Nagl zu Schwarz-Blau in Graz: "Es gibt eine Riesenkluft"

Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) mit Gattin Andrea
Mit SPÖ oder Grünen käme die ÖVP auf nur 24 der 48 Mandate. Eine Koalition mit der KPÖ schließt der Grazer Bürgermeister aus. Mit Analyse-Video.

Nicht allzu groß ist die Auswahl von Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) bei der Auswahl seiner Koalitionspartner für die künftige Regierung - will er keine Dreierkoalition. Denn im Gemeinderat hat die ÖVP nur mit der KPÖ und der FPÖ eine Mehrheit - und die KPÖ hat Nagl selbst wiederholt ausgeschlossen. Mit SPÖ oder Grünen käme die ÖVP auf nur 24 der 48 Mandate (mehr dazu hier).

An Nagls Optionen dürfte auch das Briefwahlergebnis, das heute Abend vorliegen sollte, nichts ändern: Laut SORA/ORF-Wahlkartenprognose könnte sich nur ein Mandat verschieben - und zwar von der FPÖ zu den NEOS. Das brächte Schwarz-Blau allerdings nicht um die Mehrheit: Die 19 ÖVP-Mandate und auch "nur" sieben (und nicht acht wie im vorläufigen Ergebnis) FPÖ-Mandate ergeben zwar keine satte, aber die klare Mehrheit von 26 der 48 Sitze.

Nagl zu Schwarz-Blau in Graz: "Es gibt eine Riesenkluft"
Nagl (Mitte) hat viele Partner - theoretisch

Der Grazer Bürgermeister selbst wollte sich im Ö1-"Morgenjournal" zu möglichen Koalitionen noch nicht detailliert äußern. Er möchte allerdings einen "Partner finden, der für Sicherheit und Wirtschaft" stehe. Eine Koalition mit der KPÖ schließt er aus. Und mit den Freiheitlichen? "Es ginge sich aus. Aber ich habe gesagt, wer eine sichere Stadt haben will, muss in Integration investieren und wer in Integration investieren will, muss in Bildung investieren", erklärt der VP-Wahlsieger.

Deshalb sei eine freiheitliche Partei, die nicht in Integration investiere, auch kein möglicher Partner. "Es gibt noch eine Riesenkluft", sagt Nagl und betont, dass er in seiner 14-jährigen Amtszeit als Bürgermeister schon mehrere Koalitionen geschmiedet hat. "Ich schließe eine andere Option nicht aus."

SPÖ als Partnerin weggebrochen

Noch klarer - nämlich 29 der 48 Mandate - wäre die Mehrheit freilich mit der KPÖ, die ihre zehn Gemeinderatssitze behält. Mit den Kommunisten fühlt sich Nagl aber zu weit auseinander. Enttäuscht hat ihn die KPÖ zuletzt damit, dass sie ihre Zustimmung zum Budget 2017 an eine Volksbefragung zum Murkraftwerk knüpfte. Daraufhin wurde die Wahl auf Februar vorgezogen.

Nagl zu Schwarz-Blau in Graz: "Es gibt eine Riesenkluft"

Die bisher immer treue Partnerin SPÖ ist Nagl mit ihrem kräftigen Verlust als Partnerin weggebrochen: Die Sozialdemokraten verloren zwei ihrer sieben Mandate, also kommt man zusammen nur mehr auf 24. Auch eine Wiederauflage der (2012 zerbrochenen) Zusammenarbeit mit den Grünen kommt nicht infrage, haben diese doch ebenfalls nur mehr fünf Gemeinderatssitze. Nur die Dreierkoalition ÖVP-Grüne-SPÖ hätte eine satte Mehrheit. Die NEOS könnten nur ein - und mit Briefwahl vielleicht auch zwei - Mandate in einen Dreier-Bund einbringen.

Sozialdemokraten müssen noch zittern

Im Stadtsenat hat die ÖVP weiterhin drei der sieben Sitze - womit die Mehrheit mit jedem Partner sichergestellt ist. Denn die FPÖ bekommt einen Sitz, ebenso die KPÖ, jedenfalls auch die Grünen und vielleicht die SPÖ. Die Sozialdemokraten müssen allerdings noch zittern, denn die Briefwahlstimmen könnten sie zugunsten der KPÖ noch um den (einen) Stadtratsposten bringen.

Am Nachmittag tritt der Stadtparteivorstand er SPÖ zusammen, aber es wird wohl trotz der deutlichen Wahlniederlage (vorläufiges Ergebnis: 10,09 Prozent bei minus 5,22 Prozentpunkten, nach 15,31 im Jahr 2012) weder personelle Konsequenzen, noch größere Weichenstellungen für die Zukunft geben - solange unklar ist, ob die Partei von Michael Ehmann ihren Stadtratssitz halten kann. Über eine größere Strategie wird die SPÖ wohl erst gegen Ende der Woche oder danach beraten.

