Blümel: "Ich verstehe den Ärger über Gewessler"
KURIER: Herr Blümel, der Film-Klassiker "Täglich grüßt das Murmeltier" könnte auf Sie bezogen lauten: "Und täglich grüßt der Verfassungsgerichtshof". Nach der Aktenanlieferung legt Opposition nun Beschwerde gegen die Corona-Finanzierungsagentur (Cofag) beim VfGH ein. Warum wickeln Sie die Auszahlung von 15-Milliarden-Corona-Hilfsgeldern über eine Privatgesellschaft ab?
Gernot Blümel: In Wien bin ich selbst auch Oppositionspolitiker und weiß daher, wie schwer die Rolle sein kann. Auf Bundesebene wird Kritik oft nicht im Sinne des Nachforschens betrieben, sondern im Sinne des pauschalen Ablehnens. Warum halte ich in diesem Fall die Kritik für absurd? Die Opposition hat seit Beginn die Möglichkeit, im Beirat der Cofag jeden Fall und jede Auszahlung zu kontrollieren, hat aber davon nie Gebrauch gemacht und kritisiert lieber. Die Cofag ist eine Finanzierungsagentur, die aufgesetzt wurde, um rasch und flexibel zu helfen. Das war ein Faktor, warum die Auszahlung in anderen Ländern wesentlich länger gedauert hat als in Österreich.
Hätte die Opposition Mandatare in den Beirat der Cofag geschickt, hätten diese eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben müssen. Transparenz sieht anders aus ...
Irgendeine Begründung muss die Opposition ja für die Beschwerde finden. Aber die Frage ist: Worum geht es? Geht es um ernsthafte Kontrolle von Steuergeld und Einsicht? Oder geht es nur darum, eine Pauschalkritik zu üben? Das muss jeder für sich entscheiden, wie ernst und sachlich gerechtfertigt er diese Kritik nimmt. Dazu kommt: Bei Rechtsfragen können Unternehmen auf dem Zivilrechtsweg die Cofag klagen.
Diesen Rechtsweg würden Sie nicht als Nachteil für die Unternehmen bezeichnen?
Ich habe schon viele Arten von Kritik erlebt. Die meisten gehen in die Richtung, dass Lösungen zu bürokratisch seien. Das ist zum ersten Mal, dass man sagt: Das ist zu wenig bürokratisch, man hätte doch lieber Bescheide. Wenn ich mir die Umsetzungen von anderen Förderungsagenturen anschaue, gibt es auch dort keine Bescheide. Die Cofag ist ähnlich aufgesetzt. Auch diesen Kritikpunkt finde ich daher seltsam.
Einer Ihrer härtesten Kritiker ist SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer. Zuletzt kritisierte er, dass rund 400 Mails weniger vom Finanzministerium geliefert wurden als von der Richterin bei der Exekution. Warum bereinigen Sie diese toxische Atmosphäre nicht, statt sie zu eskalieren?
Als Dienstgeber hätte ich nicht mehr Mails liefern können, das bestätigen mehrere Gutachten. Ich habe die Situation mit der Aktenlieferung zu Beginn rein als rechtliches Problem verstanden, im Nachhinein war das eine falsche Einschätzung und daraus habe ich meine Lehren gezogen. Wenn der Eindruck entstanden ist, dass man hier zu wenig Sensibilität walten hat lassen, dann macht mich das betroffen und dafür habe ich mich entschuldigt.
Man muss auch sagen, dass seitens einiger Abgeordneter gegenüber Medien bewusst mit Falschinformationen gearbeitet wird. Ich versuche, zu allen Parteien einen persönlichen Kontakt zu haben. Mit manchen Personen geht es besser, mit manchen geht es weniger gut. Opposition macht im Optimalfall die Politik für alle Menschen besser durch die Kontrolle der Regierung und konstruktive Vorschläge.
Aber bei manchen habe ich das Gefühl, dass Kritik nicht als etwas verstanden wird, wo es um etwas Erforschendes geht, sondern um pauschale, fundamentale Ablehnung und teilweise blanken Hass. Woher der kommt, weiß ich nicht.
