Gewessler zum Straßenbau-Stopp: "Mit mir sitzt auch der Klimaschutz am Tisch“
Der KURIER traf die Klimaministerin Freitagnachmittag in ihrem Büro. Sie hätte einiges zu feiern gehabt - schließlich wurde am Mittwoch nach monatelangen Verhandlungen ihr Ökostrom-Ausbaugesetz EAG beschlossen. Doch inzwischen gibt es einen neuen Konflikt - rund um ihrer Weisung an die Asfinag, alle großen Bauprojekte bis Herbst noch einmal zu evaluieren. Verärgert sind nun nicht nur Wien und Niederösterreich, sondern ein wenig auch der Koalitionspartner ÖVP.
Mit einer Weisung hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler alle neun Bundesländer gegen sich aufgebracht. Sie verordnete der Asfinag die Evaluierung aller Straßenbauprojekte, bei denen die Bagger noch nicht aufgefahren sind. Der Aufschrei in den Landeshauptstädten war groß, nachdem diese Aktion an die Öffentlichkeit gelangt war.
Gehör fanden die Proteste bei Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der sich noch am Freitag in dieser Frage gegen die Ministerin stellte. Straßenprojekte, die bereits genehmigt oder gerade in einem Genehmigungsverfahren sind, sollten durchgezogen werden. „In dieser Frage bin ich auf der Seite der Regionen, der Bundesländer“, sagte Kurz. Klimaschutz sei zwar eine entscheidende Zukunftsfrage, die aber nicht nur durch das Absagen von Projekten gelöst werde. Auch der türkise Umwelt-Staatssekretär Magnus Brunner kritisierte in der Presse „Alleingänge“ Gewesslers und warf ihr „Verunsicherung“ der Bevölkerung vor.
Vom vorläufigen Baustopp sind mehr als zehn zentrale Projekte wie die Marchfeld-Schnellstraße S8, der Lückenschluss des Ringes um Wien mit der S1 und dem Lobautunnel oder die Mühlviertler Schnellstraße S10 betroffen. Für die Länder haben deren Wirtschaftsvertreter von ÖVP und SPÖ die Ministerin einstimmig aufgefordert, die Weisung an die Asfinag zurückzunehmen.
Auch die FPÖ hat im Verkehrsausschuss einen Antrag eingebracht, Gewesslers Anordnung wieder aufzuheben. Dieser war ident mit einem Dringlichkeitsantrag, der eine Woche zuvor im Landtag in Niederösterreich von der ÖVP mehrheitlich beschlossen worden war. Auf Bundesebene stimmten die ÖVP-Nationalratsabgeordneten aber dagegen, um nur nicht den Koalitionsfrieden zu gefährden.
KURIER: Ihre Entscheidung, die großen Straßenbauprojekte der Asfinag neu evaluieren zu wollen, hat für viel politische Verstimmung, in der Koalition und mit den Ländern, gesorgt. Was soll da überhaupt evaluiert werden?
Leonore Gewessler: Solche Infrastrukturprojekte haben eine große Bedeutung, weil was wir jetzt bauen bestimmt, wie unser Verkehrssystem in Zukunft funktioniert, also wie wir morgen und in den kommenden Jahrzehnten unterwegs sein werden. Bei Infrastrukturprojekten sitzen immer sehr viele Interessen am Tisch – regionale, überregionale, die Interessen der Wirtschaft. Und mit mir sitzt jetzt auch der Klimaschutz und der Umweltschutz am Tisch. Deswegen wird evaluiert, und wir stellen die Fragen, die jetzt wichtig sind: Was heißt das für unser Klima, was für unsere Bodenversiegelung – wir sind ja Europameister bei der Versiegelung, haben uns aber konkrete Ziele gesetzt, die auch verwirklicht werden sollen. Und wir haben uns auch Klimaschutzziele gesetzt, Klimaneutralität bis 2040. Da geht es auch um die Zukunft unserer Kinder. Genau deswegen stellen wir diese Fragen, das wird bis Herbst abgeschlossen sein.
Wie wollen Sie da die vielen Interessen gewichten? Aus Naturschutzsicht geht es ja schon einmal nicht, durch ein Schutzgebiet eine Autobahn zu bauen.
Klar ist, dass wir auch in Zukunft eine Infrastruktur brauchen, die alle Bedürfnisse sicherstellt, die aber auch sicherstellt, dass wir unser Ziel nach Klimaneutralität bis 2040 erreichen. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns die paar Monate Zeit nehmen, um reflektieren zu können, ob Entscheidungen, die eine Jahrzehnte alte Historie haben, auch heute noch vernünftig sind.
Also kann bei der Evaluierung auch am Ende ein Nein rauskommen für Projekte wie den Lobau-Tunnel?
Natürlich kann am Ende einer Evaluierung herauskommen, dass Projekte, die man vor 40 Jahren gestartet hat, aus heutiger Sicht und mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft nicht mehr vernünftig sind.
Sollen wir denn gar keine Straßen mehr bauen, ist das Ihr Ziel?
