Das Arbeitsprogramm der Dreierkoalition im Überblick

Das Arbeitsprogramm der Dreierkoalition im Überblick
ÖVP, SPÖ und Neos haben sich auf ein rund 200 Seiten starkes Arbeitsprogramm verständigt, das heute am späten Vormittag präsentiert wurde.

Zusammenfassung

  • ÖVP, SPÖ und Neos einigten sich auf eine Dreierkoalition mit einem Arbeitsprogramm.
  • Das Regierungsprogramm umfasst Budgetkonsolidierung, Asylrechtsverschärfungen, Mietrechtserleichterungen und mehr, mit Fokus auf Konsens und Pragmatismus.
  • Die Ministerposten bleiben vorerst offen, mit innerparteilichen Abstimmungen und einer möglichen Angelobung am kommenden Montag.

ÖVP, SPÖ und Neos haben sich im zweiten Anlauf auf eine Dreierkoalition geeinigt. 

Das teilten die Parteien am Donnerstag in der Früh mit. Das Regierungsprogramm wurde dann um 11 Uhr im Parlament präsentiert. 

Dem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen haben ÖVP-Chef Christian Stocker, SPÖ-Chef Andreas Babler und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger das Programm bereits in einem persönlichen Gespräch vorgestellt, wie die Präsidentschaftskanzlei mitteilte. Van der Bellen werde es nun "sorgfältig prüfen", hieß es.

"Das Richtige tun. Für Österreich"

In dem 211 Seiten starken Programm mit dem Titel: "Jetzt das Richtige tun. Für Österreich", wird "Konsens und Pragmatismus" betont, auf dem die Einigung basiere. So lautet der erste Satz der Präambel: "In Zeiten großer Herausforderungen hat Österreich seine Stärke stets aus dem Konsens der konstruktiven Kräfte gewonnen."

Auch auf die gescheiterten Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ wird Bezug genommen: "Während andere diese Kooperation verweigern und sich ihrer Verantwortung entziehen, stellen wir Einvernehmen und Handlungsfähigkeit her." Jetzt gehe es nicht um parteipolitische Interessen, sondern "um uns alle, um Österreich, um neun Millionen Menschen in unserem Land".

Und weiter: "Mit einer breiten Mehrheit aus Volkspartei, Sozialdemokratie und Neos werden wir diesen Weg neu beschreiten. Gemeinsam erarbeiten wir tragfähige Lösungen und setzen notwendige Reformen mit Überzeugung und Verantwortung um." 

Und diese Reformen wären folgende: 

Arbeit

  • Die ausreichende Finanzierung des AMS soll sichergestellt werden.
     
  • Die Bildungskarenz wird reformiert: Unter anderem sind stärkere Anwesenheitsverpflichtungen und Teilnahmebestätigungen vorgesehen. Es wird keinen direkten Anschluss der Bildungskarenz an die Elternkarenz mehr geben.
     
  • Qualifizierungsoffensive für Arbeitslose und Beschäftigte in den Bereichen ökologische Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung.
     
  • Evaluierung und Weiterentwicklung der Indikatoren für die Rot-Weiß-Rot-Karte
     
  • Mehr Möglichkeiten für den Wechsel von Teilzeit in Richtung Vollzeit.

Soziales

  • Sozialhilfe Neu: Einheitlicher Tagsatz für Alleinstehende und Personen in Haushaltsgemeinschaft. Auszahlung, Vermittlung, Sperre, Schulungen via AMS für Arbeitsfähige. Die finanzielle Zuständigkeit verbleibt bei den Ländern. Integriertes Programm für Arbeit und Deutscherwerb in der Integrationsphase (bis zu drei Jahre).
     
  • Beschäftigung von älteren Menschen: Maßnahmen, um ein längeres gesundes Arbeiten zu ermöglichen. Entwicklung eines Anreiz- und Monitoringsystems für die Beschäftigung von Personen ab 60.
     
