Grün oder Blau: Mit wem kann Kurz besser?
Die ORF-Wahlduelle Türkis gegen Blau sowie Türkis gegen Grün sind heuer besonders bedeutsam: Da sich anders als in den vergangenen Jahren kein Duell der ÖVP mit der SPÖ um Platz eins abzeichnet, ist gut möglich, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz sich nach der Wahl zwischen einer türkis-blauen und einer türkis-grünen Koalition "entscheiden" kann. Vorbehaltlich natürlich, dass die jeweilige Partei unter FPÖ-Obmann Norbert Hofer und Grünen-Sprecher Werner Kogler mitspielt.
Spannend wird daher auch die Atmosphäre zwischen Kurz und seinen Gegenübern im ORF am heutigen Mittwoch. Nach dem 29. September muss aber nicht nur die Stimmung passen, sondern auch die Inhalte. Von ihnen hängt ab, wohin sich die ÖVP wendet – und wo sie auch auf Gegenliebe stößt. Ein KURIER-Check der Knackpunkte eines türkis-grünen und eines türkis-blauen Paktes.
ÖVP-Grüne
2003 scheiterten die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP von Wolfgang Schüssel nach zehn Verhandlungstagen und einem 16-stündigen Sitzungsmarathon. So nahe kamen die Grünen einer Regierungsbeteiligung nie wieder – bis jetzt. In Umfragen werden den Ökos aktuell bis zu zwölf Prozent zugetraut.
Sondieren will Kogler mit Kurz auf jeden Fall, und intern bereitet man derzeit eine Punktation mit den grünen Muss-Themen vor. Aber gäbe es überhaupt Schnittmengen?
Migrationspolitik
Die Überschriften zu Migration und Zuwanderung sind zwischen ÖVP und Grünen gar nicht so unterschiedlich, wie die Tagespolitik vermuten lässt. Beide Parteien bekennen sich zu rechtsstaatlichen und zugleich möglichst raschen Asylverfahren. Auch wollen beide Österreich für qualifizierte Leute aus dem Ausland attraktiver machen.
Bei genauerem Hinsehen gibt es bei der Migration aber gravierende Unterschiede. Die Grünen haben die restriktive Linie der türkis-blauen Regierung stets kritisiert. Sollten unter Türkis-Grün zum Beispiel Flüchtlingsschiffe in den Mittelmeerstaaten Italien oder Malta landen – was so gut wie sicher ist –, gäbe es bei der Frage der Umverteilung wohl Brösel.
Eine andere Frage, die für die Grünen von hohem Symbolwert ist, sind die Asylwerber in Lehre. Für die derzeit knapp 900 Lehrlinge, die kein Asyl bekommen haben, hat die ÖVP zwar eine Ausnahmeregelung in Aussicht gestellt: Sie sollen die Lehre abschließen dürfen. Die Grünen wollen ihnen mit Hinweis auf den Fachkräftemangel aber eine langfristige Zukunft in Österreich ermöglichen.
Auch bei der Frage, ob Hilfstätigkeiten von Asylwerbern mit 1,50 Euro pro Stunde gedeckelt werden sollen, sowie bei der vorsorglichen Haft gegen angeblich gefährliche Asylwerber waren die Rollen klar verteilt. Für letztere warb die ÖVP und sprach von "Sicherungshaft", die Grünen sahen eine "Präventivhaft" und lehnten sie entschieden ab.
Klimaschutz
Auch hier ist die Stoßrichtung zumindest in den Wahlprogrammen die gleiche, und doch wäre die Klimapolitik der zweite große Knackpunkt für eine Koalition. Die ÖVP heftet sich mittlerweile auch den Klimaschutz an die Fahnen. Sie will den Klimaschutz als Staatsziel in der Verfassung festschreiben und springt über manchen schwarzen Schatten. Dennoch gab Grünen-Kandidat Kogler der ÖVP schon vorab ein glattes "Nicht Genügend" für die Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz, etwa wegen der (nun auf Eis liegenden) türkis-blauen Steuerreform. Besonders virulent: Die Grünen wollen eine CO2-Steuer, die ÖVP lehnt sie ab.
Was verspricht die ÖVP? Österreich soll laut türkisem Konzept bis 2045 gänzlich CO2-neutral sein. Es soll also entweder kein CO2 mehr ausgestoßen oder alle Emissionen kompensiert werden. Schon bis 2030 soll Österreich Strom aus zu 100 Prozent erneuerbarer Energie produzieren. Um fossile Brennstoffe verstärkt durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen, brauche es steuerliche Anreize und Förderungen.
Aber: Die Umstellung soll "sozial gerecht stattfinden und die heimische Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleiben". In dieser Formulierung stecken potenziell schwer lösbare Konfliktpunkte, gehen die Forderungen der Grünen doch deutlich weiter.
Die Grünen wollen bis 2024 Österreichs "Klimaneutralität" erreichen. Bis 2030 seien die Treibhausgas-Emissionen um 50 Prozent zu verringern. Dass die Stromerzeugung bis zu diesem Datum komplett aus erneuerbaren Energieträgern kommen soll, ist zumindest eine Gemeinsamkeit beider Programme. Die Grünen betonen, sie wollen Steuerumschichtungen im Sinne des Klimaschutzes in Höhe von acht Milliarden Euro inklusive einer CO2-Besteuerung, und zwar "sozial verträglich".
Verkehr
Mit der Klimakrise eng verbunden ist der Bereich Verkehr und Mobilität. Auch hier kann es sich spießen, siehe Wiener Stadtplanung, wo die Volkspartei in Opposition zu Rot-Grün ist.
