IHS-Chef zu Nullrunden? "Man muss alles in Erwägung ziehen"

IHS-Chef zu Nullrunden? "Man muss alles in Erwägung ziehen"
Martin Kocher über Bauchgefühl, Szenarien statt Prognosen, warum er Gutscheinen wenig abgewinnen kann und der Aufschwung erst 2021 kommt.

KURIER: Alle Prognosen der letzten Monate sind durch Corona zunichte: Für einen Wirtschaftsforscher eine herausfordernde, spannende oder deprimierende Zeit?

Martin Kocher: Herausfordernd ist es jedenfalls. Vieles von dem, was jetzt passiert, passt in keine Schublade und ist in ähnlicher Form 100 Jahre nicht passiert. Zur Zeit der Spanischen Grippe war die Wirtschaft aber eine andere. Vieles muss neu entwickelt werden, und man muss auch auf den Bauch hören, was für einen Forscher nicht ganz einfach ist.

Bauchgefühl heißt, Sie gehen in Ihren Annahmen mehr nach Intuition oder trial and error?

Trial and error trifft es auf jeden Fall. Entscheidend ist jetzt, Maßnahmen zu entwickeln, die man systematisch testet und schnell evaluiert. Anders kann man sich nicht weiterbewegen. Normalerweise haben wir es mit Verhaltensanpassungen zu tun, jetzt aber sind wir mit Verhaltenssprüngen konfrontiert, weil sich die Rahmenbedingungen so stark und rasch ändern. Deshalb lassen sich gerade keine Prognosen rechnen, sondern nur Szenarien entwickeln.

Sprünge gibt es auch bei den avisierten Wirtschaftsleistungen, die zwischen 5 und 7 Prozent im Minus liegen. Gemeinhin wird von Minuswachstum gesprochen. Unabhängig von Corona: Minuswachstum ist ein missverständlicher Begriff, oder muss Wirtschaft immer wachsen?

Wirtschaft muss natürlich nicht immer wachsen. Dafür gibt es kein Naturgesetz. Es gibt auch keine wissenschaftliche Wachstumsideologie. Der Begriff Minuswachstum ist unglücklich und hat sich etabliert. Wirtschaftswachstum ergibt sich aufgrund der unbegrenzten Wünsche, die wir haben. Wachstum bedeutet aber auch, Ressourcen effizienter zu nutzen und es erlaubt uns, Verteilungskonflikte besser und einfacher auszutragen, um ein angenehmeres Leben führen zu können. Es gab immer wieder Phasen, in denen die Wirtschaft geschrumpft ist. Diesmal hält die Phase hoffentlich gar nicht so lange an.

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