Drexler: "Das Klima zwischen ÖVP und SPÖ ist vergiftet"
Christopher Drexler muss wenige Wochen nach der Nationalratswahl im September den Landeshauptmannsessel in der Steiermark verteidigen. In Wien wünscht er sich eine Koalition mit der SPÖ.
KURIER: In Salzburg ist heute, Sonntag, Stichwahl. Es könnte sein, dass die nächste Landeshauptstadt eine KPÖ-Führung erhält. In der Steiermark kennen Sie mit Graz diese Entwicklung. Wie ist es möglich, dass die KPÖ in so eine Position gekommen ist?
Christopher Drexler: Die KPÖ hat es in Graz schon länger verstanden, sich als Anti-Establishment-Partei zu positionieren und den historischen Schatten der Vergangenheit im Nebel der Geschichte verschwinden zu lassen. Das ist ihr nun auch in Salzburg gelungen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Ihnen als ÖVP-Landeshauptmann und der Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr?
Natürlich muss ich als Landeshauptmann mit der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt zusammenarbeiten. Das tue ich auch im Interesse der Grazerinnen und Grazer und im Interesse einer guten Fortentwicklung. Dass das nicht immer einfach ist, gestehe ich sofort. Ich sehe vor allem, dass die Regierungskonstellation in Graz nicht zu den entscheidungsfreudigsten Institutionen in Österreich gehört.
Gibt es da ein konkretes Beispiel dafür?
Ich warte seit mittlerweile mehr als zwei Jahren auf eine definitive Antwort, wie die Landeshauptstadt Graz in der schwelenden Stadiondiskussion, ob es eines oder zwei Stadien geben soll, zu tun gedenkt. Die Merkur-Arena in Liebenau gehört zu 100 Prozent der Stadt Graz. Es gibt eine große Diskussion zwischen den beiden Grazer Fußballklubs, aber es gibt keine Entscheidung der Stadt Graz. Es wäre leichter für alle Beteiligten, wenn man zumindest endlich wüsste, was die Stadt in dieser Angelegenheit will.
Wie entwickelt sich Ihrer Meinung nach die Landeshauptstadt unter der Führung der KPÖ-Stadtchefin?
Es gibt auf jeden Fall weniger Dynamik in der Entwicklung. Ich sehe die Gefahr, dass wir in Graz ziemlich viel Stillstand erleben. Und dass sich die KPÖ nur in einer moderierenden Rolle sieht und die grüne Vizebürgermeisterin die Politik gestaltet.
Bleiben wir gleich bei Grün. Im Bund wird im September gewählt und niemand kann derzeit voraussagen, welche Koalition sich danach finden wird. Sie regieren in der Steiermark mit der SPÖ. Würden Sie sich auch im Bund Schwarz-Rot wünschen, wenn nötig noch mit einer dritten Partei?
Ich bin geprägt von der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der SPÖ, die wir in der Steiermark erleben. Das war nicht immer so, wir haben auch hier konfliktreichere Tage erlebt. Aber seit Hermann Schützenhöfer und Franz Voves die Reformpartnerschaft begründet haben, gibt es eine gute Zusammenarbeit. Ich bin auch überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen Anton Lang und mir mindestens so vertrauensvoll ist, wie jene von Schützenhöfer und Voves.
Kann das auch auf den Bund umgelegt werden?
Ich glaube, dass bürgerlich-sozialdemokratische oder sozialdemokratische-bürgerliche Koalitionen eine große Gestaltungskraft entwickeln können. Es braucht nur einen wirklichen Neuanfang der Beziehungen auf Bundesebene.
Warum braucht es da einen Neuanfang?
Weil ich glaube, dass das Klima zwischen ÖVP und SPÖ wahrscheinlich seit dem 4. Februar 2000 (Anm.: Erste schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel) belastet und vergiftet ist. Mit Aufs und Abs. Es gab sehr viel Misstrauen selbst in der Zeit, in der man gemeinsame Regierungen zwischen 2006 und 2017 gebildet hat. Meiner Meinung nach hätte so ein Neubeginn eine große Chance.
Sehen Sie überhaupt in diesen beiden Parteien Kräfte, die dieses Misstrauen überwinden können?
Absolut. Zu allerst die Landeshauptleute dieser beiden Parteien. Der Kärntner SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser und ich haben etwa eine sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit. Da gibt es vielmehr an Verbindung, als uns manche glauben lassen wollen.
Zur FPÖ: Sie sehen Herbert Kickl außerhalb eines Denkmusters für Koalitionen. Muss man da trennen zwischen Kickl und der FPÖ?
Natürlich gibt es mit den Freiheitlichen Überlappungen. Und ich bemühe mich in der Steiermark auch um ein gutes Gesprächsklima mit der FPÖ. Auf persönlicher Ebene gibt es da überhaupt kein Problem. Ich sehe nur, dass Herbert Kickl ganz bewusst die FPÖ in eine Situation führt, wo sie möglichst an keiner Koalition im Bund teilnehmen kann.
