spitzen: Wolfgang Katzian, Korinna Schumann
Perspektivisch gesehen, werden wir nicht nur immer älter, sondern es wird auch immer weniger pflegende Angehörige geben, weil es immer mehr Singles gibt. Wird die Politik auch dieser demografischen Entwicklung Rechnung tragen und über mehr staatliche Einrichtungen wie Pflegeheime oder die Schaffung von Wohnraum für Ältere nachdenken?
Wir brauchen neue und zukunftsgerichtete Modelle, die müssen natürlich finanziert werden, das ist gar keine Frage. Wir müssen die mobile Pflege möglichst weiter ausbauen und zwar auch immer mit dem Fokus darauf, wie es den Beschäftigten geht. Deshalb freue ich mich besonders, dass wir die Beschäftigten in der Pflege in die Schwerarbeitsregelung aufnehmen. Ich glaube, das ist ein langer Wunsch auch der Vertreterinnen aus der Gewerkschaft und eine Chance, dieses Berufsbild zu attraktivieren.
Abseits der Schwerarbeiterregelung: Was kann noch dazu beitragen, dass mehr Menschen einen Pflegeberuf ergreifen?
Der große Personalmangel ist auch eine Frage der Planbarkeit von Beruf und Familie, weil der Beruf weiblich ist. Die Dienstpläne müssen flexibler gestaltet, Verwaltungsaufgaben einfacher gemacht werden.
Wird Künstliche Intelligenz im Pflegebereich schon ausreichend genutzt? In manchen Bereichen könnten auch Roboter zum Einsatz gebracht werden.
Künstliche Intelligenz hat Vor- und Nachteile. Wo die künstliche Intelligenz sicher eingesetzt werden kann zukünftig, das ist in Fragen der Dokumentation von Pflegeleistungen. KI kann überall dort, wo Verwaltung im System erleichtert wird, sehr brauchbar sein. Aber natürlich nur unter Berücksichtigung des Datenschutzes.
Eine Ihrer Vorgängerinnen, FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein, hat die Zusammenführung der Krankenkassen verantwortet, den sie später als „Marketing-Gag“ bezeichnet hat. Werden Sie die ÖGK re-reformieren?
Wir haben im Regierungsprogramm eine Evaluierung der Sozialversicherungsreform verankert. Man muss das System der ÖGK sicher evaluieren.
„Evaluieren“ will diese Regierung so gut wie alles. Unter welcher Prämisse?
Wir evaluieren in einem ersten Schritt alle Maßnahmen, die budgetwirksam sind. Es geht um die Krankenversicherungsbeiträge, gleichzeitig um Abfederungen für die Pensionistinnen und Pensionisten. Gleichzeitig werden wir die Rezeptgebühr einfrieren und einen Deckel auf Arzneimittelkosten schaffen. Ein zusätzlicher wichtiger Punkt wird die Neuregelung der Bildungskarenz. Es fiele mir noch eine Menge ein, aber es gibt auch wirklich viel tun.
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