Nein, wir werden auch in Zukunft Autofahren und Straßen brauchen, genauso wie wir mit dem Zug fahren werden oder mit dem Rad. All das braucht Infrastruktur. Wir müssen nur das Verkehrssystem in Summe so bauen, dass wir klimafreundlich unterwegs sein können. Dafür brauchen wir die passende Infrastruktur.
Denken Sie, die Menschen verstehen was sie mit dem Abwägen von Klimaschutz und Straßenbau meinen?
Der Klimaschutz ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Alleine wenn wir schauen was die letzten Tage und Wochen in den Medien war: In Kanada hatte es 50°C, in Tschechien wütete ein Tornado, das Meer im Golf von Mexiko brannte, und bei uns, in Ober- und Niederösterreich, sind große Teile der Ernte durch Unwetter vernichtet. Das ist ein eindeutiger Handelsauftrag, und da spielt die Infrastruktur eine zentrale Rolle.
Aber was kann und soll das kleine Österreich da ausrichten?
Das passiert ja nicht nur in Österreich, die ganze Welt macht sich auf den Weg. Wir haben uns vorgenommen, nicht weiter zu warten, sondern voranzugehen. Wir zeigen vor, dass es gut geht, und dass Klimaschutz zu mehr Lebensqualität führt. Zum Beispiel dass man klimafreundlich mobil sein kann. Mit Rekordinvestitionen in Bahn und Stadtregionalbahnen. Salzburg, jetzt Linz. Innsbruck kommt als nächstes. Weil wir weiter mobil sein müssen und wollen, Der Auftrag an die Politik ist, sicherzustellen, dass das klimafreundlich möglich sein muss.
Dennoch, die Wirtschaftslandesräte laufen wegen Ihrer Entscheidung Sturm, die Gesprächsbasis soll frostig sein. Wundert Sie das?
Die Wirtschaftslandesräte haben einen Beschluss gefasst und ihre Interessen noch einmal auf den Tisch gebracht. Die sitzen ja schon länger am Tisch. Mit mir ist jetzt auch der Klimaschutz dabei. All das berücksichtigen wir natürlich bei der Evaluierung.
Und wie sehr ist damit auch das Klima der Koalition belastet?
Wir haben uns im Regierungsprogramm gemeinsam dazu bekannt, dass wir die Klimaneutralität bis 2040 auf den Weg bringen wollen. Das brauch konkrete Gesetzte, Rahmenbedingungen und Investitionen.
Kurz sagte aber: ‘Genehmigte Projekte werden durchgeführt‘.
Was wir in Infrastrukturprojekten haben, sind Umweltverträglichkeitsprüfungen. Die sagen, ob ein Projekt die gesetzlichen Mindeststandards erfüllt. Aber wir sind jetzt mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die die Zukunft betreffen. Mit dem Ziel Klimaneutralität 2040, das ist ein großer Auftrag. Deswegen muss man sich anschauen, ob die Entscheidungen, die vor vielen Jahren getroffen wurden, im Hinblick auf die neuen Aufgaben und Herausforderungen noch vernünftig sind.
Für das 123-Ticket fehlt eine Einigung mit Wien und Niederösterreich. Diese Länder brauchen sie aber für das Klimaticket. Fürchten Sie nicht, dass das jetzt nichts mehr wird?
Nein, weil die Menschen in Österreich auf das Klimaticket warten, auch die Wiener und auch die Niederösterreicher und die Burgenländer. Wir arbeiten da mit Hochdruck weiter und bin überzeugt, dass wir das bald abschließen werden können. Das Ticket steht seit 15 Jahren in Koalitionsabkommen, und wurde bisher immer nur verschoben. Wir sind jetzt soweit wie nie, alles ist vorbereitet, von der gesetzlichen Basis zum Vertriebssystem, zum Budget.
Allerdings wollten sie das Ticket bis zum Sommer fertig haben, das geht sich wohl nicht mehr aus. Gibt es einen neuen Zeitplan?
Es ist eine Revolution im öffentlichen Verkehr und die größte Tarifreform, die wir jemals gemacht haben. Deswegen ist das in sehr intensiver Prozess, wo auch viele Fragen aufkommen. Und das dauert jetzt eben zwei, drei Monate länger. Aber es wird noch 2021 kommen.
Kommende Woche wird in Brüssel die neue Strategie bis 2030 präsentiert. Da wird es nach unseren Informationen auch die neuen Verbrenner ein Enddatum bekommen. Was können Sie uns schon verraten?
Ich kenne nur Leaks, Gerüchte und Vermutungen. Es ist aber völlig klar, dass die Umweltstandards für Fahrzeuge nachgezogen werden müssen. Und klar ist auch, dass die E-Mobilität das ist, wohin die Reise geht. Wenn man sich anschaut, wie viele Autokonzerne schon beschlossen haben, nur mehr auf E-Mobilität zu setzen, ist klar, der Antriebswechsel der Pkw wird eine der zentralen Säulen sein.
WKÖ-Präsident Harald Mahrer sagte kürzlich im KURIER, dass eFuels eine große Lösung sein werden, also Treibstoffe hergestellt aus nachhaltigem Wasserstoff. Werden wir in 15 Jahren bald nur mehr eFuels tanken?