Finden Sie es auch in Ordnung, dass Ihr Kanzler Karl Nehammer da eine strikte Linie zu Kickl zieht?
Absolut.
Wie unumstritten ist Kanzler Karl Nehammer in der Volkspartei?
Ich glaube, er ist absolut unumstritten.
Aber so rund um Weihnachten und vor der Österreich-Rede in Wels tauchten immer wieder Debatten auf, ob nicht jemand anderer an der Spitze für die Volkspartei besser wäre.
Ich kann mich an keine Debatten erinnern. Ich kümmere mich aber auch hauptsächlich darum, dass die Interessen der Steiermark gewahrt sind. Jedes Scharmützel, das in irgendwelchen Wiener Politzirkeln stattfindet, interessiert mich nicht.
Das Misstrauen, das Sie angesprochen haben, könnte vielleicht leichter überwunden werden, wenn der politische Umgangston auf Bundesebene besser wäre. Wundern Sie sich nicht oft, wie die Parteien in Wien miteinander umgehen?
Wir in der Steiermark pflegen einen ganz besonderen Stil der steirischen Zusammenarbeit. Wir haben eine Landesregierung, die nicht nur arbeitet, sondern wirklich zusammenarbeitet. Wir haben ein Vertrauensverhältnis zwischen den Regierungspartnern und grosso modo ein ordentliches Verhältnis zwischen Regierung und Opposition. Das unterscheidet uns von der Bundesebene, weil dort ein politischer Stil Einzug gehalten hat, der nur von schrillen Tönen lebt, vom täglichen Skandal, von der täglichen Empörung und der täglichen Dokumentation der wechselseitigen Abneigung. Das muss sich ändern. Es braucht wieder politische Kultur auf Bundesebene.
Es ist das letzte Jahr der türkis-grünen Bundesregierung. Zuletzt wurde doch noch einiges beschlossen, vor allem rund um das Thema Wohnen. Wie beurteilen Sie diese Arbeit in Wien?
Es ist ein gutes Signal der Regierung, dass mit dem zuletzt präsentierten Wohnbau- und Eigentumspaket ein sehr kräftiges Lebenszeichen abgegeben worden ist. Ich glaube auch, dass die Bundesregierung besser arbeitet, als es gemeinhin kolportiert wird. Ob dennoch diese Form der Zusammenarbeit – jenseits jeder Form der mathematischen Möglichkeit – von langjähriger Dauerfestigkeit ist, das wage ich zu bezweifeln.
Warum?
Weil ich zum Beispiel bei für die Steiermark wesentlichen Themen eine maximale Unbeweglichkeit der Grünen sehe. Da gibt es etwa die Diskussion über den Ausbau der Pyhrnautobahn im Süden von Graz. Da hat die Landesregierung bei der TU Graz eine Studie in Auftrag gegeben, die besagt, dass diese Autobahn zu 103 Prozent ausgelastet ist. Wenn ein Kochtopf zu 103 Prozent angefüllt ist, da braucht das Wasser nicht einmal kochen, dass es übergeht. Übergehen heißt im Straßenverkehr, dass die Autofahrer auf das niederrangige Straßennetz in den Ortschaften ausweichen. Das wollen wir nicht.
Der Ausbau ist nicht möglich?
Es ist eine klare steirische Forderung, dass die Pyhrnautobahn – wie auch schon geplant – dreispurig ausgebaut wird. Die grüne Infrastrukturministerin legt ein absolutes Veto ein. Ich habe gar nicht gewusst, dass die Grünen so wissenschaftsfeindlich sind, dass sie solche Studien ignorieren, einfach nur aus ideologischen Gründen. Bei solchen Dingen sehe ich ein nachhaltiges Problem für diese Regierungskoalition.
Da hilft auch nicht, dass der grüne Vizekanzler Werner Kogler ein Steirer ist?
Er ist ein klasser Bursch. Aber auch Leonore Gewessler ist in der Steiermark geboren. Das allein hilft mir nichts. Es geht um so etwas wie pragmatische Vernunft und die scheint manchen der Grünen abhandengekommen zu sein.
Sie haben diese Woche eine Steiermarkrede gehalten und dabei ein Thema aufgegriffen, dem sich zuletzt auch Innenminister Gerhard Karner intensiv gewidmet hat: der steigenden Jugendkriminalität. Ist das so ein großes Problem geworden? Sehen Sie das eine Fehlentwicklung?
