Höchstrichter hinterfragt Covid-Maßnahmen: Was Mückstein jetzt liefern muss
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereitet gerade seine März-Session vor. Zu Corona sind 100 Verfahren anhängig. Es wird geprüft, ob die Einschränkungen verhältnismäßig waren.
Der zuständige VfGH-Richter Andreas Hauer hat dazu einen Fragenkatalog an Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein geschickt. Hauer hinterfragt etwa die Zählweise bei den Todesfällen, die Auslastung der Spitäler und die Wirksamkeit des Lockdowns für Ungeimpfte.
Für Stirnrunzeln sorgt der Umstand, dass dieses Papier überhaupt öffentlich wurde, Hauer auf einem FPÖ-Ticket in den VfGH kam und jetzt in einschlägigen Kreisen für seine Aktion gefeiert wird. Wurde hier etwa ein Höchstrichter von Coronaleugnern instrumentalisiert?
Verfassungsjurist Heinz Mayer erklärt, es sei an sich ein üblicher Vorgang, dass das Gericht bei Beschwerden die Gegenpartei – in diesem Fall der Minister – um eine Stellungnahme ersucht. Welche Fragen der zuständige Referent stellt, steht ihm frei.
Minister Mückstein muss den Katalog bis 18. Februar beantworten. VfGH-Richter Hauer erarbeitet dann einen Vorschlag, wie er persönlich über die Beschwerden entscheiden würde. Sein Vorschlag wird im 13-köpfigen Kollegium diskutiert und zur Abstimmung gebracht.
Zu den Chancen sagt Mayer: „Das Höchstgericht gesteht dem Minister in der Pandemie einen recht breiten Ermessensspielraum zu. Wichtig ist, dass Experten begründen können, dass die Maßnahmen effektiv sind, um eine Gefahr abzuwenden.“ Diese Begründung muss dem Verordnungsakt beigelegt werden.
Agieren, nicht reagieren
Mückstein muss also Belege liefern. Aber welche?
Zu Beginn der Omikron-Welle, als der Lockdown für Ungeimpfte verhängt wurde, gab es ja (noch) nicht genügend Daten, wie sich die neue Variante auswirken würde. Dass die Regierung vorsichtshalber einen Maßnahmen-Mix verhängt hat, sei plausibel, sagt Verfassungsjurist Christoph Bezemek: „Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung. Es muss zukunftsgerichtet agieren – und nicht erst dann reagieren, wenn es schon zu spät ist.“
Jetzt, da es Daten gibt und klar sei, dass das Gesundheitssystem nicht in absehbarer Zeit kollabieren werde, sei der Staat dazu verpflichtet, die Einschränkungen Schritt für Schritt zurückzunehmen.
Die wissenschaftliche Evidenz kommt aus dem Expertengremium Gecko. Zur heftig umstrittenen Sperrstunde erklärt Komplexitätsforscher Peter Klimek: Daten von ähnlichen Beschränkungen während der zweiten Corona-Welle hätten gezeigt, dass der Reproduktionsfaktor um ca. 15 Prozent verringert wurde. Davon könne man auch diesmal ausgehen. Ein Beispiel: Mit Sperrstunde steckt ein Infizierter 1,2 Personen an, ohne Sperrstunde könnte der Faktor auf 1,4 ansteigen.
Effekte nicht isoliert berechnen
Der Forscher betont, dass man den Effekt einzelner Maßnahmen nicht isoliert berechnen könne – man müsse sie im Kontext sehen.
„Es ist keine Raketenwissenschaft: Jede Einschränkung führt dazu, dass einander weniger Menschen treffen und anstecken", sagt Klimek. Aus seiner Sicht sei es gelungen, die Omikron-Welle auf diese Weise abzuflachen.
Ab 5. Februar werden die Maßnahmen gelockert. Angesichts der neuen Omikron-Untervariante (mehr dazu hier) sei das ein Risiko, aber letztlich eine politische Entscheidung, die der Forscher für nachvollziehbar hält:
Die Gruppe jener, die weder durch Impfung noch durch Genesung immunisiert sind, wird immer kleiner – und damit schrumpft auch ihr Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Maßnahmen wie 2-G, die nur für diese Gruppe gelten, sind schlechter begründbar, sagt Klimek.
Und genau das fordert der VfGH ja ein.
"Keinen Tag länger als unbedingt notwendig"
Im Gesundheitsministerium geht man auf KURIER-Nachfrage nicht auf den Fragenkatalog des Höchstgerichts ein - auch nicht auf die konkreten Maßnahmen, die darin angezweifelt werden.
Man würde derzeit an einer "umfassenden und gründlichen Beantwortung" arbeiten, dazu sei fundierte Expertise notwendig. "Wir bitten daher um Verständnis, dass wir Antworten aus den Fachabteilungen nicht vorgreifen möchten", erklärt die zuständige Mitarbeiterin des Ministeriums.
Grundsätzlich aber sagt sie: Die Verordnungen würden "immer auf den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Evaluierungen basieren", man investiere darin viel "Zeit, Mühe und Ressourcen". Ziel sei immer die "Gesundheit und Unversehrtheit aller in Österreich lebenden Menschen".
Durch die Maßnahmen sei sichergestellt worden, dass man sich nun dem Höhepunkt der Omikron-Welle nähere, ohne dass es zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems gekommen ist.
Der Lockdown für Ungeimpfte sei eine Maßnahme, die "nie leichtfertig gesetzt wurde", die nur so lange gegolten hat wie unbedingt notwendig - "und keinen Tag länger". Aus diesem Grund wurde sie nun aufgehoben.
+++ Hinweis: Dieser Artikel wurde um 19 Uhr durch eine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums ergänzt. +++
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