Wir werden synthetische Kraftstoffe aus Erneuerbaren Energien brauchen, aber für die Schifffahrt und Flugindustrie. Dort werden wir eFuels brauchen. Im Pkw-Markt sehe ich das nicht. Weil sie sehr teuer sind und teuer bleiben werden und wir mit der E-Moblität eine deutlich kostengünstigere, effizientere Alternative haben. Ich fahre mit der gleichen Menge Energie mit einem E-Auto fünf Mal soweit als mit einem Verbrennermotor mit eFuels. Wir sehen einen Boom bei den Zulassungszahlen, wir haben im Juni 2021 die höchste Zulassungszahl jemals für E-Mobilität, fast 14 Prozent. Das wird weiter rasant steigen.
Mahrer argumentiert weiter, dass wir nicht unseren Pkw-Bestand, ein Volksvermögen von 50 Milliarden Euro, von heute auf morgen vernichten können?
Das tut ja niemand. Es geht um einen geordneten, vorhersehbaren begleiteten Umstieg. Der braucht Förderungen, das machen wir, das braucht die Infrastruktur, die bauen wir aus, das braucht aber auch Klarheit, wohin die Reise geht. Diese Klarheit braucht auch die österreichische Auto-Zulieferindustrie, und auch die Konsumentinnen und Konsumenten.
Der nächste Schritt wird das Klimagesetz sein. Ist es richtig, dass dieses die Implementierung eines Kohlenstoff-Budgets beinhalten wird? Und worum geht es da?
Es steht schon im Regierungsabkommen, dass wir damit arbeiten werden. Die Idee ist, dass jedes Land einen Beitrag leisten muss zum globalen Klimaschutz, und jedes Land auch einen gerechten definierten Anteil bekommen soll an den CO2-Emissionen, die noch ausgestoßen werden dürfen, um die Klimaschutzziele einhalten zu können. Der Ansatz wird auch auf EU-Ebene intensiv diskutiert. Im Klimschutzgesetz ist ja wichtig, dass wir die Pfade bis zum Netto-Null definieren bis 2040. Das wir raus aus allen fossilen Energien sind. Unser Betriebssystem muss auf eine erneuerbare Basis gestellt werden.
Die Wissenschaft sagt, unser Klimabudget ist streng gerechnet etwa bei 400 Millionen Tonnen, oder ein bisschen freundlicher gerechnet vielleicht bei 600 Millionen Tonnen. 2019 haben wir 80 Millionen Tonnen emittiert. Da haben wir dich schon 2030 kein Budget mehr, wenn nicht eine Vollbremsung der Emissionen stattfindet?
Wir schauen uns den Ansatz an, gemeinsam mit dem Umweltbundesamt. Wir müssen ja Klarheit schaffen für die Sektoren, und das soll das Klimaschutzgesetz leisten. Und ja – wir sind im Klimaschutz mitten in einer Aufholjagd
Aber immer öfter melden sich Menschen, die sagen: Das sind ja alles tolle Ziele, aber ich glaub nicht dran, dass das auch wirklich passieren wird.
Warum nicht? Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren bewiesen, dass es passiert. Wir brauchen viele Diskussionen, aber es passiert.
Das andere Argument ist, warum wir, und die Chinesen oder andere nicht?
Aber es macht ja nicht nur Österreich, wir haben uns mit unserem Ziel Klimaneutralität 2040 an die Spitze in der EU gesetzt, Finnland will 2035 klimaneutral sein, Deutschland 2045. Und jedes Land setzt Maßnahmen dafür, dass das auch gelingt. Und genau so machen wir es auch in Österreich. Alle haben denselben Weg vor sich, nicht alle haben die gleiche Geschwindigkeit. Aber das Ziel ist für alle gleich, Klimaneutralität. Und wir können vorzeigen, dass das geht, dass das gut geht, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Dass Wertschöpfung im Land geschaffen werden. Und wir tun was dafür, dass unsere Lebensqualität 2040 gut sein wird, mit sauberer Luft und einer guten Mobilität und sauberen Strom.
Dennoch: In neunzehn Jahren soll die Österreicher keine Verbrenner-Pkw mehr fahren, die Öl- und Gasheizungen ausgebaut haben, ihre Häuser grundlegend saniert haben, und viel mehr Windräder akzeptieren und PV-Paneele aufs Dach montieren. Fürchten Sie nicht, die Menschen zu überfordern?
Ich glaube, dass die Bevölkerung dabei ist und bereit dafür ist. Das zeigen uns alle Daten. Zum Beispiel jetzt gerade die Zulassungen in der E-Mobilität. Das zeigen uns die vielen, vielen Anfragen zur Photovoltaik, und die vielen Vereine von Fußball bis Blasmusik nur darauf warten, dass die Energiegemeinschaften starten können, dass sie gemeinsam Strom produzieren und konsumieren können. Wir haben einen enormen Zuspruch zu unseren Förderungen zum Umstieg, beim Heizen, da ist viel Bewegung drin. Meine Aufgabe als Ministerin ist sicherzustellen, dass wir die passenden Angebote haben, Förderungen haben, dass das für alle so einfach wie möglich wird.
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