ÖVP hat keine Eile, FPÖ macht blau

Der Wahlsieger ÖVP hat keine Eile mit Beschlüssen, sieht man davon ab, dass möglichst bald ein neues Budget stehen sollte - derweil muss die Stadt mit einem halbierten Budget, einem Provisorium, das Auslangen finden. Mit den Briefwahlstimmen könnte durchaus noch das vorläufige Wahlergebnis von Bürgermeister Siegfried Nagl mit 37,66 (plus 3,92 Prozentpunkte von in Jahr 2012 mit 33,74 Prozent) aufgefettet werden.

Bei den Freiheitlichen, der nun drittstärksten Partei mit 16,28 Prozent (plus 2,53 Prozentpunkte nach 13,75 Prozent im Jahr 2012) wird laut Parteichef Mario Eustacchio am Montag "blau" gemacht. Am Dienstag nach Vorliegen des Endergebnisses trifft man sich im kleinen Kreis, ein weiterer Termin ist dann der übernächste Dienstag, der 14. Februar - für den Stadtparteivorstand.

KPÖ tagt im Lauf der Woche, Grüne reflektieren

Bei der dritten Wahlsiegerin - die KPÖ mit Vizebürgermeisterin Elke Kahr - wird am Mittwoch eine Sitzung des Gemeinderatsklubs stattfinden, die Parteileitung tagt dann im Lauf der Woche. Die Kommunisten hatten laut vorläufigem Ergebnis 0,53 Prozentpunkte von 19,86 auf 20,39 Prozent leicht zugelegt. Ob dies nach Auszählung der Briefwahlstimmen dann immer noch so ist, ist fraglich.

Bei den Grünen steht Spitzenkandidatin Tina Wirnsberger nach den Verlusten nach eigenem Bekunden nicht zur Debatte. Auch Landessprecher Lambert Schönleitner erteilte Personalspekulationen eine Absage. Der Stadtsenatssitz der Grünen könnte durch die Briefwahlstimmen abgesichert werden, an denen sich die Grünen traditionell einen großen Anteil sichern können. Im vorläufigen Ergebnis legten die Grünen in Graz um 1,92 Prozentpunkte von 12,14 auf 10,22 Prozent ab. Am Montag gibt es laut einer Sprecherin von Wirnsberger eine "Reflexionsrunde" und in weiterer Folge eine Vorstandssitzung mit den Gemeinderatskandidaten.

Ex-Landesparteisekretär Christian Deutsch stellt der Wiener SPÖ den Niedergang der Grazer Parteikollegen als Rute ins Fenster: "So schaut's aus, wenn SP-Langzeit-Bgm. Nachfolge nicht rechtzeitig regeln & loslassen", twitterte er Sonntagabend als "Lehre". Woraufhin ihn Parteikollegen darauf hinwiesen, dass in der Grazer Partei in den letzten Jahren viel öffentlich gestritten wurde (mehr dazu hier).

Kern: "Plan A" war nicht schuld

SPÖ-Chef Christian Kern zieht aus der Graz-Wahl die Erkenntnis, dass es für seine Partei keine Limits nach unten gibt. Gleiches gelte aber auch in die andere Richtung, meinte er nach einem Arbeitsgespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen gegenüber Journalisten.

Der Kanzler erinnerte daran, dass die SPÖ zu Zeiten von Landeshauptmann Franz Voves in Graz noch die stärkste Kraft gewesen sei. Er sehe daher viel Potenzial, wobei es freilich für die gesamte SPÖ einen Erneuerungsprozess brauche.

Dass der von ihm präsentierte "Plan A" Schuld am schwachen Abschneiden der Grazer Sozialdemokraten gewesen sein könnte, glaubt Kern nicht: "Auf diesen Zusammenhang wäre ich nicht gekommen." Spitzenkandidat Michael Ehmann attestierte der Kanzler, dass dieser einen schwierigen Kampf "sehr formidabel" geführt habe. Eine ausdrückliche Gratulation Kerns gab es für den Wahlsieger Siegfried Nagl.

Hoch erfreut kommentierten hingegen die Bundespartei-Spitzen von ÖVP, KPÖ und FPÖ die Grazer Gemeinderatswahl.

ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner freute sich in einer Aussendung über das "tolle Ergebnis" - legten doch die Grazer Parteikollegen rund um Bürgermeister Siegfried Nagl deutlich zu. Die Grazer hätten den "verlässlichen bürgerlichen Weg" der "konsequenten, verantwortungsvollen Politik" bestätigt. Den Bundesparteichef freut am Wahlausgang in der zweitgrößten Stadt Österreichs auch, dass "dieses Ergebnis zudem zeigt, dass die ÖVP auch im urbanen Raum punkten kann".

