"Glatter Koalitionsbruch": Wo sich Türkis und Grün nicht grün sind
Christine Schwarz-Fuchs ist Vorarlbergerin, Geschäftsführerin einer Buchdruckerei, Abgeordnete im Bundesrat und seit 1. Juli sogar dessen Vizepräsidentin. Doch all das, so ehrlich muss man wohl sein, wäre selbst politisch beschlagenen Beobachtern nicht weiter geläufig, wäre da nicht diese Sache am Donnerstag passiert: Bei einer Sitzung der zweiten Parlamentskammer verschaffte Schwarz-Fuchs überraschend einem Entschließungsantrag von SPÖ und FPÖ die Mehrheit, mit dem die grüne Infrastrukturministerin Leonore Gewessler dazu gedrängt werden soll, die Evaluierung von Bauprojekten wie dem Lobau-Tunnel zurückzunehmen.
Der Antrag an sich ist inhaltlich mangelhaft und technisch ohne Konsequenz - es handelt sich um einen "Entschließer", also um eine Absichtserklärung des Bundesrats.
Doch mit ihrem Abstimmungsverhalten hat Schwarz-Fuchs ein formales No-Go abgeliefert. Sie hat als ÖVP-Mandatarin gegen ein grünes Regierungsmitglied, also gegen den Koalitionspartner gestimmt. Und das ist - wie in allen Regierungskonstellationen, so auch in dieser türkis-grünen - ein koalitionspolitischer Fauxpas.
"Der konkrete Anlassfall war ein glatter Koalitionsbruch", sagt ein grüner Nationalratsabgeordneter, der seinen Namen aus Koalitionsräson lieber nicht an dieser Stelle lesen möchte.
"Donnerwetter im ÖVP-Klub"
Nachsatz: "Aber das entsprechende Donnerwetter gab's im ÖVP-Klub, und wir glauben August Wöginger (ÖVP-Klubchef, Anm.), dass dahinter kein großer Plan stand. Immerhin existieren von der Bundesratskollegin auch Interviews, in denen sie sich selbst als ,Hobby-Politikerin' beschreibt."
Auch in der türkisen Parteispitze erklärt man durchaus glaubwürdig, dass es sich bei dem Vorstoß der Bundesrätin nicht um ein von langer Hand geplantes Foul am Koalitionspartner, sondern um ein Vorarlberger Spezifikum handelt.
Dort sei die S18, ein Straßenprojekt, derzeit das Thema. Und aus einer mehr oder weniger falsch verstandenen Liebe zum Ländle habe sich die Bundesrätin ohne Rücksprache mit ihrer Landespartei gegen Leonore Gewessler gestellt.
Regierungschef Sebastian Kurz soll erst am Montag, also vier Tage nach dem "Zwischenfall", von der Abstimmungspanne erfahren haben - auch das spricht gegen einen allfälligen Vorsatz.
Dessen ungeachtet stellt sich die Frage: Wie steht es grundsätzlich um das Koalitionsklima? Denn tatsächlich gab es abgesehen von dem irritierenden Abstimmungsverhalten in der Länderkammer zuletzt immer wieder Themen, bei denen sehr klar geworden ist, dass Grüne und Türkise inhaltlich wie kommunikativ aneinander geraten. Exemplarisch sind das:
- Justiz und Korruptionsbekämpfung: Die von den Türkisen von Kanzler Kurz abwärts gepflogene Kritik, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt parteiisch und nicht objektiv ermittle und solcherart den Bundeskanzler und Finanzminister Gernot Blümel ins Visier genommen habe, sorgt in der grünen Funktionärs- und Wählerschicht für veritable "Schmerzen". "Wir wussten vom ersten Tag an, dass wir nach außen hin stark dagegen halten müssen. Und das hat Alma Zadic mehrfach und nachweislich getan", sagt ein grüner Stratege. Dass in manchen Bereichen (Stichwort: Maßnahmenvollzug) die budgetären Mittel der Justiz erhöht werden konnten und der Koalitionspartner über einen Bundesstaatsanwalt verhandeln will, soll innerhalb der Grünen den Missmut etwas, aber nicht gänzlich besänftigt haben.
- Asyl: Die nächtlichen Abschiebungen von Familien mit schulpflichtigen Kindern waren für die Grünen intern ein veritables Problem. Und das sind sie bis heute. Im Unterschied zu anderen politischen Themen hat die türkis-grüne Koalition beim Thema Migration und Asyl freilich einen neuen Zugang gewählt: Sollte es zu einer Asyl- bzw. Migrationskrise kommen und die Koalitionspartner keine gemeinsame Linie finden, greift ein neues Verfahren: Wenn auf mehreren Ebenen (Koalitionskoordination, Kanzler und Vizekanzler) alle Gespräche schief gegangen sind, ist "jener Koalitionspartner, der die Initiative (in Sachen Asyl, Anm.) betreibt, berechtigt, dieses Gesetzesvorhaben im Nationalrat als Initiativantrag einzubringen". Und: Die Koalition kann selbst dann weiter bestehen, wenn die Koalitionspartner nicht miteinander abstimmen. Kurzum: Bei Streitfragen in einer Migrationskrise ist ein gegenseitiges Überstimmen von ÖVP und Grünen nicht zwingend ein Bruch der Regierungskoalition.
Koalitionsstreit um Straßenbauprojekte, heute Gewessler vs. Köstinger
- Klimaschutz und Ökologie: Mittel- und langfristig drohen die größten Verwerfungen wohl bei der Ökologisierung des Wirtschafts- und Steuersystems. Im Büro von Sebastian Kurz sieht man umstrittene Pläne wie den von Leonore Gewessler, große Straßen- und Bauprojekte einer Evaluierung zu unterziehen, derzeit noch betont gelassen. Die Umweltministerin müsse nun eben Schwerpunkte und inhaltlich Akzente setzen, aber das halte die Koalition absolut aus, heißt es in der ÖVP-Führung. Und überhaupt sei koalitionär paktiert, dass alle bereits laufenden und geplanten Bauvorhaben jedenfalls umgesetzt werden. Man könnte den Steuerzahlern ja schwerlich erklären, warum man Millionen Euro für die Planung und teilweise Umsetzung von Straßen- und anderen Bauprojekten in den Sand setze. Zuletzt sagte etwa ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel zum KURIER, er verstehe gut, wenn Landeshauptleute wie Thomas Stelzer beklagen, dass im Umweltministerium "NGOs" sitzen.
Genau das, also die Frage, wie die Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft weiter vorangetrieben wird, droht mittel- und langfristig dennoch zur Zerreißprobe zu werden. In einem Satz zusammengefasst erklärt das ein Parlamentarier der Grünen: "In einem Sommer, in dem sogar in Tschechien Tornados wüten und in Österreich und Deutschland wieder das Hochwasser wütet, kann ein vernunftbegabter Politiker kaum argumentieren, warum noch mehr Flächen versiegelt und zu-asphaltiert werden - und schon gar nicht kann man das als grüner Politiker tun."
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