Gibt es eine große Ibiza-Enthüllung unterm Christbaum?
Am Vorabend des 17. Mai kursiert eine schräge Geschichte: Der mehrfach verurteilte Neonazi Gottfried Küssel deutet in einem Interview in einer rechtsextremen deutschen Zeitung an, er habe unerfreuliches Material über Heinz-Christian Strache. Der KURIER fragt am Morgen des 17. Mai bei der FPÖ nach. Und hört über Dritte nur: Strache sei „wie gelähmt“.
Damals ist kaum jemandem klar, was an jenem Freitag um Punkt 18 Uhr vom deutschen Spiegel und von der Süddeutschen veröffentlicht werden sollte. Nicht Küssels Interview, sondern die Medien-Recherchen zu einer viel größeren Geschichte waren der Auslöser für Straches Apathie.
Heute vor einem halben Jahr wurde das „Ibiza-Video“ öffentlich – jener siebenminütiger Zusammenschnitt eines Abends im Sommer 2017 auf der Partyinsel, als Strache und sein Weggefährte Johann Gudenus gegenüber einer angeblichen Oligarchin über Geld und Macht fantasierten.
Illegale Parteispenden, politische Einflussnahme – für die Staatsanwaltschaften tat sich ein gigantisches Feld auf, und das war längst nicht alles. Im August kam angeblicher Postenschacher bei den Casinos dazu, der aktuell immer weitere Kreise zieht. Kurz vor der Nationalratswahl tauchte auch noch ein Spesen-Skandal um den inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Chef Strache auf. Und unbeantwortet ist bis heute die Frage: Wer steckt hinter dem Video?
Handy als Fundgrube
Der Ermittlungsakt ist unter Verschluss. In Justizkreisen heißt es andeutungsweise nur: „Heuer kommt noch etwas. Es wird spannend.“ Wir, die Öffentlichkeit, wüssten noch nicht einmal die Hälfte. Der Schlüssel könnte Straches Handy sein, das bei einer Razzia zur Casino-Causa einkassiert wurde. Die SOKO Ibiza wertet die Inhalte gerade aus – und schöpft aus dem Vollen. Strache ist ein Vielschreiber, und äußerst nachtaktiv. Die Enthüllung könnte zur Weihnachtsbescherung werden.
Wer steckt dahinter?
Theorien zur Entstehungsgeschichte des Ibiza-Videos gibt es viele – manche gehören ins Verschwörer-Eck, manche sind privat und eher banal. Am spannendsten (weil sehr nach Agenten-Krimi) klingt jene, die der Ex-Präsident des deutschen Bundesnachrichtendiensts August Henning kurz nach Veröffentlichung des Videos aussprach: Ein westlicher Geheimdienst könnte die Falle gestellt haben, um aus den FPÖ-Männern herauszukitzeln, wie russisches Geld zu rechtspopulistischen, EU-feindlichen Parteien fließt. Anwalt M. und Privatdetektiv H., von denen als Drahtzieher die Rede ist, könnten nur Instrumente gewesen sein. An die Medien gespielt worden sei es erst, als die FPÖ in der Regierung war und man sie diskreditieren wollte. Dazu muss man anmerken: diese Theorie wird in FPÖ-Kreisen ventiliert – sie passt perfekt zur Opfer-Rolle, die die Blauen in der Ibiza-Causa einnehmen wollen.
Dafür, dass eine andere politische Partei, etwa die SPÖ, dahintersteckt (Stichwort Silberstein), gibt es keine Indizien. ÖVP-Chef Sebastian Kurz musste eine derartige Behauptung widerrufen.
Fest steht nur, dass das Video mehreren Parteien angeboten wurde – wohl als Wahlkampf-Waffe. Recherchiert und veröffentlicht haben es erst SZ und Spiegel, und sie verraten ihre Quellen nicht.
Was übrig bleibt
Fragt sich nur: Was bleibt? Politisch hatte das Ibiza-Video enorme Wucht: Strache und Gudenus sind zurückgetreten, die türkis-blaue Koalitionsehe zerbrach, es gab Neuwahlen, und die FPÖ ist de facto am Boden.
Strafrechtlich – und da sind sich Experten im Gespräch mit dem KURIER einig – dürfte aber weder das, was gesagt wurde, noch die Art, wie das Video gemacht wurde, große Folgen haben. Anders gesagt: Nach allem, was bekannt ist, ist die Suppe dünn.
Ermittlungen gegen Strache und Gudenus wegen Korruption wurden bereits eingestellt – die Blauen waren 2017 auf Ibiza noch nicht in einer Regierungsposition. Illegale Parteienfinanzierung (so es sie gab) ist kein Straftatbestand. Die Untreue-Vorwürfe gegen die Unternehmen, die Strache im Video genannt hat, dürften ins Leere gehen. Offen ist freilich, was bei der Casinos-Causa noch ans Tageslicht kommt.
Was erwartet die Macher des Videos? Das heimliche Aufnehmen und die Weitergabe an Dritte ist verboten, darauf stehen bis zu ein Jahr Haft bzw. eine Geldstrafe – sofern die Auftraggeber je wirklich gefunden werden.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt mit der SOKO Ibiza rund um das im Videomitschnitt Gesagte – das gesamte, mehrere Stunden umfassende Material, hat sie bis heute nicht. 13 parteinahe Vereine und jene Unternehmen, die Strache genannt hatte, sind wegen möglicher Parteispenden im Fokus – es geht um Untreue.
Hinzu kam die Casino-Causa, hier wird der Vorwurf der Bestechung in Bezug auf die Bestellung des FPÖ-Mannes Peter Sidlo als Finanzvorstand untersucht. Ins Visier geriet nun auch Ex-Finanzminister Hartwig Löger. SPÖ, Neos und Grüne beraten gerade über einen U-Ausschuss. Beim Spesenskandal wird Strache vorgeworfen, Parteigeld veruntreut zu haben; mitbeschuldigt sind seine Ehefrau Philippa, eine Sekretärin und Straches Ex-Bodyguard. Zur Erstellung des Videos ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien.
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