Günstiger Strompreis fürs Kochen, teurer für den Whirlpool: Kaiser für gestaffelte Tarife
Was bedeutet Heimat für Auswanderer? Was können heimische Politiker gegen globale Krisen ausrichten? Sind die Winnetou-Bücher rassistisch? Und wie können Wasser, Boden, Energie fair und klimagerecht verteilt werden? Die Schriftstellerin Verena Gotthardt (26) und Kärntens SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser (63) im Doppelinterview.
KURIER: Frau Gotthardt, in Ihrem Text „Die jüngste Zeit“ beschreiben Sie eine Kindheitsidylle in Kärnten. Warum sind Sie abgewandert?
Verena Gotthardt: Man wandert aus, um zurückzukehren. Eigentlich nimmt man seine Heimat auch mit. Denn Heimat trägt man mit sich, man trägt Kärnten in die Welt, kommt dann zurück und bringt das, was man in der Welt gelernt hat, mit. Viele gehen auch weg, weil sie ihre beruflichen Pläne nicht verwirklichen können.
Was unternimmt Kärnten, um junge Leute zu halten?
Peter Kaiser: Wir hatten lange einen negativen Braindrain, das hat sich aber erfreulicherweise 2021 geändert. Seither haben wir einen Braingain. Ich lasse gerade untersuchen, welche Motive und Veränderungen dafür ausschlaggebend sind.
Früher wanderten viele Kärntner auch aus Protest gegen eine gewisse Engstirnigkeit aus. Dann kam das politische Wendejahr 2013 (bei der Wahl 2013 verliert die FPK 28,04 %, legt die SPÖ auf 37,13 % zu; Anm.). Frau Gotthardt, damals waren Sie 16. Wie haben Sie die Wende erlebt?
Gotthardt: Kärnten und Klagenfurt sind viel offener geworden. Es ist nicht mehr so, dass die Hälfte der Leute die Augen und Ohren verschließt vor Themen, die man nicht ansprechen will. Vor zehn Jahren war es kaum möglich, dass der Landeshauptmann einen slowenischen Satz sagt. Heute ist es Selbstverständlichkeit, dass es zwei Landessprachen gibt. Allerdings passiert es mir immer noch, dass sich in Klagenfurt jemand umdreht auf der Straße und zu mir sagt: „In Kärnten spricht man Deutsch!“ In Wien passiert mir das nicht.
Herr Kaiser, der Deutschnationalismus war nicht nur Sache Jörg Haiders, er grassierte schon unter SPÖ-Landeshauptmann Leopold Wagner (LH von 1974 bis 1988; Anm.). Markiert Ihre Wahl vor knapp zehn Jahren mehr als einen bloßen Machtwechsel?
Kaiser: Ich würde das mit einem klaren Ja beantworten, will mich aber nicht mit fremden Federn schmücken. Der Durchbruch bei den Ortstafeln war mit ein Verdienst von BZÖ-Landeshauptmann Gerhard Dörfler. Ich war damals Vorsitzender der SPÖ. Wir alle haben damals die Gunst der Stunde genutzt. Mein Beitrag seither ist, die Zweisprachigkeit zu leben, zu internalisieren. In meine erste Regierungserklärung habe ich eine slowenische Passage eingeflochten, um die Zweisprachigkeit zur Normalität werden zu lassen. Es gibt auch immer wieder kleine Rückschläge, aber der Weg ist ein klarer nach vorne. Wir haben auch anderweitig Fortschritte gemacht, wir haben uns im Ranking der europäischen Regionen um 20 Plätze verbessert und die Akzentuierung als Industrieland geschafft. Wir verbinden hier Industrie mit Lebensqualität.
Welcher Ort bedeutet für Sie persönlich Lebensqualität?
Kaiser: Mein Kraftort ist das Strandbad Klagenfurt. Meine Mama war Fabriksarbeiterin. Wenn sie Urlaub hatte, hat sie alles eingepackt und wir sind ins Strandbad gefahren. Das verbinde ich bis heute mit Feriengefühl. Wenn ich etwas zu lesen habe oder eine Pause brauche, gehe ich dorthin.
Frau Gotthardt, Ihre Generation ist mit vielen Krisen konfrontiert – von der Pandemie bis zum erhitzten Planeten und Krieg in Europa. Steht der Platz der Kindheit für bessere Zeiten? Wird er zum Zufluchtsort?
Gotthardt: Die Krisen sind immer präsent, sie kommen von allen Seiten, man kann nirgendwohin flüchten. Aber es hilft, verortet zu sein, mit einem Ort vertraut zu sein. Es ist auch wichtig, die Bilder, die man in sich trägt, nicht verblassen zu lassen.