Vor fast exakt einem Jahr gab es Ihren ersten Auftritt im Ibiza-U-Ausschuss mit 86 Erinnerungslücken und der Behauptung, Sie hätten keinen Laptop ......
Keinen dienstlichen Laptop, wie auch andere Politiker.
Okay, Sie wollen präzisieren: Keinen dienstlichen Laptop. Dieser Auftritt hat einen großen Imageverlust für Sie bedeutet. Bereuen Sie diesen Auftritt?
Ich bin nicht jemand, der glaubt, immer alles richtig gemacht zu haben. Es gibt immer Situationen, wo man im Nachhinein weiß, dass man es besser hätte machen können. Ich nehme zur Kenntnis, dass dieser Auftritt nicht gut angekommen ist. Das war auch nicht beabsichtigt, aber ich lerne daraus. Bevor man mich kritisiert, sollte man einmal so eine Situation im U-Ausschuss erlebt haben, wo mit viel mit Unterstellungen gearbeitet wird.
Wechseln wir zur öko-sozialen Steuerreform, die 2022 kommt. Kernstück soll die C02-Bepreisung sein. Gibt es bei den Verhandlungen schon Pläne, wie man soziale Schieflagen ausgleicht?
Wir haben uns dazu bekannt, dass einen Preis bekommt, um mittel- und langfristig Anreize für umweltförderndes Verhalten zu setzen. Grundkonzept ist die Ökosoziale Marktwirtschaft, die besteht aus drei Säulen. Das erste ist eine Marktwirtschaft, die Gewinne erwirtschaftet, die dann umverteilt werden in den sozialen Ausgleich und die ökologische Marktwirtschaft. Ohne die erste Säule, also einer funktionierenden Marktwirtschaft mit Gewinnen funktioniert es nicht. Daher muss man bei der Steuerreform auch die wettbewerbsrelevanten Faktoren mitberücksichtigen. Dazu braucht es Planungssicherheit, gute Abgrenzungen und durch die Frage, wo es vermehrt Förderungen braucht.
Was passiert mit dem Mittelstand?
Es darf nicht sein, dass der arbeitende Mittelstand am Ende weniger hat als vorher. Das wird es mit uns nicht geben. Unterm Strich muss für die Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen, am Ende mehr übrig bleiben: Wer umweltschonend lebt, für den muss noch mehr übrig bleiben. Das ist die Idee dahinter.
Es soll eine aufkommensneutrale Steuer sein, bei der Staat kein Geld verdient. Die Grünen favorisieren das Schweizer Modell, bei dem das Geld über die Sozialversicherung zurückgegeben wird. Dagegen spricht sich WKO-Präsident Harald Mahrer aus. Welche Variante wird es werden?
Eine Möglichkeit ist, dass die Steuer- und Abgabenlast für die Arbeitnehmer sinkt. Ein Teil kann über diesen Weg berücksichtigt werden. Ein weiterer Aspekt ist, dass der ländliche Raum härter betroffen sein wird, und daher Menschen in diesen Regionen nicht benachteiligt werden dürfen.
In allen Konzepten gibt es einen schrittweisen Technologieumstieg und einen schrittweisen Anstieg des Preises. Wir haben eine Empfehlung des Internationalen Währungsfonds, dass ein Einstieg eines CO2-Preises mit 25 Euro pro Tonne adäquat wäre und ein moderater Anstieg über die Jahre passieren sollte. Es soll Zeit geben, damit man sich einstellen kann auf die Umstellung. Und dort, wo es nicht möglich ist, muss man sich anschauen, wie eine Kompensation ausschaut.
OÖ-Landeshauptmann Thomas Stelzer beklagte, dass NGOs im Umweltministerium sitzen. Muss die ÖVP nun mehr grüne Politik akzeptieren, weil Sie im Casinos-Verfahren Beschuldigter sind und Sebastian Kurz selbst mit einer Anklage wegen Falschaussage rechnet?