Für die KPÖ - die nur mehr in Graz und der Steiermark in Parlamenten sitzt - war der Wahlsonntag ein hoch erfreulicher, gelang es den von Vizebürgermeisterin Elke Kahr in die Wahl geführten Parteikollegen doch, Platz 2 gegen die FPÖ zu verteidigen. Das sei ein "politisch wertvolles Ergebnis", meinte denn auch KPÖ-Bundessprecher Mirko Messner in einem E-Mail-Statement. Die Grazer hätten das "konsequente soziale Engagement" und die Wohnpolitik der Grazer Kollegen "auf eindrucksvolle Weise belohnt".

Trotz schwieriger Ausgangslage habe man "schöne Stimmengewinne" erreicht, zeigte sich auch FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache in einer Aussendung erfreut. Damit sei ein "weiterer positiver Schritt" hin zu den Landtagswahlen gelungen. "Der Aufwärtstrend der FPÖ bestätigt sich auch in Graz, während Rot und Grün die großen Wahlverlierer sind", meinte Strache.

NEOS-Obmann Strolz gratulierte dem pinken Grazer Team via Twitter zum Einzug: "Wir NEOS schlagen starke Wurzeln in der zweitgrößten Stadt des Landes. Gut so."

Von den Grünen lag zunächst noch kein Statement vor.

Es sei zum Einen eine Persönlichkeitswahl gewesen. "Die ÖVP profitierte von einem massiven Amtsinhaber-Bonus durch Bürgermeister Siegfried Nagl. Bei den bestimmenden Themen des Wahlganges sieht Filzmaier Vorteile für die KPÖ, "die nicht nur das Thema Wohnen und Mieten, sondern generell sozialpolitische Themen führend bestritten hat, zu Lasten von SPÖ und Grünen".

Analyse von Politologe Peter Filzmaier

Es sei aber auch eine Stimmungslagewahl gewesen. "Während die FPÖ bei Wahlgängen 2015 und 2016 von Stimmungen zum sogenannten Ausländerthema profitiert hat, war das diesmal nicht in dem Ausmaß der Fall", sagt Filzmaier.

Die Verhandlungslage Nagls sieht der Politologe nur vordergründig dankbar. Er habe zwar mehrere rechnerische Möglichkeiten, es sei aber auch "trickreich". Koalitionen mit Blau und KPÖ-Rot wolle er nicht unbedingt, vielleicht sei "ein freies Spiel der Kräfte am attraktivsten" für Nagl. Zwei Mehrheiten müss er allerdings schnell zusammenbringen, erstens: die Wahl zum Bürgermeister im Gemeinderat und das Budget. An ebendiesem ist die Stadtregierung im Vorjahr gescheitert.

Auswirkungen auf Landespolitik?

Für die SPÖ sieht Filzmaier folgendes Problem: "Wie will man insgesamt gut in der Steiermark reüssieren, wenn man in der Landeshauptstadt kaum noch zweistellig ist?" Und die ÖVP besitze einen starken Personenbonus in Graz, irgendwann werde das wieder zur Frage führen, ob Nagl nicht ein geeigneter LH-Kandidat sei.

Augenfällig war, dass die ÖVP auf in teils von Migranten bewohnten Bezirken wie Liebenau, Wetzelsdorf, Lend, Puntigam, Straßgang und Eggenberg ihre teils soliden Mehrheiten halten und sogar ausbauen konnte. In Lend, Liebenau und Wetzelsdorf gewann man sogar jeweils ein Mandat hinzu. Verluste - im moderaten Ausmaß - gab es in sogenannten bürgerlichen Bezirken St. Leonhard, Geidorf und Mariatrost am linken Murufer. Damit dürfte sich der auch stark auf Bezirkspolitiker und -eigenheiten zugeschnittene Wahlkampf ausgezahlt haben.

Gleiches gilt für die FPÖ, die ebenfalls in der Wahlauseinandersetzung die Bezirksarbeit und -kandidaten forciert hatte. Die Blauen gewannen teils kräftig in Arbeiter- und Migrantenbezirken wie Gries und Lend oder Straßgang, Eggenberg und Puntigam rechts der Mur zu, wo sie fast überall ein Mandat im Bezirksrat dazu verdienen konnten. In Puntigam, Straßgang und Wetzelsdorf sind sie deutlich zweitstärkste Kraft. In bürgerlichen Bezirken wie St. Peter, Waltendorf, Ries und Mariatrost gab es ebenfalls leichte Zuwächse.

Die SPÖ verlor in allen Bezirken, auch ihren einstigen Hochburgen rechts der Mur massiv, zum Teil an die 9 Prozent wie in Puntigam. Die Grünen konnten allenfalls leicht zulegen, ein zusätzliches Bezirksratsmandat ging sich nirgendwo aus. Aber in den Bezirken wie Mariatrost und Andritz stellt man die zweitstärkste Kraft. Die NEOS, die nicht überall antraten, schlugen sich achtbar und erreichten aus dem Stand in Geidorf und Jakomini je ein Mandat.

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