Karner über Tour von FPÖ-Chef Kickl: "Das ist erbärmlich“
In einem Binnenland wie Österreich muss die Zahl der illegalen Migranten auf null drehen, sagt Gerhard Karner im KURIER-Interview. Und er spricht darüber, wie man legal nach Österreich kommt und was ein DNA-Test mit einem Planquadrat gemein hat.
KURIER: Die Zahl der Asylanträge ist weiter rückläufig, lag im April bei 2.251. Erkennen Sie einen Trend oder werden die Zahlen wieder steigen?
Gerhard Karner: Die wichtigste Zahl ist die der illegalen Grenzübertritte. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Asylanträge sinken. Im Burgenland gab es 2022 von Jänner bis April 12.300 illegale Grenzübertritte, heuer waren es im Vergleichszeitraum 255.
Das führen Sie nur auf Grenzkontrollen zurück?
Das führen wir auf ein Bündel an Maßnahmen zurück, das wir ergriffen haben. Schlepper machen einen Bogen um Österreich, weil sie festgenommen werden. Wenn Schlepper gestört werden, dann ändern sie die Routen. Am Ende des Tages ist das aber nicht zufriedenstellend, weshalb wir für eine gesamteuropäische Verschärfung kämpfen.
In Österreich wurden heuer bisher 9.173 Asylanträge gestellt. Das sind 33 Prozent weniger als im ersten Jahresdrittel 2023. 4.840 Anträge stammen von Minderjährigen, 5.671 Asylanträge wurden von Syrern gestellt, 933 von Menschen aus Afghanistan.
811Einreisen wurden im April im Zuge der Familienzusammenführung beantragt. Das sind – laut Statistik des Innenministeriums – um 1.374 weniger als beispielsweise im Jänner.
In Europa gab es bis Ende April mit 332.500 Asylanträgen fast gleich viele Ansuchen wie im Vorjahr.
Sie kämpfen mit einem Dutzend anderer EU-Staaten dafür, Asylzentren in Drittstaaten zu errichten. Ist es nicht ein Armutszeugnis der EU, dass Staaten Geld dafür bekommen, Migranten aufzunehmen, weil es die EU-Staaten selbst nicht und nicht zuwege bringen?
Faktum ist, dass das derzeitige System völlig überfordert ist. Der Schutz der EU-Außengrenzen funktioniert nicht und einzelne EU-Länder sind besonders davon betroffen. Österreich war bei den Anträgen pro Kopf der Bevölkerung meist Nummer zwei und das, obwohl wir ein Binnenland sind. Jetzt sind wir – positiv – auf den 6. Platz zurückgefallen, doch wir brauchen neue Modelle.
Mit neuen Modellen meinen Sie jenes, dass der britische Premier Rishi Sunak diese Woche mit Kanzler Karl Nehammer besprochen hat. Großbritannien will Migranten nach Ruanda abschieben. Das geht aber nur, weil die Briten nicht mehr in der EU sind.
Es gibt aber auch das Beispiel der Kooperation zwischen Italien und Albanien oder Dänemark, das sich beim EU-Beitritt eine eigene Regel ausverhandelt hat. Deshalb haben wir mit Dänemark vor eineinhalb Jahren begonnen, an einem Drittstaat-Modell zu arbeiten. Mittlerweile sind es 15 Staaten, die solche Lösungen wollen.
Egal ob die Türkei, der Libanon oder Ruanda: Diese Länder bekommen alle Geld, um Migranten aufzunehmen. Damit begibt sich die EU in eine Abhängigkeit, denn die Bereitschaft, Migranten im Land zu belassen, die muss nicht von Dauer sein ...
Ja, aber es ist die Aufgabe und Verantwortung Europas, auf Augenhöhe mit den Ländern zu kooperieren, damit die Menschen vor Ort gut versorgt werden und sich nicht Schleppern anvertrauen, letztendlich Gefahr laufen, zu ertrinken oder in Lkw zu ersticken. Ruanda zeigt, dass es diese Möglichkeiten gibt.
Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Österreich und Dänemark haben gemeinsam ein Grenzschutzzentrum zwischen Tunesien und Algerien finanziert, um die Ausbildung der Beamten dort sicherzustellen. Durch das sogenannte Verbindungskriterium ist es Österreich im Gegensatz zu Großbritannien aber nicht möglich, allein in einen Drittstaat abzuschieben.
Drittstaaten-Modell, Grenzschutzzentren – was halten Sie künftig für wahrscheinlicher?
Ich bin kein Wahrscheinlichkeitsrechner. Aber ich arbeite hart daran, dass sich Dinge verbessern. Das ist das Wesen der Demokratie, dass man sich Mehrheiten sucht, um Neues möglich zu machen. Der Asyl- und Migrationspakt ist beschlossen, nun geht es an die Umsetzung.
Auch wenn Sie kein Wahrscheinlichkeitsrechner sind: Werden die Gründe für Migration ob kriegerischer Auseinandersetzungen oder des Klimawandels andere?
Die Gründe sind vollkommen unterschiedlich, wie ich aus Diskussionen mit Amtskollegen weiß. Finnland ist von hybrider Kriegsführung durch gesteuerte illegale Migration aus Russland betroffen. Zypern ist betroffen, weil für die Flüchtlinge im Libanon der kürzeste Weg nach Europa über Zypern führt. Österreich ist betroffen, weil das System löchrig ist. Was uns eint ist, dass wir das System verändern und verschärfen müssen.