Sehr, sehr viele Menschen sehen da eine Fehlentwicklung. Sehr, sehr viele Menschen waren auch fassungslos ob der Ereignisse und Verbrechen, über die wir in den vergangenen Wochen erfahren haben. Wenn Kinder, Mädchen über einen längeren Zeitraum unter Drogen, unter Alkohol gesetzt und auch noch missbraucht und vergewaltigt werden, die Täter auch Minderjährige sind, dann erwartet man sich eine klare Reaktion des Rechtsstaats und der Rechtsordnung. Man erwartet sich nicht, dass praktisch alle Beteiligten auf freiem Fuß bleiben. Hier ist die Gesellschaft gefordert. Weil ich glaube, wenn die Rechtsordnung nicht mit Klarheit reagiert, werden die Verwerfungen in der Gesellschaft noch größer.
Geht es da um die Senkung der Strafmündigkeit?
Ich weiß nicht, ob so eine Senkung der Strafmündigkeit die Lösung ist, aber es muss zumindest darüber diskutiert werden können, wenn es in der Schweiz ein Strafmündigkeitsalter von 10 Jahren gibt. Vor allem aber ist ein Gutteil der mutmaßlichen Täter ohnehin bereits über 14. Wenn ich mir anschaue, was es alles an Untersuchungshaftbegründungen in der letzten Zeit gegeben hat, und hier bleiben trotz dieser neuen Intensität an Jugendverbrechen alle auf freiem Fuß, dann muss darüber geredet werden.
Wie soll das passieren?
Da gehören alle an einen Tisch, vom Kinderpsychiater bis zur Polizei, vom Staatsanwalt bis zu Richtern, von der Schulbehörde zur Jugendanwaltschaft. Alle diese Expertinnen und Experten werde ich jetzt in der Steiermark an einen Tisch holen, um Ratschläge einzuholen, die an die Bundesregierung gerichtet werden könnten. Einfach darauf zu hoffen, dass sich das wieder beruhigt, ist zu wenig. Ich erlebe da ja überhaupt eine abgetauchte Justizministerin. Das halte ich in einer Zeit, wo so Unfassbares passiert, für gefährlich.
Wobei es immer die Kritik an der Politik gibt, dass es hier wieder einmal um Anlassgesetzgebung geht.
Anlass ist Singular und in diesem Fall wäre es eine Anlässegesetzgebung. Zweitens gibt es Anlässe, die so dramatisch sind, dass sie natürlich die Gesetzgebung zu Änderungen motivieren muss. Wenn man sich anschaut, was sich tagtäglich in unserer Umgebung tut, dann sind wir gefordert, etwas zu unternehmen. Wenn man sich anschaut, was sich tagtäglich in unserer Umgebung tut, dann sind wir gefordert, etwas zu unternehmen. Und dann lasse ich mir das nicht als Anlassgesetzgebung diskreditieren.
Sie haben heuer Ihre erste Landtagswahl als Landeshauptmann und Spitzenkandidat. Das wird knapp nach der Nationalratswahl der Fall sein. Ist das für sie ungünstig oder doch günstig?
Bei Licht betrachtet sind alle Umfeldbedingungen für meine erste Landtagswahl als Spitzenkandidat ungünstig. So naiv bin ich nicht, dass ich das nicht sehen würde. Aber ich möchte bis zum letzten Tag der Legislaturperiode für die Steiermark kämpfen, gut mit meinem Regierungspartner zusammenarbeiten sowie mit Kompetenz und Entschlossenheit zu beweisen, dass ich auch für die kommenden fünf Jahren geeignet bin, dieses Land zu führen. Das ist der Weg, den ich bis zur Landtagswahl, die wahrscheinlich Ende November stattfinden wird, gehen werde.
Wie sehen Sie da die unterschiedlichen Umfrageergebnisse, die rund um diese Wahl bereits publiziert worden sind?
Es gibt geradezu einen Wettbewerb der Umfragen. Wenn ich alle zusammenfasse – einschließlich unserer eigenen, wo wir vorne sind –, dann sieht man, dass es einen Dreikampf geben wird. Wir haben eine Situation, die wir schon 2015 hatten, nämlich drei starke Parteien an der Spitze. Es wird ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen, das ist mir völlig klar. Ich möchte jede Minute dafür nützen, zu beweisen, dass ich für die Steiermark kämpfe und die Führungsrolle bei uns in guter Hand ist. Mein Ziel ist es, als Erster die Ziellinie zu überschreiten. Selbst wenn ich nur um ein Nasenspitzerl vorne bin.
Der 53-jährige Grazer ist seit seiner Schulzeit politisch aktiv. In den Landtag der Steiermark kam er für die ÖVP im Jahr 2000, drei Jahre später wurde er bereits Klubobmann. 2014 wurde er Landesrat, am 4. Juli 2022 wurde er zum Landeshauptmann gewählt, als Nachfolger von Hermann Schützenhöfer. Bei der Landtagswahl im November wird er erstmals als Spitzenkandidat der steirischen ÖVP ins Rennen gehen.
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