"Wir müssen das System vom Kopf auf die Füße stellen", kündigte Kogler für Österreichs Verkehr an. Er will eine "radikale Tarifreform", konkret ein Österreichticket um nur drei Euro pro Tag.
Auf die geplanten Milliardeninvestitionen für das Straßennetz und Autobahnen will er mit einem "Planungsstopp" oder einer "Nachdenkpause" antworten. Dies würde wohl Protest bei ÖVP-Landeshauptleuten und -Bürgermeistern auslösen.
Wo sich ÖVP und Grüne treffen könnten, wäre der Stopp von Steuererleichterungen auf Kerosin und Diesel. In Alpbach bezeichnete Ex-Umweltministerin Elisabeth Köstinger die Flugpreise kürzlich als "zu niedrig". Das Thema von CO2-Mindestpreisen will sie auf europäischer Ebene lösen.
Beim Flugverkehr gibt es freilich weitere Hürden: Beim Flughafen Wien setzte sich die ÖVP für die dritte Piste ein, die Grünen waren dagegen. Diese Entscheidung ist zwar durch, neue Konflikte in Schwechat und an anderen Flughäfen sind aber nicht ausgeschlossen.
Bildung und Soziales
Auch im Schulsystem gibt es teilweise konträre Vorstellungen. Die Grünen werfen den Türkisen einen pädagogischen "Rückwärtsgang" vor. Die Wiedereinführung verpflichtender Ziffernnoten und des Sitzenbleibens in der Volksschule kritisierten sie ebenso wie die Einführung getrennter Deutschförderklassen.
Im grünen Wahlprogramm kommt zwar das Wort "Gesamtschule" nicht vor. Allerdings heißt es: "Je früher die gemeinsame Bildung beginnt und je länger sie andauert, desto höher ist auch die Chancengerechtigkeit." In all diesen Bereichen dürfte ein grüner Juniorpartner Änderungen fordern.
Dasselbe gilt in der Sozialpolitik, wo die Grünen mit den Kürzungen bei der Mindestsicherung nicht einverstanden waren.
ÖVP-FPÖ
Innenministerium
In der Frage, von welcher Partei das Innenministerium künftig geführt werden soll, haben sich ÖVP und FPÖ zahlreiche Unfreundlichkeiten ausgerichtet. Die Volkspartei stellte klar, man beanspruche das Innenressort wie vor der Ära von Herbert Kickl wieder für sich. Die FPÖ hat seitdem einen Schlingerkurs hingelegt – von Kickl oder einem anderen FPÖ-Innenminister als Koalitionsvoraussetzung bis zu einem Verzicht reichten die Wortmeldungen. FPÖ-Chef Hofer hat sich mittlerweile auf die Formel festgelegt: Kickl sei der optimale Innenminister, dessen Rückkehr ins Amt aber keine Koalitionsbedingung.
ÖVP-Länder
Ex-Kanzler Kurz sagte auch nach dem Bruch seiner türkis-blauen Koalition noch, die Zusammenarbeit habe inhaltlich meist gut funktioniert. Allerdings gilt die Lust der schwarzen Landeshauptleute auf eine türkis-blaue Neuauflage im Bund als begrenzt. Vor allem die Landeshauptmänner im Westen – Markus Wallner, Günther Platter und Wilfried Haslauer – sind schwarz-grün-affin und regieren bisher relativ geräuschlos mit den Ökos. Es ist davon auszugehen, dass Kurz bei der bevorstehenden Regierungsbildung noch stärker als 2017 auf seine Landesparteichefs hören wird.
Identitäre
Die ÖVP hat in ihr Wahlprogramm im August unter anderem ein Verbot der Identitären aufgenommen. Sie will das Vereinsrecht so ändern, dass die rechtsextremen Identitären aufgelöst werden können. Das lehnt die FPÖ ab. Für die Freiheitlichen geht es in der Frage aber nicht nur um die Identitären, sondern generell darum, ihre rechten Ränder bei Laune zu halten.
Noch im Frühjahr waren die Blauen – damals freilich noch in der Regierung – öffentlich auf maximale Distanz zu den Identitären bedacht. (Allerdings konnten zahlreiche personelle Verflechtungen aufgedeckt werden.) Nun warnt Hofer angesichts eines möglichen Verbots der Identitären vor einer "Gesinnungsdiktatur". Die FPÖ sieht sich dabei auf einer Linie mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Justizminister Clemens Jabloner.
Gemeinsamkeiten
Bei der Migrationspolitik waren sich Türkis und Blau in ihren eineinhalb Jahren gemeinsamer Regierung weitgehend einig. ÖVP-Obmann Kurz will an seinem Kurs festhalten, wie er erst am Dienstag betonte. Die Gesellschaft habe sich durch Migration und Zuwanderung "massiv" verändert, sagte er. Dass Kurz und Ex-Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck mittlerweile eine "pragmatische Lösung" für die rund 900 Asylwerber in Lehre wollen, hat die FPÖ zwar verurteilt, würde die Partei aber wohl verschmerzen.
Auch in vielen anderen Fragen würden sich ÖVP und FPÖ inhaltlich finden können: Sowohl bei einer besseren Dotierung des Bundesheers als auch beim Versprechen keiner neuen Steuern wird man sich schnell einig werden. Für das Nein zu einem Ausländerwahlrecht, wie es die Neos fordern, gilt das ohnehin.
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