  • Erhöhung des Pensionsalters: Ein neuer Mechanismus sieht vor, dass, falls der vorgesehene Budgetpfad für Pensionsausgaben und die geplanten Kostendämpfungen –insbesondere durch eine steigende Beschäftigungsquote und ein dadurch höheres faktisches Pensionsantrittsalter – im Jahr 2030 gesamthaft nicht eingehalten werden können, verpflichtend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Einhaltung dieses Pfades sicherzustellen. Dafür werden die erforderlichen Versicherungsjahre für die Korridorpension ab 1.1.2035 in Halbjahresschritten erhöhen. Anpassung der Korridorpension ab 2026: Korridor 40 auf 42 Versicherungsjahre (auf 3 Jahre aufgeteilt), Korridor 62. auf 63. Lebensjahr (auf 2 Jahre aufgeteilt).
     
  • Kindergrundsicherung: Sie besteht aus zwei Säule. Säule 1 fokussiert auf den Ausbau von Sachleistungen und Infrastruktur, unter anderem eine Kinderbetreuungsoffensive, kostenlose gesunde Mahlzeiten in Bildungseinrichtungen und eine verbesserte Gesundheitsversorgung. Säule 2 beinhaltet die Optimierung bestehender Transferleistungen unter anderem durch die Anpassung bei der Altersstaffel der Familienbeihilfe.

Gesundheit

  • Ausbau der niedergelassenen Versorgung: Ausbau von Primärversorgungseinheiten für Erwachsene und Kindern, Schaffung multidisziplinärer Facharzt-Zentren. Versorgungszentren für chronisch Kranke (z.B. Diabetiker), mehr Erstversorgungsambulanzen zur Entlastung der Spitäler, mehr Angebote für psychische Gesundheit.
     
  • Gesundheitsberufe: Mehr Freiraum für Kernaufgaben (etwa in der Pflege), Durchlässigkeit zwischen Gesundheitsberufen erleichtern, Maßnahmen zur verstärkten Integration von MedUni-Absolventen im öffentlichen Gesundheitssystem. 
     
  • Wahlärzte sollen im Notfall verpflichtet werden, in einem gewissen Ausmaß Patienten zu Kassenkonditionen zu behandeln.
     
  • Kindergesundheitspaket: Weiterentwicklung des Eltern-Kind-Passes als umfassendes Gesundheitsförderungsinstrument für Kinder und Jugendliche bis 18. 
     
  • Digitalisierung: Ausbau und Modernisierung von ELGA, Verpflichtende Umsetzung der Diagnosecodierung. 

Pflege

  • Erarbeitung einer bundesweiten Pflege- und Betreuungsstrategie.
     
  • Prinzip „Daheim vor stationär“ u.a. durch den Ausbau der mobilen und teilstationären Pflege und Tagesbetreuung, Anbindung der Pflegedokumentation an ELGA, Qualitätssicherung und Ausbau der 24-Stunden-Betreuung (u.a. ausreichende Deutschkenntnisse).
     
  • Fachkräfte: Gezielte Anwerbung von Pflegekräften u.a. durch Beschleunigung und Vereinfachung der Abwicklung der Rot-Weiß-Rot-Card und der Nostrifizierung.

Asyl und Migration

  • Stopp der irregulären Migration und des Missbrauchs des Asylsystems: Der Familiennachzug wird „mit sofortiger Wirkung vorübergehend und im Einklang mit Art. 8 EMRK gestoppt“. 
     
  • Nutzung der neuen Möglichkeiten zur Bewegungsbeschränkungen und Haft - zum Beispiel durch Zuweisungen von Asylwerberinnen zu einem geographischen Gebiet, der Beschränkung der Bewegungsfreiheit. 
     
  • Der Familiennachzug soll neu geregelt werden. Dazu gehört, dass bei Hochzeiten der Nachzug erst ab dem vollendeten 21. Lebensjahr und nicht ab dem 18. möglich ist. Und: Bei Minderjährigen soll die Altersfeststellung verpflichtend mit medizinischen Verfahren gemacht werden. 
     
  • Bei Asylverfahren sollen standardisiert Audio-Aufnahmen mitlaufen, um die Verfahren transparenter und schneller abzuwickeln. 
     
  • Mehr Kapazitäten bei Haft- und Schubhaftinfrastruktur
     
  • Eine zweiter Aufnahme zusätzlicher Asylwerber bei der Verteilung (relocation, resettlement), so lange der EU-Aussengrenzschutz nicht funktioniert. 
     