Die meisten Asyl-Antragssteller in Österreich kommen aus dem Bürgerkriegsland Syrien – gleichzeitig wollen Sie die Menschen nach Syrien abschieben. Ist das nicht zynisch?
Nein, das ist überhaupt nicht zynisch. Es ist pragmatisch, mit anderen Ländern über diese Möglichkeit zu sprechen. Genau das haben wir bei der Konferenz in Zypern getan. Zypern hat beispielsweise Asylanträge aus Syrien für einige Zeit ausgesetzt. Gleichzeitig haben wir eruiert, ob es Regionen in Syrien gibt, die wieder sicher sind. Rund um Damaskus gibt es nämlich solche Regionen. Unsere zypriotischen Kollegen sagen, dass es junge Männer gibt, die in eben diesen Regionen auf Heimaturlaub fahren. Genau deshalb ist es doch legitim und richtig, über Abschiebungen und Rückführungen zu sprechen.
Und junge Frauen oder Kinder aus Syrien haben Sie jetzt absichtlich nicht genannt?
Faktum ist, dass die Mehrheit der syrischen Antragssteller männlich und zwischen 16 und 30 Jahre alt ist. Frauen und Kinder kommen über das Recht des Familiennachzugs zu uns.
Sie wollen mit mehr DNA-Tests sicherstellen, ob es sich bei den Antragsstellern tatsächlich um Familien handelt. Warum spricht sich die ÖVP ausgerechnet jetzt für diese schon etablierte Möglichkeit aus und vor allem, was versprechen Sie sich davon?
Stimmt, die Möglichkeit gab es immer, aber wir haben das Problem, dass Dokumente auch gefälscht werden, die Möglichkeit des Familiennachzugs missbraucht wird. Deshalb erhöhen wir – wie bei einem Planquadrat – die Dichte an Kontrollen. Wir sehen bereits jetzt, dass es deutlich weniger Anträge auf Familiennachzug gibt – zuletzt waren es im April 811 statt knapp 2.200 im Januar.
Haben Sie eine Zahl als Ziel definiert?
Ziel in einem Binnenland wie Österreich muss es sein, dass die Zahl der illegalen Migranten sich auf Null dreht.
Wie skizziert der Innenminister eigentlich den Weg der legalen Migration?
Der geht über die Rot-Weiß-Rot-Karte. Geflüchtete aus der Ukraine sind ebenfalls legal in Österreich.
Themen- und Ortswechsel. In Wien-Favoriten gibt es nach Vorfällen eine Waffenverbotszone. Ihre medienöffentlichen Auftritte vor Ort stehen auch in der Kritik. Wem dienen diese?
Es ist meine Verantwortung als Dienstgeber, den Polizisten vor Ort meine Unterstützung zu zeigen – als Politiker natürlich auch medienöffentlich, zumal so viel darüber berichtet wurde. Es ist wie immer das Bündel an Maßnahmen, das zum Ziel führt. Im Fall von Favoriten ging die Zahl der Straftaten um 60 Prozent zurück.
Derzeit erscheinen laufend Statistiken, die Rechts- wie Linksextremismus, Antisemitismus und andere Radikalisierungstendenzen zum Inhalt haben, die im Steigen begriffen sind. Wie spiegelt sich all das in der Arbeit der Polizei wider?
Rechts- und Linksextremismus sind in letzter Zeit lauter geworden ebenso wie antisemitische Tendenzen seit dem 7. 10. 2023. Islamistischen und linksextremen Antisemitismus gab es wahrscheinlich schon immer, doch er war sehr leise und hat sich kaum artikuliert. Mit dem Kriegsbeginn in Israel hat sich das geändert. Es ist Aufgabe eines Rechtsstaates und einer wehrhaften Demokratie, konsequent einzuschreiten. Das gilt auch für Neue Medien, die ermöglichen, dass derartige Phänomene eine Lautstärke bekommen. Daher müssen wir auch auf diesen Kanälen konsequent sein.
Wie exakt kann die Politik hier dagegenhalten?
Ich darf Sie an das 12-jährige Mädchen erinnern, das von 13- bis 17-Jährigen missbraucht wurde. Diese Burschen haben auch ihre Handys als Waffe benutzt. Das Smartphone als Tatort und Waffe zugleich – das ist ein Phänomen, dem wir uns als Politik und Gesellschaft widmen müssen.
Stichwort Handy: Kommunizieren Sie via Telegram, Signal, Threema?
Ich bevorzuge immer noch das persönliche Gespräch.
Haben Sie eine persönliche Gesprächsebene mit einem Ihrem Vorgänger im Amt – Herbert Kickl?
Gesprächsebene ist zu viel gesagt: Wir grüßen einander im Parlament. Was ich aber erbärmlich finde, ist, dass der FPÖ-Chef seit Freitag auf eine „Gegen das System“-Tour geht. Was soll das? Das System in Österreich ist die Demokratie und ein ordentlicher Rechtsstaat! Wer gegen diese österreichischen Grundwerte hetzt, ist nicht für, sondern gegen die Menschen und gegen unser Land!
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