Kaiser: Vertrautheit ist eine wesentliche Basis für Widerstandsfähigkeit gegen Gefahren. Sie gibt Orientierung. Aber ich zögere beim Begriff Krise. Krise hat einen Anfang und ein Ende. Meine Analyse ist nicht, dass wir in einer Krise leben, sondern in einer großen Wendezeit. Bisher wurde Fortschritt stets mit einem Mehr gleichgesetzt. Hauptsache mehr. Wirtschaftswachstum als Staatstheorie. Aber manchmal birgt weniger mehr Qualität in sich. Das kommt jetzt langsam zum Vorschein. Wir haben es in der Hand, diese Wende zu gestalten.
Das überrascht. Man hat gemeinhin den Eindruck, dass die Politik gegen globale Entwicklungen wenig ausrichten kann. Was kann heimische Politik tatsächlich tun?
Kaiser: Die Zeit der Simplifizierung ist vorbei, das stimmt. Aber wenn man auf allen Ebenen von der EU bis in die Kommunen abgestimmt handelt, kann man viel ausrichten. Nehmen wir als Beispiel den Umgang mit Energie und Wasser. Der Durchschnittsverbrauch, der notwendig ist, um eine normale Existenz zu haben, muss leistbar sein. Dafür könnte man die Preise stützen. Was darüber hinausgeht, sollte im Preis progressiv sein. Der Strom für den Whirlpool kann ruhig mehr kosten als der fürs Wärmen der Babyflasche. Nach der Landtagswahl möchte ich das gerne in ein Regierungsprogramm einbringen.
Frau Gotthardt, welche Versprechen erwarten Sie sich von einem Politiker?
Gotthardt: Politiker sollten ehrliche Arbeit machen, nichts ins Leere versprechen. Sie sollen sagen, was möglich ist und was nicht. Sie sollen zuschauen, dass es den Menschen hier gut geht, dass es hier Kultur und Kunst gibt, und dass nicht nur die Reichen Zugang zum Wörthersee haben, sondern auch die Menschen, die hier leben.
Viele Menschen, die hier leben, haben keinen Zugang zum Wahlrecht. Halten Sie Ihren Vorstoß für einen leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft aufrecht?
Kaiser: Auf diesem Schreibtisch unterschreibe ich im Jahr etwa 300 Staatsbürgerschaftsurkunden. Oft steht auf einer dieser Urkunden: Geboren 1999 in Villach. Albanischer, montenegrinischer oder bosnischer Staatsbürger. Der Betreffende hat nie seine vermeintliche Heimat gesehen. Er ist bei uns aufgewachsen. Aber es wird ein Tanz aufgeführt, wenn man versucht, eine vernünftige Lösung zu finden. Ich habe es versucht, es wurde abgeschmettert, was ich nicht verstehe.
Was halten Sie von Cancel Culture? Sind die Bücher von Karl May rassistisch?
Kaiser: Ich habe mit Karl May lesen gelernt. Seine Fantasie war genial – eine Blutsbrüderschaft zwischen einem ausgewanderten Deutschen und dem Häuptling eines indigenen Volkes. In der Kunst muss zwar jede Diskussion erlaubt sein – im konkreten Fall ergreife ich für meinen roten Bruder Winnetou Partei.
Gotthardt: Ich bin froh, dass viel über Begriffe reflektiert wird. Diese Sensibilität ist wichtig. Aber Bücher zu verbieten, weil sie Wörter und Beschreibungen beinhalten, die aus einer anderen Zeit stammen, finde ich überspannt. Man muss darauf aufmerksam machen und sie kontextualisieren.
Herr Kaiser, wie haben Sie auf die Nachrichten von der Wien Energie reagiert?
Kaiser: Ich habe unmittelbar bei der Kelag nachgefragt. Sie hat keine langfristigen Börsen-Future-Geschäfte abgeschlossen, sondern bilaterale Handelsverträge. Dafür sind keine Zahlungen wie bei der Wien Energie nötig.
Verena Gotthardt geboren 1996 in Klagenfurt, ist Schriftstellerin
und Fotografin. 2021 las Gotthardt beim Ingeborg-Bachmann-Preis"Die jüngste Zeit". Die Kärntner Slowenin schreibt in beiden Landessprachen. Gotthardt lebt in Wien und studiert Bildende Kunst.
Peter Kaiser geboren 1958 in Klagenfurt, ist promovierter Philosoph. Seit 2013 ist der Kärntner SPÖ-Chef auch Landeshauptmann. Bei der Landtagswahl 2018 gewann die SPÖ 47,94 % der Stimmen, Kaiser wurde als Landeshauptmann bestätigt.
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