  • Ausschluss- und Aberkennungsgründe für Asyl sollen forciert werden. 
     
  • Mehr Personal für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
     
  • Steigerung der Effizienz bei Außerlandesbringungen.
     
  • Neue Grundversorgung: Volle Sozialleistungen erst nach einer Wartefrist von bis zu drei Jahren. 

Bildung        

  • Ausrollung der täglichen Bewegungseinheit.
     
  • Ausbau der Ganztagsschulen mit dem Ziel, ausreichend wohnortnahe aber freiwillige Angebote zu schaffen.
     
  • Verbindlichkeit in der Elternarbeit, Mitwirkungspflicht, mit stufenweisen Sanktionsmechanismen.
     
  • Ausbau der Kindergärten mit erstmals bundesweiten Qualitätsstandards und Stufenplan zur Senkung der Gruppengröße;  Garantie auf Gruppenplatz ganztägig und ganzjährig.
     
  • Rasche Einführung des zweiten verpflichtenden Kindergartenjahres. 
     
  • Die Einführung eines digitalen Bildungspasses, der die Bildungslaufbahn jedes Kindes darstellt.
     
  • Sprachstandserhebung zu Beginn des vorletzten Kindergartenjahres, bei Mängeln Pflicht zur 30 Stunden Sprachförderung. 
     
  • Weiterentwicklung der Deutschförderklassen sowie verpflichtender Besuch einer um Sprachfördermaßnahmen erweiterten Sommerschule.
     
  • Orientierungsklassen für Migranten. 
     
  • Modellregionen für die Gemeinsame Schule der 10- bis 12- bzw. 14-Jährigen. Diese Pilotprojekte sollen wissenschaftlich begleitet werden

Außenpolitik und EU: 

  • Klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralität bei gleichzeitiger Zusammenarbeit und Solidarität innerhalb der EU.
     
  • Fortsetzung des Engagements bei Auslandseinsätzen.
     
  • Kandidatur für den UN-Sicherheitsrat 2027/28, den OSZE-Vorsitz und den UN-Menschenrechtsrat.
     
  • Klares Bekenntnis zu weiterhin engen bilateralen Beziehungen mit Israel.
     
  • Unterstützung der Westbalkanstaaten bei ihren Beitrittsbemühen zur EU, aber Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. 
     
  • Überprüfung des gesamten EU-Rechtsbestandes im Sinne einer Entbürokratisierung, Durchforstung des des EU-Förderwesens.
     
  • Klarer Fokus der EU-Politik auf die Bekämpfung der irregulären Migration.

Justiz & Verfassung

  • Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft als eigenes Kontrollorgan mit Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften. 
     
  • Social Media Plattformen sollen stärker in die Pflicht genommen und die „Rechtsdurchsetzung“ im digitalen Raum gestärkt werden.
     
  • Das gesetzliche Alter für die Eheschließung soll von 16 auf 18 Jahre erhöht werden, Cousins und Cousinen sollen nicht mehr heiraten dürfen.
     
  • Im Scheidungsrecht soll ein Unterhalt künftig unabhängig vom Verschuldensprinzip geregelt werden. Plus: Keine gemeinsame Obsorge mehr bei rechtskräftig festgestellten Fällen von familiärer Gewalt oder Missbrauch. 
     
  • Reform der Strafprozessordnung mit Blick auf Strafrecht und Strafprozessrecht. So soll „Qualität und Effektivität von Korruptionsermittlungen“ gestärkt und das System des Rechtsschutzbeauftragten verbessert werden. 
     
  • In der IT-Forensik und bei den Strafverfolgungsbehörden sollen die Kapazitäten gestärkt werden. 
     
  • Die Justizwache soll attraktiviert, die Kapazitäten in den Justizanstalten ausgebaut werden. Um die Justizanstalten zu entlasten, soll die Fußfessel ausgeweitet werden. 
     
  • Das Sexualstrafrecht soll verschärft werden, hinzu kommt ein Verbot von unerwünschten „Dick Pics“. 
     
  • Verschärft werden sollen auch Tatbestände im Terrorismus- und Extremismusbereich
     
  • Großverfahren sollen evaluiert und Maßnahmen für einen „effektiven Ressourceneinsatz“ abgeleitet werden. 
     
