Asyl: Von Abschiebungen bis zur Residenzpflicht

In der Europäischen Union steigen die Asylanträge im Vergleich zu den Vorjahren – über eine Million Menschen stellte 2023 in der EU einen Erstantrag. In Österreich zeigt sich ein gegenteiliger Trend. Die Asylantragszahlen sind stark rückläufig, belaufen sich derzeit auf rund 2.452 Anträge (März 2024). ÖVP-Innenminister Gerhard Karner führt das insbesondere auf die Maßnahmen gegen das Schlepperwesen zurück. Zudem will Karner – wie der KURIER berichtete – Abschiebungen nach Syrien möglich machen. In Großbritannien werden Migranten möglicherweise ab Juli nach Ruanda abgeschoben. Ob in diese Länder tatsächlich ausgewiesen werden kann, warum sich zeitgleich in Österreich eine Debatte um die sogenannte Wohnsitzauflage entsponnen hat und was die heimische Politik dazu sagt: Der KURIER gibt einen Überblick und Antworten auf die drängendsten Fragen.
Bisher waren Abschiebungen nach Syrien undenkbar. Was ist jetzt anders?
Das Innenministerium beruft sich bei seiner Einschätzung der Lage in Syrien auf den jüngsten Jahresbericht der EU-Asylagentur: Darin heißt es, dass in der syrischen Hauptstadt Damaskus „kein echtes Risiko für Zivilisten“ bestehe. Diskutierbar sei also, meinen die Verfechter von Abschiebungen nach Syrien, zumindest die Rückführung nach Damaskus. In den anderen Regionen und Städten des vom Krieg verwüsteten Landes sieht es anders aus.

Wer lehnt Abschiebungen nach Syrien ab?
Etwa UN-Menschenrechtskommissar, der Österreicher Volker Türk: „Die allgemeinen Bedingungen in Syrien lasen keine sichere, würdige und nachhaltige Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihr Heimatland zu“, schreibt er in einem wenige Wochen alten Bericht. Laut UNO sind es nicht nur Regierungsvertreter oder Behörden, die Rückkehrern das Leben schwer machen, sondern auch die bewaffneten, extrem gewaltbereiten, islamistischen Milizen. Es gibt zahllose Berichte von Folter, willkürlicher Haft, Vergewaltigung, Raub, Erpressung und vom Verschwinden von Rückkehrern.
Wie realistisch ist es also, dass Syrer bald aus Österreich in ihr Heimatland abgeschoben werden?
Die Wahrscheinlichkeit liegt derzeit bei null, zumal Österreich damit gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde.
Darin ist festgehalten, dass niemand in ein Land zurückgewiesen werden darf, wo ihm oder ihr Verfolgung, Haft, Folter oder gar der Tod droht. Vonseiten der EU-Kommission und den allermeisten anderen EU-Staaten gibt es entsprechend wenig Entgegenkommen für Karners Vorschlag.
Zuletzt gab es den Vorschlag einer Residenzpflicht: Nur jenes Bundesland, in dem während des Asylantrags der Wohnsitz liegt, soll die Mindestsicherung auszahlen. Das soll eine faire Aufteilung ermöglichen. Wie steht man in den Parteien dazu?
In Wien, das stark durch die hohe Zahl von Flüchtlingen belastet ist, beschloss die SPÖ gemeinsam mit ihrem pinken Koalitionspartner eine Resolution, wonach der Bund eine solche Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge beschließen möge. „Man hat manchmal den Eindruck, es gibt durchaus den gewünschten Effekt, in Wien Probleme zu verursachen“, wirft Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) der Regierung Untätigkeit in diesem Bereich vor. Wobei der Wiener SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker nicht mit seinen Genossen konform geht und gegen derartige Restriktionen ist.
Und Parteichef Andreas Babler? „Die Wohnsitzauflage kann ein wirksamer Hebel für eine gerechte Verteilung sein, das muss man sich aber rechtlich im Detail anschauen“, betont er. Es brauche dringend auch ein ausreichendes Angebot an Deutschkursen, Kompetenzchecks und Bildungsangebote. Bei der ÖVP ist Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl für eine Wohnsitzauflage, steht damit aber ziemlich allein da. Die Debatte gehe am Kern vorbei, so Integrationsministerin Susanne Raab. Sie hält Wien vor, über höhere Sozialleistungen Flüchtlinge anzuziehen.
Ist eine Wohnsitzauflage rechtlich möglich?
Europarechtler Walter Obwexer bezweifelt dies. Das EU-Recht sehe vor, dass Asylwerber bei der Sozialhilfe wie Inländer behandelt werden müssen, sagt er im ORF.
Ist es „Sozialtourismus“, der dazu führt, dass überproportional viele Flüchtlinge nach Wien kommen?
Anders als in der wesentlich niedrigeren Grundversorgung erhalten Flüchtlinge die Mindestsicherung erst, wenn sie das Asylverfahren positiv abgeschlossen haben. Für Alleinlebende und Alleinerziehende beträgt die Höhe dieser Sozialhilfe 2024 maximal 1.156 Euro. Da die Länder bei den Leistungen für Kinder Spielraum haben, zahlt Wien etwas mehr als andere Bundesländer. Außerdem bekommen privat wohnende subsidiär Schutzberechtigte in der Grundversorgung eine Aufstockung, die sie Asylberechtigten finanziell gleichstellt.

„Man muss das aber immer im Vergleich zu den Lebenskosten sehen“, gibt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich zu bedenken. Studien belegen zwar prinzipiell, dass Sozialleistungen bei der Wohnortwahl eine Rolle spielen. Ebenso aber Arbeitschancen, Betreuungsangebote und der Wohnungsmarkt, betont Wifo-Ökonom Peter Huber.
Wie gehen Wiens Schulen mit dem starken Familiennachzug um?
Im Zuge von Familienzusammenführungen kommen pro Monat durchschnittlich 350 Kinder und Jugendliche nach Wien. Die Bildungseinrichtungen, die zu Beginn des Schuljahres völlig unvorbereitet waren, stellt das vor enorme Herausforderungen. Elternvertreter und Lehrer kritisieren das überlastete Schulsystem. Es stehe nicht genug Personal zur Verfügung, um mitunter traumatisierte Kinder, die die vergangenen Jahre teils in Flüchtlingscamps verbracht haben, Basiskenntnisse zu vermitteln.
Derzeit gibt es in Wien 17.800 Kinder außerordentliche Schüler, die dem Unterricht wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht folgen können. Nun sollen diese Schüler zumindest innerhalb Wiens gleichmäßig auf die Bezirke bzw. Schulen verteilt werden.
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