Harald Mahrer: "In der Hoffnung, dass niemand auszuckt“

WKO-Präsident Harald Mahrer
"Politiker nehmen kein Risiko mehr“, sagt der WKO-Präsident. Er fordert bis zu 70.000 Rot-Weiß-Rot-Karten, schnellere Genehmigungsverfahren und weniger „Klein-Klein“.

Trotz des fehlenden KV-Abschlusses im Handel sind die Beziehungen auf Tarifpartnerebene für Mahrer „exzellent“. Der Streit zwischen Finanzminister und Klimaministerin wegen neuer Gasleitungen wirkt auf ihn, „als wolle man alternative Gasrouten mutwillig verhindern“.

KURIER: Siebte KV-Verhandlungsrunde im Handel und kein Ende in Sicht. Was sagt das über die Sozialpartnerschaft aus, was über die Wirtschaftssituation?

Harald Mahrer: Die Beziehungen auf Tarifpartnerebene sind exzellent, wie eine Reihe von KV-Abschlüssen, die unter extrem schwierigen Bedingungen gelungen sind, zeigt. Die Situation ist heuer besonders, weil die wirtschaftliche Situation besonders ist.

Wird es heuer noch einen Abschluss geben?

Das liegt in den Händen der Verhandler. Die Idee der Arbeitgeber, im Handel eine freiwillige Erhöhung der KV-Mindestgehälter zu empfehlen, um Sicherheit zu geben, erachte ich als vertrauensbildendes Signal.

Protestaktion der Gewerkschaft in Innsbruck am 14. Dezember

Protestaktion der Gewerkschaft in Innsbruck am 14. Dezember

Apropos Arbeitsmarkt: Bis 2027 sollen jährlich 15.000 Rot-Weiß-Rot-Karten ausgestellt werden, um Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen. Die Zahl ist doch lächerlich, oder?

Die Arbeitsmarktsituation ist ein schönes Beispiel für das typisch österreichische Klein-Klein, das Kirchturmdenken – statt mutig und entschlossen offen über unangenehme Wahrheiten zu sprechen.

Was ist eine unangenehme Wahrheit?

Wenn ich weiß, dass ich 200.000 offene Stellen habe und wegen der älter werdenden Gesellschaft in den nächsten 15 Jahren zusätzlich 300.000 Arbeitskräfte brauchen werde, kann ich das nicht ausblenden. Das passiert aber und ist so unverantwortlich wie über Arbeitszeitverkürzung zu sprechen.

Arbeitszeitverkürzung ist aber Thema!

Nur im Märchen. Wir müssen mehr und länger arbeiten. Aber wir können uns natürlich auch trefflich unterhalten, wer an Pisa-Ergebnissen oder fehlenden Pflegekräften Schuld trägt, nur hilft uns das nicht. Wir brauchen Lösungen und keine Wahlkampf-Starre in den kommenden zwölf Monaten.

Mehr lesen: So funktioniert die Rot-Weiß-Rot-Karte

Wir sind im Vorwahlkampf.

Ja. Es herrscht die Angst, dass die Wähler diejenigen abstrafen könnten, die sagen: „Wir benötigen Menschen aus dem Ausland für den Arbeitsmarkt.“ Es gibt eine tief sitzende Furcht vor Überfremdung in diesem Land, weil Integration in den vergangenen 20, 25 Jahren nicht gut genug gemanagt worden ist. Diese Kritik müssen sich alle gefallen lassen! Jetzt nimmt man ein Instrument wie die RWR-Karte und versieht sie mit der Zahl 15.000, in der Hoffnung, dass niemand auszuckt. In Wahrheit müsste man sich hinstellen und sagen: Damit unser Land weiter so funktioniert, wie wir es gewohnt sind, brauchen wir 50.000 bis 70.000 Karten.

Harald Mahrer: "In der Hoffnung, dass niemand auszuckt“

Vizekanzler Werner Kogler, Kanzler Karl Nehammer

Dann will die Koalition also, dass niemand auszuckt?

Wenn wir genug Menschen mit genug Rückgrat in allen Parteien hätten, die sich eine solche Debatte zutrauen, ohne knieschlotternd an den nächsten Wahltag zu denken und halbe Lösungen zu präsentieren, ginge es dem Land besser.

Die Freiheitlichen, denen derzeit die meisten Stimmen attestiert werden, werben seit Monaten mit der Festung Österreich.

Die FPÖ spielt mit den zum Teil berechtigten Ängsten der Menschen. Aber ich kann mich entscheiden: Begegne ich dem Problem sachlich oder schüre ich Angst. Herbert Kickl tut Zweiteres, hat das Problem aber erkannt. Er weiß, dass wir ohne ausländische Arbeitskräfte nicht gut leben werden können – deshalb sprach er im ORF-Sommergespräch wohl auch von dem Modell der Gastarbeiter.

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