  • Auch im Zivilrecht sollen Verfahren beschleunigt werden, dazu gehören u.a. Maßnahmen gegen sogenannte SLAPP-Klagen und missbräuchliche Klagen, mit denen Whistleblower oder Opfer von sexueller Gewalt eingeschüchtert werden. 

Wohnen

  • Mietpreise:  Kategoriemieten, Richtwertmieten und Mieten in gemeinnützigen Wohnbauten dürfen heuer gar nicht mehr erhöht werden, im kommenden Jahr ist ein Anstieg um maximal ein Prozent erlaubt und 2027 höchstens um zwei Prozent. Ab 2028 gilt dann im „gesamten Wohnbereich“ eine Begrenzung von Mietsteigerungen auf maximal drei Prozent. Bei einer Inflation über drei Prozent sollen Erhöhungen dann gebremst werden und nur zur Hälfte für die Mieter anfallen. 
     
  • Die Mindestdauer der Befristung bei Mietverträgen soll von drei auf fünf Jahre erhöht werden.
     
  • Der Lagezuschlag soll unter die Lupe genommen werden, um einen leicht nachvollziehbaren transparenten Zugang zur Berechnung“ zu gewährleisten.

Energie

  • Geothermie-Bundesstrategie (Erdwärme) inkl. Schaffung risikobasierter Förderinstrumente wenn Bohrung nicht funktioniert.
     
  • Mehr Förderung: Erhöhung der energetischen Sanierung im Gebäudesektor durch Gebäuderenovierung und Heizungsumstellung.
     
  • Ausbau Ökostrom: Um 100 Prozent des steigenden inländischen Stromverbrauchs (national bilanziell) durch erneuerbare Quellen decken zu können, setzt die Bundesregierung auf den Ausbau heimischer Energieträger (PV, Wind, Wasserkraft, Biomasse).
     
  • Leuchtturm-Gesetze: EABG (Erneuerbaren Ausbau Beschleunigung), ElWG (Strom-Wirtschaft) und EGG (Grüngasgesetz).
     
  • Fachkräfte-Offensive für Energiewende. 

Weitere Details

  • Am Aufbauplan für das Bundesheer wird festgehalten, ebenso an der Teilnahme von Sky Shield. 
     
  • Der ORF-Beitrag soll bis 2029 nicht erhöht werden. 
     
  • Frauenhygiene- und Verhütungsartikel sollen von der Umsatzsteuer befreit werden.
     
  • Das Budget soll wie angekündigt entlang der EU-Fiskalregeln konsolidiert werden, Ziel ist die Verhinderung eines Defizitverfahrens. Angesichts der "aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen" plane die neue Bundesregierung das Budget über die nächsten sieben Jahre zu konsolidieren. 
     
  • Auch soll rasch ein Doppelbudget und ein neuer Bundesfinanzrahmen beschlossen werden. Die Planungen sehen wie bereits angekündigt ein Maßnahmenpaket für das Jahr 2025 von mehr als 6,3 Mrd. Euro und für das Jahr 2026 von 8,7 Mrd. Euro vor.

Ministerposten noch nicht geklärt

Weiter offen bleiben dürfte vorerst, wer welches Ministeramt bekleiden wird. Die Ministerposten müssen in den kommenden Tagen erst innerparteilich fixiert werden. Für die Nominierungen befassen die Parteien ihre jeweiligen Gremien. 

Insbesondere bei der SPÖ dürfte diesbezüglich noch einiges an Gesprächsbedarf vorhanden sein, gibt es doch zwischen SPÖ-Chef Andreas Babler und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Auffassungsunterschiede, was etwa die Besetzung des Finanzministeriums betrifft.

Angelobung am Montag

Als möglicher Angelobungstermin der neuen Bundesregierung gilt weiterhin der kommende Montag. Voraussetzung dafür ist, dass die Partei-Gremien grünes Licht für den Koalitionspakt geben. 

Die größte innerparteiliche Hürde müssen dabei die Neos nehmen, entscheidet bei den Pinken doch in letzter Instanz eine Mitgliederversammlung am Sonntag. Für die Annahme der Koalitionsvereinbarung ist dabei eine Zweidrittelmehrheit nötig.

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