Ich verstehe den Ärger über Leonore Gewessler. Landeshauptmann Thomas Stelzer ist ein Garant dafür, dass es in Oberösterreich wirtschaftlich gut weiter geht und da braucht es auch einen infrastrukturellen Ausbau.
Ich verstehe auch den Ärger von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Denn der Lobautunnel ist eines der bestgeprüften Projekte. Es ist ein Projekt, das notwendig ist. Man kann es gerne evaluieren, aber ich gehe davon aus, dass es kommen wird.
Zu Ihrer Frage: Ich habe in den Verhandlungen keine Wahrnehmung dazu. Das ist die dritte Koalition, die ich erlebe. Inhaltlich geht extrem viel weiter. Wir haben in der Corona-Krise große Probleme schnell gelöst. Dann gibt es die parteipolitische Ebene – da kommt es öfters zum Konflikt. Das ist bei so unterschiedlichen Parteien erwartbar gewesen.
Apropos Probleme: Wird es in den kommenden Jahren möglich sein, ein stabiles Staatsbudget zu erreichen angesichts der Corona-Schulden ? Wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, könnten auch noch Strafzahlung drohen ......
Ich finde das eine fiktive Debatte, denn wir wollen die Vereinbarungen erreichen. Aber zurück zum Budget: Ich bin froh, dass wir nicht in der Situation von Italien, Spanien oder Frankreich waren, denn dann wären wir in der Corona-Kurse von der Solidarität anderer abhängig gewesen. Durch den ausgeglichen Haushalt hat Österreich immer ausreichend Möglichkeiten gehabt, den Arbeitnehmern und Unternehmern zu helfen.
Wir hoffen, dass die Prognosen der Wachstumsraten von vier bis fünf Prozent noch einige Jahre bleiben. Unsere Orientierung ist die der zehn Jahre nach der Weltwirtschaftskrise 2008. 2015 hatten wir den höchsten Schuldenstand mit 90 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. 2019 schafften wir eine 70-Prozent-Staatsverschuldung.
Mittelfristig muss auch das unser Weg sein. Der erste Schritt ist, dass wir den Einstieg aus dem Ausstieg aus den Wirtschaftshilfen brauchen. Hier braucht es treffsichere Modelle. Dann muss man die Neuverschuldung zurückzufahren. Bis Ende der Regierungsperiode möchte ich es schaffen, die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten.
Ministerinnen bekommen die Frage gestellt, wie sie die Doppelbelastung mit Kind und Beruf schaffen. Wie wollen Sie den Spagat zwischen Finanzminister und bald zwei Kleinkindern schaffen?
Das weiß ich noch nicht. Das ist ein Lernen im Tun. Ich weiß nur: Wenn ich darauf gewartet hätte, bis mein Leben etwas ruhiger wird, dann hätte ich noch lange keine Kinder. Ich bin mit drei Geschwistern ausgewachsen. Ich habe das fast immer sehr genossen, deswegen freue ich mich.
Fast immer genossen. Wann nicht?
Mein Vater war alleinverdienender Pflichtschullehrer. Wir haben uns zu viert viel teilen müssen. Wenn man dann andere Klassenkameraden gesehen hat, die immer die neuesten Trendartikel hatten, hat man sich schon gedacht: Naja, so ein Einzelkind zu sein, wäre nicht schlecht. Die Großfamilie lernt man erst später zu schätzen.
Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn hat sich bei seinem Abschied aus der Politik, ausgerechnet bei Ihnen bedankt und meinte: Sie hätten keine Not die türkisen Socken anzuziehen. Denn Sie seien viel klüger als Ihre Budgets vermuten ließen. Wann werden Sie die türkisen Socken ablegen?
Sepp Schellhorn war stets hart in der Sache, aber nie persönlich herablassend und hatte inhaltlich sehr interessante Vorschläge. Das schätze ich an ihm. Aber die türkisen Socken werde ich nie ausziehen.
Kommentare