Denn anders als vielfach angenommen sind die bestehenden Ausbildungskapazitäten alles andere als ausgelastet. Im Jahr 2022 gab es bundesweit 9.501 Plätze im ersten Ausbildungsjahr für Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegefach- und Pflegeassistenten. Belegt waren davon aber nur 6.301.
„Dennoch kommt es vereinzelt auch vor, dass an manchen Ausbildungsstandorten Interessierte weggeschickt werden“, schildert die Expertin. „Nötig wären eine bessere regionale Abstimmung und mehr berufsbegleitende Ausbildungsangebote.“
Mehr mobile Pflege
Deutlich dämpfen ließe sich der Personalbedarf, wenn mehr Menschen zu Hause statt im Pflegeheim betreut würden. Hier könne man sehr wohl seitens der Politik steuernd eingreifen, ist Anselm überzeugt. „Die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen, dass das Aufteilungsverhältnis von mobiler und stationärer Pflege nicht gottgegeben ist“, sagt die Hilfswerk-Chefin.
So habe NÖ die bundesweit höchste Versorgungsdichte bei der mobilen Pflege. In der benachbarten Steiermark liege der Schwerpunkt hingegen klar auf den Pflegeheimen. Es gebe keinen Unterschied in der Bevölkerungsstruktur, der dies erklären würde.
Laut Anselm sollte sich Österreich an Ländern wie Dänemark orientieren, wo Zwischenformen wie spezielle Senioren- und Pflegewohnungen, Mobilitätsdienste oder die Heimhilfe sehr stark ausgebaut wurden. „Pflegeheime werden hingegen dort seit 1987 keine mehr errichtet. Auch in Österreich würden derartige Angebote helfen zu verhindern, dass Menschen, bei denen es noch nicht notwendig ist, ins Pflegeheim kommen.“
Zu den Ineffizienzen, die beseitigt gehören, zählen laut Anselm auch die hohen Hürden, die ausländische Pflegekräfte, die nach Österreich geholt werden, überwinden müssen. „Zwar wurden mit dem zweiten Pflegepaket der Regierung Verbesserungen in Aussicht gestellt, die Maßnahmen zur rascheren Anerkennung der Ausbildung aus dem Heimatland müssen aber erst in die Umsetzung kommen“, sagt die Expertin.
Bürokratie
Und auch wer bereits im Pflegeberuf tätig ist, müsse sich mit unnötigen bürokratischen Schikanen herumschlagen.
Als Beispiel nennt Anselm das komplizierte Prozedere bei der Verordnung von Heilbehelfen, wie etwa Inkontinenz-Materialien. Zwar sei seit einigen Jahren Pflegekräften die Weiterverordnung und seit 2023 auch die Erstverordnung solcher Produkte rechtlich erlaubt, der notwendige Prozess mit der ÖGK, um dies tatsächlich zu ermöglichen, sei aber gerade erst in die Gänge gekommen. „Somit muss die Pflege derzeit immer noch den Arzt bitten, die nötige Verschreibung durchzuführen.“
Für Kritik sorgt auch, dass es noch sehr kompliziert ist, die nötige Registrierung und Schulung durchzuführen.
Bleibt noch ein Thema, das die Pflege deutlich entlasten würde, aber trotz aller Beteuerungen in der Praxis immer noch sehr vernachlässigt wird: die Prävention. Es gebe laut Anselm viele Möglichkeiten, um dafür zu sorgen, dass ältere Menschen trotz gesundheitlicher Einschränkungen möglichst wenig Pflege benötigen.
Wichtig wäre auch die Verhinderung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. „Aber nicht einmal eine Dekubitus-Matratze gegen Wundliegen wird zur Vorsorge erstattet“, so Anselm. „Man bekommt sie erst, wenn man bereits Anzeichen von Wundliegen nachweisen kann.“
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